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03.05.08 / Vor der eigenen Hoftür kehren / Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner sucht Schuldige für Preisverfall bei der Milch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-08 vom 03. Mai 2008

Vor der eigenen Hoftür kehren
Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner sucht Schuldige für Preisverfall bei der Milch
von Mariano Albrecht

Verbraucher können aufatmen. Die im vergangenen Jahr um bis zu 30 Prozent angestiegenen Milchpreise fallen wieder. Als erstes senkte die Billigmarktkette Aldi die Milchpreise von rund 75 Cent pro Liter auf 61 Cent, auch bei anderen Molkereiprodukten rutschten die Preise um einige Cent ab. Andere Handelsketten zogen nach.

Was die Kunden im Supermarkt freut, bringt den Präsidenten des deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, auf die Palme. Er spricht von Raubtierkapitalismus, Preisdiktat der Handelsketten und Mißbrauch der Marktmacht. Mit einem Lieferboykott will der Bauernverband den Erhalt der gestiegenen Preise erzwingen. Eine späte Reaktion auf das, was absehbar war.

Sonnleitners Ausbrüche sind ein Ablenkungsmanöver. Vor einem Jahr erhielten die Milcherzeuger noch ruinöse 26 Cent für einen Liter Milch. Durch eine stark gestiegene Nachfrage nach Milch und Milchprodukten in Osteuropa, besonders in den EU-Beitrittsländern, war im vergangenen Jahr eine Verknappung von Milch zu verzeichnen. Auch China und Indien mußten gewohnheitsgemäß als Buhmann herhalten. Die Nachfrage überstieg plötzlich das Angebot. Die Marktgesetze machten einen rapiden Preisanstieg möglich.

Mit Blick auf die hohe Nachfrage wurde bereits für 2007 die Milchquote gelockert.

Zwischen 2007 und 2008 erzielten Milchbauern Erzeugerpreise von bis zu 40 Cent pro Liter Milch. Doch der Preis war nicht zu halten. Warum wird die Milch nun wieder billiger?

Nach Angaben des Milchindustrieverbandes hatten die Milcherzeuger im Quotenjahr 2007 / 2008 rund 300000 Tonnen Milch über der alten Quote geliefert. Hatten in der Vergangenheit große Teile der Bauernschaft auf die Einhaltung der Milchquote gedrungen, sah man nun im Bauernverband die Chance, endlich mehr Geld zu verdienen. Doch nach einem Jahr fallen die Preise auf Vorjahresniveau.

300000 Tonnen Überproduktion bei rückläufigen Exporten, bedingt durch einen starken Euro, das konnte nicht gut gehen. Hätte Sonnleitner hier auf die Verbandsmitglieder eingewirkt und einen sorgsameren Umgang mit den gelockerten Produktionsquoten durchgesetzt, wäre deutschen Bauern das gelungen, wovon zum Beispiel die Mineralölindustrie lebt: die selbständige Kontrolle der Produktionsmengen und somit die Preiskontrolle. Doch der Verband hat versagt. Offensichtlich war man nicht in der Lage, Produktionsmengen so zu koordinieren, daß ein Überschwemmen des Marktes vermieden werden konnte.

Obwohl die Milchbauern im Bauernverband und im konkurrierenden Bauernbund organisiert sind, wird offensichtlich nicht miteinander kommuniziert. Setzt sich Sonnleitner auf der einen Seite für eine Mehrproduktion ein, so wird offensichtlich verbandsintern nicht über Steuerungsinstrumente für den schwankenden Markt nachgedacht. Innovation Fehlanzeige. Ölscheichs sind da klüger. Eine fehlgeschlagene Generalprobe für die geplante Abkoppelung von den EU-Förderquoten.

Die Verbandsarbeit dient offensichtlich mehr dem Sichern von Pfründen in Form von EU-Subventionen als gemeinsamer Absprachen über Fördermengen, um die Existenz aller Verbandsmitglieder zu ermöglichen.

Gerd Sonnleitner tritt lieber medienwirksam aufs politische Parkett, statt sich um Einigkeit im Verband zu bemühen. 300 bayerische Landwirte mußten sich nach neuen Abnehmern für rund 50 Millionen Liter Milch umsehen. Das Unternehmen Müller-Milch wollte die Preise drücken, doch die Landwirte wollten die für sie ungünstigeren Konditionen nicht unterschreiben. Den Unwilligen wurden daraufhin die Verträge gekündigt.

Hier sollte der Verband eingreifen, denn die Geschlossenheit des Verbandes und die Förderung der Mitglieder sollte die Aufgabe des Vorsitzenden sein.

Mit Blick auf knallharte Verhandlungstaktiken der Molkereibetriebe scheinen die Boykottabsichten Sonnleitners höchst fragwürdig. Der Berufsstand ist uneinig. Viele Milcherzeuger fühlen sich vom Bauernverband nicht vertreten. Sie wollen sich zum Beispiel im Bund Deutscher Milchviehhalter organisieren und höhere Preise erwirken.

Doch Sonnleitners Vorwürfe an den Einzelhandel sind nicht gerechtfertigt. Ein Preisdiktat findet nicht im Supermarkt, sondern in den Molkereibetrieben statt. Das bestätigt auch Edeka-Sprecher Gernot Kasel: „Unsere Vertragspartner sind die Molkereien und nicht die Erzeuger.“ Das sollte auch Gerd Sonnleitner wissen.

Doch Sonnleitner schießt sich auf die üblichen Verdächtigen ein. Im „Stern“ entdeckt er die sogenannten Heuschrecken, Finanzinvestoren, die an den Rohstoffbörsen auch mit Agrarrohstoffen spekulieren als Ursache des Bauernübels. Eine Verbandführung, welche die einfachsten Marktgesetze ignoriert, ist auf dem Weg in den globalen Markt ein schlechter Berater.

Bis zum kompletten Wegfall der Quotenregelung bleiben deutschen Landwirten noch sieben Jahre Zeit. Im günstigsten Fall sollte der Bauernverband das vergangene Jahr als Lehrjahr hinnehmen und sich statt über die Verwendung von wegfallenden Subventionsgeldern Gedanken über eine zeit- und marktgerechte Positionierung am Markt machen.

Foto: Fühlen sich schlecht bezahlt: Deutsche Milchbauern drohen mit Lieferboykott.


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