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03.05.08 / Der gnädige Oberst / Man kann Befehle auch zu wörtlich nehmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-08 vom 03. Mai 2008

Der gnädige Oberst
Man kann Befehle auch zu wörtlich nehmen
von Günter Schiwy

Dem Kolonialwarenhändler Schiwy war die Frau gestorben. Daraufhin heiratete er die Witwe Winter, die den Sohn Lothar in die Ehe mitbrachte. Lothar entwickelte sich prächtig, war ein kluger Schüler und ging seinem Stiefvater Schiwy bei seinen Geschäften gut zur Hand. Da die Geschäfte allerdings schlecht gingen und der Stiefsohn 18 Jahre alt wurde, meldete er sich freiwillig zu den Soldaten. Zunächst einmal verpflichtete er sich für vier Jahre. Lothar Winter spielte mit dem Gedanken, Förster zu werden. Deshalb meldete er sich beim Jäger-Bataillon des 2. Ostpreußischen Infanterie-Regiments an. Das Regiment wurde von Oberst von Knobelsdorf geführt. Die Ortelsburger Infanteristen nannten sich “Jäger“. Sie trugen an den Schulterklappen ihrer Uniform nicht die üblichen weißen, sondern grüne Paspelierungen. Die Eliteeinheit bestand insbesondere aus Scharfschützen.

Winter hatte großes Glück. Er wurde aufgrund seiner abgelegten und gut bestandenen Eignungsprüfungen angenommen. So war er in der Nähe seines Heimatdorfes Kreuzofen stationiert und konnte gelegentlich am Wochen­ende, wenn er für besonders gute Schießübungen Sonderurlaub bekam, nach Hause fahren. 

Jäger Winter war in seiner Einheit als schlaues Bürschchen bekannt und war durch seine besonders große Intelligenz auch seinen Vorgesetzten aufgefallen. Doch nachdem er seine infanteristische Grundausbildung absolviert hatte, bestand sein Dienst insbesondere aus dem Wacheschieben, was ihm nicht besonders gefiel. Er wollte mit geist­reicheren Aufgaben betraut werden.

Wieder einmal stand der Jäger Winter am Toreingang der Kaserne auf Wache. Da erschien der Herr Oberst von Knobelsdorf am Wachhäuschen, der Winter noch nicht kannte, aber von ihm gehört hatte. Winter, der in der Kaserne nur masurisch als “Jimma“ bekannt war, machte eine stramme Meldung, von der der Oberst begeistert war.

Daraufhin sprach er ihn mit folgenden Worten an: „Die Vögel singen! Es wird Zeit, daß (der) Winter nach Hause geht!“ Winter nahm eine noch strengere Haltung an und erwiderte: „Zu Befehl, Herr Oberst!“ Dann machte er eine Kehrtwendung, ging auf seine Stube, packte den Tornister und machte sich zu Fuß auf den Weg nach Hause, weil es Nacht war und keine Züge zur Station Kurwien fuhren. Er war ja im Marschieren als Infanterist gut geübt!

Nach einer Woche erscheint in Kreuzofen beim Kolonialwarenhändler Schiwy eine Soldatenstreife aus Ortelsburg, die den Jäger Lothar Winter wegen Fahnenflucht von der Truppe festnimmt und nach Ortelsburg bringt. Hier muß sich der Fahnenflüchtige vor dem Obersten von Knobelsdorf verteidigen.

Er beschuldigt ihn unter anderem: „Wie kann so etwas nur angehen! Ich denke Sie sind Soldat! Wir kommandieren Sie zur Wache ab und Sie verlassen Ihr Wachhäuschen und gehen einfach des Nachts nach Hause! Wissen Sie eigentlich, was Sie erwartet, Sie — dummer masurischer Kerl?“

Der Jäger erwidert dem Herrn Oberst in strammer Haltung: „Herr Oberst, entschuldigen Sie bitte mein Verhalten! Aber Sie selbst waren es in jener Nacht am Kasernentor, der mir den Befehl gegeben hat, nach Hause zu gehen! Erinnern Sie sich: Sie sagten zu mir wörtlich: Die Vögel singen! Es wird Zeit, daß Winter nach Hause geht! Und da Herr Oberst mein höchster Vorgesetzter ist und ich beim Militär gelernt habe, Befehle sofort auszuführen, bin ich noch in jener Nacht zu Fuß nach Kreuzofen gegangen. Ich habe Ihren Befehl, der mir heilig ist, nur korrekt ausgeführt! Ich bin ja schließlich ,der Winter‘! Herr Oberst, ich heiße Winter!“ Der Oberst ist verunsichert und läßt den „Jäger Winter“ mit der Bemerkung wegtreten: „Winter, Sie bringen mich in Verlegenheit! Aus Ihnen wird noch einmal ein tüchtiger Soldat! Schließlich nehmen Sie Ihre Befehle wörtlich!“ 

Fazit: Das ist das Geheimnis der Gnade: Es ist niemals zu spät, großherzig zu sein! Oder: Edel sein ist gar viel mehr, als adlig sein von Eltern her!


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