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26.04.08 / Spiel mit der Wahrnehmung / Literarisch wertvoll oder nur ein abgedrehtes Spiel mit den Realitäten?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-08 vom 26. April 2008

Spiel mit der Wahrnehmung
Literarisch wertvoll oder nur ein abgedrehtes Spiel mit den Realitäten?

Nach der Lektüre des Romans „Armor“ von Marcus Braun fühlte sich die Rezensentin so, wie sie sich in ihrer Vorstellung nach einem schlechten Drogentrip fühlen müßte: Irgendwie neben der Rolle, keine Ahnung, was wahr und unwahr ist, beziehungsweise zweifelnd, ob es überhaupt eine Realität gibt. Kein tolles Gefühl! Allerdings ist die Rezensentin wohl zu kontrollsüchtig, denn in so manchem Feuilleton wurde gerade das Spiel des Autors mit der Wahrnehmung und verschiedenen Realitäten als meisterhaft gefeiert.

Das französische Liebespaar Catherine und Fabien fährt mit dem altersmüden Auto von Catherines Mutter ans Meer. Kate, wie Fabien seine Freundin nennt, albert rum, während Fabien den Wagen steuert, bis ein Steinschlag die Sommer-Reise der beiden beendet. Erleichtert stellen die beiden fest, daß nur die Windschutzscheibe zerstört ist, sie selbst aber völlig unverletzt sind. Eine junge Frau, Isabelle, hilft den beiden, schleppt den Wagen zu nächsten Werkstatt ab und bietet ihnen an, bei sich zu übernachten, bis der Wagen repariert ist. Isabelle lebt mit ihrem fast 30 Jahre älteren Mann Jacques in einer noch nicht fertiggestellten, architektonisch eigenwilligen Villa nahe der Küste. Und am Abgrund befindet sich auch die Ehe des ungleichen Paares, doch das merken Fabien und Kate erst nicht.

Genau wie die beiden Urlauber verschwimmt auch vor dem Leser Zeit und Raum. Knappe Dialoge, viel Natur und Sonne lassen die Konturen verschwimmen. Durch einige interessante Informationen hält der Autor seine Leser bei der Stange, doch immer, wenn sie glauben, mehr zu erfahren, fallen die Figuren wieder auf Nebensächlichkeiten zurück.

Eine brisante Mischung aus Leidenschaft und Abneigung sorgt für Spannung, denn Jaques ist Kate zugeneigt und sie geht auf seine Avancen ein, spielt mit dem neuen Gefühl, eine begehrte Frau zu sein. Fabien fühlt sich von Isabelle angezogen, schreckt aber zurück, als er von der süßen 15jährigen Marie, der Tochter des Kfz-Meisters, erfährt, daß Isabelle zuerst mit Jaques Sohn Arnaud zusammen war. Dieser ist jedoch im Meer verschollen.

Der Leser vermutet einen Mord, und auch Kate und Fabien wollen wissen, was mit dem Sohn ihres Gastgebers geschah, genießen aber zugleich unbedarft die kostenlose Unterkunft in bester Lage. Als Fabien auf einen Seeigel tritt, gerät irgendwie alles aus den Fugen. Seine Wahrnehmung wird aggressiver, verschiedene Geschichtsverläufe wechseln sich ab. Mehrere zeitgleiche Entwicklungen, die sich gegenseitig ausschließen, verwirren den Leser. Wer hier versucht herrauszubekommen, welcher der folgenden Morde der reale ist, wird allerdings vergeblich suchen, denn am Ende löst sich alles im Nichts auf.                R. Bellano

Marcus Braun: „Armor“, Suhrkamp, Frankfurt / M. 2007, geb., 187 Seiten, 17,80 Euro


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