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03.05.08 / Die Heilung in sich selbst / Eine Medizin zum Gesundwerden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-08 vom 03. Mai 2008

Die Heilung in sich selbst
Eine Medizin zum Gesundwerden
von Gabriele Lins

Der Winter war lang gewesen, doch nun konnten die Bewohner des Seniorenheimes „Sonne“ endlich wieder draußen sitzen und die ersten milden Frühlingsstrahlen auf ihre alten Knochen einwirken lassen.

„Dieser schreckliche Winter!“ ächzte eine ältere Dame, „ich bekomme meine Bronchitis einfach nicht mehr weg.“ Eine andere pflichtete ihr bei: „Ja, die Krankheiten haben uns alte Menschen fest in ihren Fängen! Mein Rheuma …“, und nun folgte ein langer Monolog. Niemand antwortete.

Die resolute Gerti stupste ihre Nachbarin leicht in die Seite. „Na, Frau Amelie, haben Sie denn gar kein Wehwehchen?“ Amelies Gesicht strahlte Fröhlichkeit aus. „Och“, meinte sie leichthin, „an das Zwicken in den Gelenken habe ich mich beinah gewöhnt. Ich habe nämlich ein prima Rezept gegen Schmerzen und Trübsinn, so eine Art Wundermedizin.“

Die alten Leute sahen sie skeptisch an. „Wollen Sie uns veräppeln?“

„Nicht im Geringsten!“ Frau Amelie lächelte. „Die Medizin kann sich sogar jeder selbst zubereiten. Sie besteht aus einem Eßlöffel Frohsinn und einer Prise Humor, verrührt mit einem Teelöffel Hoffnung, versetzt mit einem winzigen Schwapp Gelassenheit, und obendrauf kommen noch ein paar Likörtropfen Neugier auf das Leben; diese Mischung ergibt einen Liter Zufriedenheit, vier Mal täglich einzunehmen.“

„Seien Sie mal froh und zufrieden, wenn es überall sticht und zwackt“, erwiderte ihre Nachbarin und betupfte sich die Augen mit ihrem Jackenzipfel. Amelies Augen blitzten. „Man kann zwar aus Schwarz kein Weiß machen, aber man kann es mit Weiß mischen, und dann ist diese dunkle Farbe schon heller. Verstehen Sie, was ich meine?“

„Och, dann wird es nur ein langweiliges Grau“, mäkelte Hans Finn und strich sich gedankenvoll über die blinkende Glatze. „Ich finde, Grau ist eine sehr schöne vornehme Farbe,“ Amelies Stimme klang jetzt trotzig, „es kommt doch darauf an, wie man die Dinge sieht.“

Ein alter Herr – sie nannten ihn wegen seiner samtweichen Stimme „Elvis“ – quälte sich aus seinem Korbstuhl, pflückte aus der Reihe der Beete eine gelbe Blüte und überreichte sie Amelie mit einer Verbeugung. „Ich glaube, verehrte Frau Amelie, Ihre Medizin ist tatsächlich ein Wundermittel. Bei mir fängt es schon an zu wirken.“ Amelie errötete vor Freude.

„Sie können wirklich gut reden“, sagte Anna Sommer, und ihre Stimme hörte sich so ärgerlich an, daß sie den anderen am Gemüt kratzte, „Sie haben in Ihrem Leben bestimmt noch nicht so viel gelitten wie ich.“

Amelie lächelte wieder. „Woher wollen Sie das wissen, liebe Anna? Ich hatte vor Jahren Leukämie. Blutkrebs, wenn Ihr wißt, was das heißt. Ich habe diese Krankheit mit Gottes Hilfe überwunden. Kaum fühlte ich mich besser, starb meine Tochter durch einen Autounfall. Und als wir sie beerdigt hatten, erlag mein Mann einem Herzinfarkt. Oh ja, ich war lange Zeit am Boden zerstört. Doch dann habe ich mich zusammengerissen. Ich wollte doch leben. – Ich will leben!“

Am nächsten Morgen legte der alte Finn eine langstielige Rose auf Amelies Serviette und blinzelte verschmitzt. „Auch mir hat Ihre grandiose Medizin geholfen. Ich habe aber noch ein Viertelchen Liebe in die Tinktur getan, und siehe da – ich bin geheilt.“

Einige lachten und klatschten. Amelie tunkte ihre Nase nachdenklich in die zarten Blütenblätter der Rose. „Und aus lauter Dankbarkeit …“, Hans Finn sah jetzt so verlegen wie ein junger Mann aus, der seine Liebste zum ersten Mal um ein Date bittet, „möchte ich Sie heute Nachmittag in ein Café einladen.“ Amelie nickte. „Klar komme ich mit, Herr Finn.“

Der alte Mann sah aus, als sei er um zwei Zentimeter größer geworden. „Klasse, mit Siebzig fängt das Leben erst an!“

Lächelnd sah er die grämlichen Gesichter der anderen. Bei denen schien Amelies Wundermedizin noch nicht zu wirken. Aber irgendwann würde sie einen jeden Bewohner des Seniorenheims ein bißchen froher machen. Solange Amelie ihren Optimismus verbreitete, würde der graue Hauch der Trostlosigkeit hier nicht die Oberhand gewinnen. Jedenfalls hoffte er das.


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