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26.04.08 / Tschüß 68er!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-08 vom 26. April 2008

»Moment mal!«
Tschüß 68er!
von Klaus Rainer Röhl

Letzte Woche war wieder große 68er Debatte zur besten Sendezeit im ZDF. Um einem Bedürfnis abzuhelfen. Ein bekannter Theater-Regisseur, Claus Peymann, Intendant des mit staatlichen Mitteln erhaltenen, einstmals berühmten „Berliner Ensembles“, und eine frühere Grüne, Jutta Ditfurth, der die Grünen schon lange nicht mehr grün genug sind, wollten eigentlich lieber ein Buch und ein Theaterprojekt vorstellen: Rudi und Ulrike. Gemeint sind Ulrike Meinhof und Rudi Dutschke, das „Traumpaar der Alt-68er“. Tiefer geht‘s nun nicht mehr – runter.

Aber das Thema von Maybrit Illner hieß „Die 68er: Befreier oder Zerstörer?“ Natürlich Befreiung, meinten die beiden Befürworter. Eher Zerstörer, urteilten die anderen prominenten Diskussionspartner, der Historiker Götz Aly, meine Tochter Bettina Röhl und der CDU-Abgeordnete Kauder, der während der 68er-Zeit lieber studiert hatte.

Warum die Diskussion? War es, um einem Bedürfnis abzuhelfen? Müssen wir jeden Tag über die 68er und die RAF diskutieren? Fast täglich, in Funk und Fernsehen, Magazinen und Zeitungen? Hunderte Bücher sind auf dem Markt und wollen gekauft werden. Ist ja nun genug.

Haben wir wirklich keine drängenden Probleme? Hungersnöte in der Welt, bedrohlich ansteigende Lebensmittelpreise auch bei uns, die Krankenkosten explodieren, ein langer Winter mit anhaltender Kälte statt der mit Kassandra-Rufen angekündigten Erderwärmung. Warum sagt das niemand? Heizöl kaum mehr bezahlbar, Benzin fast täglich teurer, Terroristen überall in der Welt, Anzahl steigend. Nicht mehr einzudämmende Jugendgewalt auf den nächtlichen Straßen und sechs Millionen potentielle Sympathisanten in den deutschen Moscheen.

Das Kapitel deutsche 68er sollten wir jetzt abschließen. So schön waren die nun auch nicht. Das Thema ist allmählich durch. Schlußstrich und Bilanz.

Was wird bleiben von den 68ern? Nichts Nennenswertes. Nur die Kunde, daß mit ihnen das Ende Deutschlands als Nation begann. Den Zweiten Weltkrieg gewannen die Alliierten, gemeinsam mit dem Diktator Stalin. Aber wirklich am Boden lag das deutsche Volk nicht. Das Land, zerstückelt, abgetrennt ein Drittel, der Rest in zwei ungleiche Hälften zerteilt, wurde im Westen wieder aufgebaut in wenigen Jahren. Von den Überlebenden der großen Katastrophe, den Flüchtlingen aus den Ostprovinzen, den Heimkehrern und Müttern und Kindern, die die Bombenteppiche und Feuerstürme in den Städten überlebt hatten. Sie bauten, unter Führung von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard und unter kritischer, aber konstruktiver Mithilfe der damaligen Gewerkschaften und der SPD unter Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer und dem jungen Willy Brandt als Bürgermeister von Berlin, das Land wieder auf. Aber die Kraft der überlebenden Kriegsgeneration reichte nur noch für das Wirtschaftswunder und das Fußballwunder von Bern, für Volkswagen und Fernsehen für alle und Ferien mit TOUROPA und Rückkehr nach Europa, für Nato-Integration und Aufnahme in die Völkergemeinschaft. Aber die Kraft reichte nicht mehr zum Widerstand gegen die eigenen Kinder, die Kinder von Marx und Marcuse, von Adorno und Horkheimer, die ihre Eltern umerziehen wollten zu „friedlichen Menschen“ und deren Idole doch die Kriegshelden Che Guevara und Ho Tchi Minh waren und auch, was die meisten heute vergessen haben, die Massenmörder Mao und Pol Pot. Wirklich gewonnen wurde der Zweite Weltkrieg gegen die Deutschen erst von den 68ern. Sie haben den Deutschen das Deutschsein so gründlich herausoperiert, wie die Siegermächte es einst gewollt hatten, das Rück-grat gleich mit.

Die Deutschen sind so friedlich geworden, daß sie am liebsten nur noch in Ruhe gelassen werden wollen. Nationale Debatten wie der Historikerstreit finden nicht mehr statt oder werden, wie vor einigen Jahren die Diskussion über die alliierten Kriegsverbrechen und die durch Flucht, Vertreibung und Bombenterror getöteten deutschen Zivilisten, sogleich mit der „Ausschwitzkeule“ (Walser) niedergemacht. Die Tugendwächter der politischen Korrektheit bringen jede intellektuelle Debatte zum Schweigen. Die wissenschaftlichen Eliten verlassen wenn irgend möglich, das Land, erlangen die amerikanische Staatsbürgerschaft oder gehen in den fernen Osten, sogar in die Schweiz. Was bleibt, ist kleinkariert und ängstlich. Das große Kapital, die Wirtschaft versucht, so gut es geht, ihre Produktion aus dem industrie-feindlichen Deutschland ins Ausland zu verlagern.

68 war nicht alles schlecht? 1970 folgten die deutschen Studenten dem Aufruf zum Langen Marsch durch die Gesellschaft, die sie erobern und umgestalten wollten. Schon vor den Wahlen von 1998 hatten sie überall im Land Erfolg. Nach 30 Jahren fiel den 68er Parteien das Land, nur noch schwach verteidigt von einer verbrauchten Elite, die keine Nachfolger mehr ausgebildet hatte, zu wie eine Beute. Wie besiegtes Land, auf Gedeih und Verderb. Viele Jahrzehnte unter SPD-Herrschaft in Bund und Ländern und eine CDU, die nur noch aus einem einzigen Mann zu bestehen schien, hatten den Widerstand gelähmt. Der schleichende kulturelle und – es gibt kein anderes Wort dafür – ethisch-moralische Verfall des Landes hatte schon eingesetzt. Was Helmut Schmidt, der Sieger von Mogadischu, noch einfordern mochte und dafür von seinem Parteifreund Lafontaine verhöhnt und diffamiert wurde, die „preußischen“ Sekundärtugenden, konnte Schröder in der tiefsten wirtschaftlichen Krise des Landes nicht mehr abrufen – niemand kannte sie noch.

Was hat die Generation 68 geschaffen? Nichts. Das Land ist vernachlässigt wie seine Städte und seine zersiedelten Dörfer. Der Beton der nach dem Krieg wieder aufgebauten Häuser bröckelt, die Fassaden der einstmals vorbildlich modernen Schwimmbäder und Bibliotheken werden rissig, die Farbe blättert ab. Die fabelhaft künstlichen, autofreien Stadtkerne sind von jener gesetzlich vorgeschriebenen „Kunst am Bau“ befallen, den die ideenlosen Nachfahren von Joseph Beuys und Fritz Wotruba für viele Zehntausende guter D-Mark aus Stahl und Beton verfertigt haben, manchmal hat eine Stadt auch eine, der wie ein Hefeteig unförmig auseinanderlaufenden Plastiken von Henry Moore erworben, fast jede Stadt im Ruhrgebiet hat er für würdig befunden, eines seiner Werke an einem öffentlichen Ort aufzustellen. Der Rest der verbleibenden Mauern und Wände ist wie von einem Pilzbefall bedeckt, mit Graffitis und alltäglichem Schmutz – ziemlich unwohnlich und nachts unbewohnt erscheinen die Städte. Sie sind einander bis zur völligen Gleichheit ähnlich, öde und trostlos am regnerischen Alltag, und die sogenannten Stadtteilfeste und Weihnachtsmärkte mit Flohmarkt und Glühwein genormt von Flensburg bis Pforzheim.

Die Kultur wird von den Kulturbeauftragten der Städte und der Länder betrieben. Viel Betrieb, viel Wichtigtuer, wenig Widerstand im Land. Musical statt Theater, aufwendig geförderte Unterhaltung auf Staatskosten. Eigene Stücke dieser Generation sehen so aus wie sie selbst: schlaff. Trotz reichlicher Verwendung von Sex, Alkohol und Drogen. Sie kennen nichts anderes.

Die große Bewegung der Schüler und Studenten war angetreten, um Deutschland zu verändern. Es ist ihnen tatsächlich gelungen. Aber fragen Sie mich nicht, wie. Wie sieht denn das Land aus? Nach verordnetem Antifaschismus und politischer Korrektheit, friedlichen Demonstrationen und mörderischen Terroristen – manchmal auch friedlichen Demonstrationen für mörderische Terroristen – nach befreiten Menschen und befreienden Drogenräuschen, sozialer Gerechtigkeit und Gerechtigkeit für die Völker der Dritten Welt, nach dem tiefen Schock, den der Zusammenbruch des Kommunismus für alle Linken war. Es war wie im Märchen. Ach, wir alle, die wir dabei waren, glaubten an des Kaisers neue Kleider und bestärkten andere in dem Glauben. Aber da war nichts. War nur die Ausführung schlecht – die Idee gut? Der Kern gut? Wir wissen heute, daß der Kern hohl war wie eine taube Nuß: das perfekte monokausale System des Sozialismus, das zuerst als fehlerfrei gepriesen, später als fehlerhaft, aber veränderbar beschrieben wurde. Die Fehler würden korrigiert werden, hieß es. Fehler, die nichts zählen sollten gegen die einmalige Größe der Sache. Doch das System 68 hatte gar keinen Fehler. Es war der Fehler.

Foto: Lange her und doch so gegenwärtig: Die Aufnahme vom 13. April 1968 zeigt Studenten, die während eines Ostermarsches unter dem Motto „Fünf Minuten Verkehrsruhe für Vietnam" den Dalbergplatz in Frankfurt am Main blockieren.


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