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03.05.08 / Verdrängte Trauer / Witwer hält seine Welt an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-08 vom 03. Mai 2008

Verdrängte Trauer
Witwer hält seine Welt an

Ungewöhnlich! Unerwartet! Fast schon irre! So könnte man die Tat des Managers Pietro Paladini bezeichnen. Der in Mailand lebende Römer ist die Hauptfigur in dem Roman des italienischen Bestseller-Autors Sandro Veronesi. „Stilles Chaos“ lautet nicht nur der Titel, stilles Chaos ist hier auch Programm. Doch was ist eigentlich ein stilles Chaos?

Pietro Paladini verbringt seinen Sommerurlaub zusammen mit seiner Frau, seinem Bruder und seiner zehnjährigen Tochter Claudia am Meer. Doch während er und sein Bruder zwei von der starken Strömung ins Meer gezogene Frauen retten, verändert sich sein Leben massiv. Als er in das Ferienhaus zurückkehrt, stolz auf seine Rettungsleistung, steht schon der Krankenwagen vor der Tür. In dessen Mitte die tote Lara, daneben die Tochter.

Nach Trauerfeier und Beerdigung steht irgendwann der Alltag vor der Tür. Claudia muß zur Schule, Pietro in seine Firma, die gerade mit einem US-Konzern fusioniert. Als er Claudia jedoch vor der Schule absetzt, will er seine Tochter nicht aus den Augen lassen und so entscheidet er sich gegen jede Vernunft, im Auto vor der Schule auf seine Tochter zu warten.

Die ersten Tage finden vor allem die Mütter der anderen Kinder das Verhalten von Pietro ganz rührend, doch irgendwann fällt es negativ auf. Erstaunlicherweise passen die Menschen sich jedoch Pietros Verhalten an, denn dieser hat sich auf dem Parkplatz vor der Schule eine Art Insel geschaffen, die ihn vor der Realität und seinen drohenden Verlustschmerz schützt.

Einfühlsam beschreibt der 1959 geborene Autor, wie die Umwelt auf den Witwer reagiert. Sein Bruder, seine Schwägerin, sogar sein Chef finden den Weg zu ihm auf den Schulparkplatz und erzählen dem 43jährigen ihre Probleme. Ausgeschlossen von der Welt da draußen hört Pietro zu, gibt Ratschläge und verbringt seine Zeit damit, Passanten zu beobachten.

„Letzte Woche haben sie mich sonderbarerweise in Ruhe gelassen, alle. Niemand ist mehr gekommen, um mir von seinen Problemen zu erzählen … Ich habe Claudia zugewinkt, wenn sie ans Fenster gekommen ist, mit den Müttern ihrer Mitschülerinnen über Hautprobleme geredet …, habe mich an längst vergangene und potentiell gefährliche Dinge erinnert und eine ganze Reihe von Listen erstellt, ohne je zu leiden.“

Pietro redet sich ein, er bliebe seiner Tochter zuliebe vor der Schule, doch in Wahrheit versteckt er sich hier vor seiner Trauer, denn da er nicht richtig am Leben teilnimmt, lebt er auch selber nicht. Irgendwann jedoch zwingt ihn Claudia mit einer einfachen Bitte, sich der Realität wieder zu stellen.

Mit eindringlichen Schilderungen zeigt Sandro Veronesi einen Menschen, der seine Trauer um seine Frau auf äußerst ungewöhnliche Art verarbeitet, ohne sich dessen jedoch selber bewußt zu sein. Einfühlsam schildert der Autor wie instabil scheinbar Stabiles ist und daß abnorme Handlungen nicht gleich geistesgestört sind. Trotz einer Längen ist „Stilles Chaos“ ein sehr bewegender Roman. Bel

Sandro Veronesi: „Stilles Chaos“, Knaus, München 2007, geb., 477 Seiten, 19,95 Euro


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