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26.04.08 / Vergessenes Land / Äthiopien bietet bunte Eindrücke, doch eine schlechte Infrastruktur und Armut werfen Schatten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-08 vom 26. April 2008

Vergessenes Land
Äthiopien bietet bunte Eindrücke, doch eine schlechte Infrastruktur und Armut werfen Schatten
von Thomas Winzker

Einst ein Touristenmagnet erster Wahl, ist Äthiopien, das Land zwischen den Kontinenten und Kulturen, durch politische Wirren über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten. Sehr zu Unrecht, denn kaum ein anderes Land kann so viele Gegensätze in sich vereinen: religiöse, historische, geographische und ethnische. Lalibela mit seinen einzigartigen Felskirchen, Aksum, wo einst die Königin von Saba herrschte, Gonder mit portugiesischem Palast, Harar, Zentrum des Islams, und die bizarren Hütten der Dorze im tropischen Süden. Und die Thermalstadt Addis Abeba in der Mitte, stets Ausgangspunkt.

Einen Fernreise-Traum wollte sich meine Mutter noch erfüllen, bevor sie sich aus Altersgründen nur noch den näher gelegenen Ländern widmet: „Das Dach Afrikas“ genannte ferne Äthiopien wollte sie besuchen. Nun gut, ein bequemes Reiseziel ist dieses Land nicht, dachte ich, doch was tut man nicht alles für seine Mutter. Um so überraschender für mich, was es in diesem Riesenreich alles zu entdecken gibt, verbindet dieser Vielvölkerstaat wie kein anderer seit Urzeiten die Kulturen Afrikas, Arabiens und Europas, durch die grundverschiedenen Ethnien und ihre Religionen, durch gegensätzliche Vegetationszonen und epochaler Architekturdenkmäler.

Wir buchen Flug, Auto und eine Nacht in Addis Abeba. Alles weitere würde sich ergeben. Dachten wir zumindest, bis wir nach einer Nacht im Schmuddelhotel Ras im Mietwagen-Büro fast ausgelacht wurden, weil wir einmal mehr Ausländer seien, die glauben, auf eigene Faust durchs Land kutschieren zu können. Man dürfe die Stadt als Selbstfahrer nicht verlassen, und ohnehin hätten sie das bestellte Fahrzeug nicht da. Ob wir nicht wüßten, daß es nur eine gute Straße, Richtung Süden, gibt?

Was tun? Wir machen das Beste aus der Situation und bestellen für den nächsten Tag eine Fahrt zum nahegelegenen Soda-See – mit Fahrer, selbstredend. Dann machen wir uns auf die Suche nach einem neuen Quartier. Fündig werden wir im Finfine Hotel, das zwar nicht ganz unseren Standards entspricht, doch neben seiner zentralen Lage unerhörte Vorteile hat: In den schlicht ausgestatteten Zimmern sind kleine Pools im Boden des Bads eingelassen – mit direkten Thermalwasserzuläufen. Gekräftigt suchen wir das staatliche Reisebüro Ethiopia Tourist Commission auf und buchen Flüge, sternförmig von der Hauptstadt ausgehend, Querverbindungen gibt’s nicht. Es sind jene Strecken, die wir mit dem Auto fahren wollten.

Doch zunächst genießen wir zwei Tage am Soda-See Langano, zu dem eine gute Teerstraße führt. Unterwegs sehen wir uns im Afrikanischen Graben ein Dorf der Oromo an, einer dunkelhäutigen Ethnie mit großen strohgedeckten Rundhütten, wo wir sehr freundlich empfangen werden. Und dann der Lagano-See im Aiate-Shalla-Nationalpark gelegen: Einzig hier kann man in diesem Land ohne Küste ein entspannendes Bad nehmen – in seifigem Wasser, garantiert Bilharziose-frei, in den Bäumen Scharen bunter und verschiedenartigster afrikanischer Vögel.

Unser erster Flug führt nach Norden in die geschichtsträchtige Stadt Gonder, einst eine portugiesische Gründung, von der eine Palastanlage von 1640 im seltsamen Mix aus europäischen, arabischen und afrikanischen Architekturelementen zeugt. Wundervoll ist die Kirche Debre Birhan Selasie, die wegen ihrer kostbaren Ikonen zu den schönsten Äthiopiens zählt. Nicht versäumen sollte man, von hier aus einen Tagesausflug zum Tana-See zu unternehmen. Hier entspringt der Blaue Nil, der 30 Kilometer entfernt bei Tis Issat Abay auf einer Breite von 400 Metern 37 Meter in die Tiefe stürzt. Es sind mit die spektakulärsten Wasserfälle Afrikas, vor allem während der Regenzeit. Auf der Tana-Halbinsel Zeghe liegt das altehrwürdige Kloster Debre Zeyit mit ebenfalls üppig bemalten Holzpaneelen an Decke und Wänden.

Unser nächster Programmpunkt von Addis Abeba aus geht nach Aksum, der ältesten Stadt Äthiopiens mit seiner sagenhaften Geschichte: Keine Geringere als die Königin von Saba soll sie gegründet haben. Die Überreste ihres Riesenreiches, das vom heutigen Jemen bis hierher reichte, sind in verschiedenen Ausgrabungsstätten zu besichtigen: im Palast der Königin von Saba, im Palast von König Ezana und König Kaleb – einzigartige Steinmetzornamentik, gigantische Stelen, unterirdische Gewölbe. Faszinierend! Eine weitere Besonderheit hat Aksum noch zu bieten: In der modern wiedererstellten Maria Zion Kirche soll angeblich die vermißte Bundeslade untergebracht sein, die seit Urzeiten stets nur ein Lebender zu Gesicht bekommen darf. Der Versuch einer Besichtigung ist sinnlos! Entschädigt werden wir dafür mit einer sehr archaisch anmutenden Prozession der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche.

Archaik pur gibt es vor allem in Lalibela. Der kurze Flug hierher ist eine Reise in eine biblische Vergangenheit. Lalibela liegt 2630 Meter hoch in vegetationslosen Bergen völlig isoliert, weltberühmt für seine zahllosen aus dem Fels geschlagenen Kirchen, riesenhafte Monolithe, in die Tiefe des Bergs geschürft. Die schönste und wohl bekannteste ist die Bet Georgis, eine Kirche in Form eines griechischen Kreuzes, doch müssen die anderen Gotteshäuser den Vergleich nicht scheuen. Sie sind alle einmalig. Daß diese Wunderwerke von Menschenhand geschaffen sind, vermag der staunende Besucher kaum zu glauben. Doch sind sie keinesfalls museal. Hier ist noch Leben, weißgewandete Priester und Gläubige durchziehen die engen Felsgänge und bevölkern die dunklen, meist unterirdischen Kirchenräume. Wir dürfen Zeuge mehrerer Messen werden: So mag es vielleicht einst in den früh-christlichen Kirchen des ersten Jahrtausends zugegangen sein.

Unser nächstes Reiseziel ist das arabisch geprägte Harar, das im Osten den islamischen Gegenpol zum ansonsten christlich geprägten Land bildet. Hier herrscht eine muslimische Lässigkeit, die sich etwas negativ auf die Sauberkeit der Gassen auswirkt. Dennoch ist die Stadt malerisch, wenn man zur Abstraktion fähig ist.

Den Abschluß unserer aufregenden Reise führt uns in den tiefer gelegenen tropischen Süden. Hier liegen Nationalparks mit üppiger Dschungelvegetation. Welch krasser Gegensatz zum oft völlig kahlen, weil abgeholzten Hochland!

Unser Fazit trotz aller Strapazen: Äthiopien ist sicher eine der faszinierendsten Kulturnationen und Reiseziele, die es zu sehen gibt. Nur eines muß man bedenken: Auf Komfort muß man verzichten.

Foto: Kulturell und religiös von extremer Vielfalt geprägt: Äthiopien bietet zwar keinen Komfort, aber dafür Natur pur.


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