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10.05.08 / Wo Maßlosigkeit regiert / Auftrag oder Chance: Wie geht es weiter bei den Bayreuther Festspielen?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-08 vom 10. Mai 2008

Wo Maßlosigkeit regiert
Auftrag oder Chance: Wie geht es weiter bei den Bayreuther Festspielen?
von Silke Osman

Ein Drama – oder ist es eine Tragikomödie – scheint an ein (vorläufiges) Ende gekommen zu sein. Geradezu Wagnerische Dimensionen hatten die Ereignisse in Bayreuth mittlerweile angenommen, wo man seit Jahren schon über die Nachfolge des Festspielleiters Wolfgang Wagner diskutierte. Nun hat der greise Imperator nach 42 Jahren Alleinherrschaft seinen Rück-tritt angekündigt. Am 31. August, just zum Ende der 97. Spielzeit und einen Tag nach seinem 89. Geburtstag wird Wolfgang Wagner die Musik-Walstatt räumen für – ja, für wen denn nun?

Die Wunsch-Kandidatinnen des Noch-Prinzipals sind seine Töchter aus zwei Ehen: Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner. Die zuvor zerstrittenen Damen sollen sich zusammentun und das Familienerbe im Sinne des Urvater Richard verwalten und zu noch größerem Ruhm führen. Die kulturpolitisch Verantwortlichen in Bayreuth, München und Berlin, die durch ihre Subventionen die Festspiele am Laufen halten, hatten einen Kompromiß gefunden, um die peinlichen Nachfolge-Querelen zu beenden.

Dieses Zwischenfinale könnte allerdings noch torpediert werden. Immerhin muß der allgewaltige Stiftungsrat am 1. September endgültig entscheiden. Bis dahin hat die Familie jetzt noch vier Monate Zeit, um mit der Dominanz ihrer vier Stimmen einen Vorschlag für die Nachfolge zu machen.

So bleibt es also spannend auf dem Grünen Hügel, auch wenn Wolfgang Wagner seinen Abschied angekündigt hat. Schließlich ist mit Nike Wagner, der intelligenten und scharfzüngigen Tochter von Wieland Wagner, immer noch zu rechnen.

Vermutlich aber wird die Leitung der Festspiele auf jeden Fall in Frauenhände gelangen, und das ist nicht neu. Cosima und Winifred haben gezeigt, daß auch zarte Frauenhände ein festes Regiment führen können. Eine Doppelspitze ist ebenfalls keine Erfindung unserer Tage. Schon einmal gab es eine solche, und zwar mit Wieland und Wolfgang Wagner. Als Wolfgang 1966 nach dem Tod des älteren Bruders die Alleinherrschaft auf dem Grünen Hügel übernommen hatte, drängte er dessen Familie an die Seite. Auch die beiden anderen Wagner-Enkel Verena und Friedelind haben nicht viel zu sagen.

Ob mit der Entscheidung der Stiftung schlußendlich der letzte Vorhang fällt, ist fraglich, denn die Nachfahren des großen Richard verstehen es auf das vorzüglichste, ihr Publikum zu unterhalten. – Ist eigentlich schon jemand auf die Idee gekommen, diese Intrigenküche à la Dallas oder Denver-Clan als Seifenoper zu verfilmen? – Wofür Urvater Richard immerhin 14 Stunden braucht (mit dem Ring des Nibelungen), damit ergötzen die Nachfahren des Komponisten ihr Publikum schon seit 125 Jahren.

Gewiß, sie leisten (meist) Hervorragendes auf musikalischem Gebiet. Inszenierungen großer Regisseure und das Wirken ebenso großer Dirigenten, der Auftritt begnadeter Sängerinnen und Sänger haben Bayreuth zu dem gemacht, was es ist. Doch ohne die Querelen und Zankereien in der Familie wäre Bayreuth eben nur ein Aufführungsort neben vielen anderen. Heute gibt es immerhin in fast jeder Stadt, in jeder Region, die etwas auf sich hält, ein Festspiel. Und so gerät Bayreuth oder besser die Familie Wagner (geschickt lanciert) immer wieder durch besondere Ereignisse in die Schlagzeilen selbst der Boulevardpresse.

Die künstliche Verknappung der Karten, die total überhöhten Forderungen auf dem sogenannten „Sekundärmarkt“ tun ihr übriges, den Opernfan Otto Normalverbraucher nicht gerade gutgelaunt nach Bayreuth blicken zu lassen. Doch alles das macht Bayreuth eben aus: Geheimniskrämerei, ein einzigartiges Herrschaftssystem, nicht zuletzt auch die Vergötterung des Meisters.

Wie aber wird es weitergehen auf dem Grünen Hügel? Ein junges Publikum wird man ansprechen müssen, das alte aber nicht vergraulen mit Inszenierungen à la Schlingensief. Bayreuth sei „der letzte deutsche Ort, an dem geistige Renitenz und ästhetischer Eigensinn ausdrücklich vorgesehen sind“, schreibt die „Rheinische Post“. „Pseudodemokratische Eroberung durch das Rasenschach der Politiker und den Rechen gelernter Intendanten kann der Grüne Hügel nicht gebrauchen. Zu Bayreuth gehört Maßlosigkeit – Wagner selbst war maßlos, sein Werk ist es nicht minder. Diese ewige Maßlosigkeit ist Bayreuths Auftrag und Chance, andernfalls kann man es vergessen.“ Wohlan denn …

Foto: Generationswechsel: Wolfgang Wagner mit seiner Tochter Katharina

 

Zeitzeugen

Cosima Wagner – Die Tochter des Komponisten Franz Liszt war die eigentliche Herrin von Bayreuth. Daß heute um die Nachfolge gestritten wird, liegt vor allem an ihrem Machtanspruch, nur die Familie könne der Welt vermitteln, was Richard Wagner wirklich wollte.

 

Winifred Wagner – Die Schwiegertochter Richard Wagners war nach dem Tode ihres Mannes Siegfried Wagner 1930 bis 1944 Leiterin der Bayreuther Festspiele. Sie war eine persönliche Freundin von Adolf Hitler, den sie 1923 in die Familie einführte. Nach Kriegsende mußte Winifred Wagner die Leitung der Festspiele an ihre Söhne Wieland und Wolfgang abgeben und zog sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück.

 

Eva Wagner-Pasquier – Die 63jährige war bereits vor sieben Jahren vom Stiftungsrat als neue Festspielleiterin gewählt worden. Wolfgang Wagner pochte damals jedoch auf seinen lebenslangen Vertrag und verhinderte so die Machtübernahme seiner Tochter aus erster Ehe, mit der er sich nach seiner Scheidung von seiner ersten Frau Ellen 1976 überworfen hatte. Eva Wagner-Pasquier wirkt seit 1987 als künstlerische Beraterin des Festivals von Aix-en-Provence und der Europäischen Musikakademie. Zuvor war sie Direktorin des Royal Opera House Covent Garden in London und Programmdirektorin der Pariser Bastille-Oper.

 

Katharina Wagner – Die Tochter aus der zweiten Ehe Wolfgang Wagners lernte bei Harry Kupfer in Berlin das Regie-Handwerk. Sie assistierte ihrem Vater und Christoph Schlingensief in Bayreuth. Ihren „Meisterbief“ erhielt sie mit der Neuinszenierung der „Meistersinger“ im vergangenen Jahr.

 

Nike Wagner – Die Tochter des 1966 verstorbenen Wieland Wagners ist die große Kritkerin Katherinas. Die Leiterin des Weimarer Kunstfests glaubt an alles, „nur nicht an die familiäre Versöhnungsgeste“. Sie warnt vor der „allgemeinen Boulevardisierung der Kultur“ auch in Bayreuth. Fachlich traut sie ihren Cousinen kaum etwas zu.


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