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10.05.08 / Ein Preuße in Bayern / Die Münchner Hypo-Kulturstiftung zeigt erstmals Werke des Breslauers Adolph Menzel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-08 vom 10. Mai 2008

Ein Preuße in Bayern
Die Münchner Hypo-Kulturstiftung zeigt erstmals Werke des Breslauers Adolph Menzel
von Silke Osman

Nichts war vor seinem Zeichenstift, vor seinem Pinsel sicher. In seinem Mantel befanden sich mehrere Taschen für die verschiedenen Skizzenblöcke sowie die weichen und harten Stifte. Er zeichnete mit der rechten wie auch mit der linken Hand gleichermaßen virtuos. Den Augenblick wollte er festhalten, die kleine Geste, die kleine, zunächst unscheinbare Szene. Entstanden sind Meisterwerke, die ihresgleichen suchen. Adolph Menzel (1815–1905) – Fachleute nennen den Breslauer, der 1830 mit seiner Familie nach Berlin übersiedelte, einen genauen Beobachter der Gegenwart und einen Chronisten der Vergangenheit.

Lange Jahre wurde er „nur“ als Maler der preußischen Geschichte angesehen; erst später erkannte man, daß der große Künstler ein genauer Beobachter, ein Schilderer seiner Zeit war, ein kritischer Zeitgenosse auch, der das bürgerliche Leben ebenso darstellte wie das höfische. Historienbilder gehören gleichermaßen zu seinem Schaffen wie zeitgenössische Schilderungen des Großstadtlebens und der Arbeitswelt. Nicht zuletzt durch diese Werke wurde Menzel zu einem Wegbereiter der Moderne.

„Menzels Leben“, schrieb 1896 der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, „bietet ein Schauspiel, das ähnliche Empfindungen wachruft wie der Anblick seiner Werke. Ein unendlicher Reichtum von Tatsachen entwickelt sich mit starker Logik aus den gegebenen Prämissen ... Was sich ihm entgegenstellte, hat er durch seine im Dienst eines unermeßlichen Arbeitsvermögens stehende Riesenkraft unterworfen.“

Menzel geradezu über die Schulter schauen kann man ab nächsten Freitag in einer Ausstellung der Münchner Hypo-Kulturstiftung, die unter dem Titel „Adolph Menzel – radikal real“ rund 230 Werke, darunter rund 70 farbige Arbeiten, und etwa 20 Fotografien zeigt. Es ist kaum zu glauben, aber es ist die erste Ausstellung in München, die dem großen Maler und Zeichner gewidmet ist. Im Mittelpunkt der Schau stehen Menzels Skizzenbücher, die wie kein anderes Werk des Breslauers die Arbeitsweise des Künstlers enthüllen. Man will auf diese Weise den „Weg von der ersten flüchtigen Wahrnehmung zur durchgearbeiteten Komposition“ nachvollziehbar machen. „Seine Form- und Ideenfindung wird damit zum eigentlichen Ausstellungsgegenstand“, so die Kuratoren.

In fünf Kapiteln will man deutlich machen, wie Menzel die Wirklichkeit sah und wie er anhand seiner Skizzen Regie über die Realität führte. Was er sah und erlebte, mußte sofort mit dem Stift festgehalten werden, das führte mitunter zu seltsamen Begebenheiten. So berichtete Paul Meyerheim in seinen 1906 erschienenen Erinnerungen an Adolph Menzel, daß er den Künstler beim Zeichnen selbst auf Begräbnisfeiern erlebt hatte. Auch wußte er von einem Herrenabend zu erzählen, bei dem Menzel einen Herrn bat, dessen Hand zeichnen zu dürfen. „Für den Herrn, der sich gern mit einer Zigarre niedergelassen hätte“, so Meyerheim, „gab es keine Gnade; er mußte sehr lange stehen bleiben, bis das kleine Meisterwerk vollendet war.“

Zum Auftakt der Münchner Ausstellung werden zunächst Menzels Person und sein Umfeld vorgestellt. Porträts der Familie und von Freunden geben Einblick in das Leben des Breslauers, der selbst keine Familie gründete, aber zu den Kindern seiner Schwester eine innige Bindung pflegte. Unter der Überschrift „Unerbittlich wahrhaftig“ begegnet der Besucher dann dem besessenen Zeichner, der vor keinem Motiv zurückschreckt. Weiter geht es mit Reise-Skizzenbüchern, die Menzels Vorliebe für solche Unternehmungen zeigen. Fahrten führten ihn unter anderem nach Bayern, Salzburg und über die Alpen nach Verona. Die Stadt München erhält so anläßlich ihres 850. Gründungsjubiläums auch eine Hommage aus der Sicht des preußischen Künstlers.

Auf sakrale und profane Seiten des Lebens trifft der Ausstellungsbesucher in dem Kapitel „Teatrum Mundi“. Von der Oper und dem Ball bis hin zur Kirche und einer Prozession führt Menzel die Betrachter der Blätter. „In besonderem Maße verlockte Menzel die Darstellung katholischer Kirchen in Süddeutschland und Österreich“, schreibt Wolfgang Hütt in der jetzt überarbeiteten und aktualisierten Ausgabe seiner Monographie „Adolph Menzel“ (E. A. Seemann Verlag, Leipzig, 144 Seiten, geb., 12,90 Euro). „Er schwelgte geradezu im Schwung gezeichneter Linien und im Nuancenreichtum gewischter Töne, kostete die Effekte des Zusammenklangs von Skulpturen, Orgelprospekten, Balustraden und geschnitzten Kanzeln und den Reiz des gedämpften Lichts aus, das durch farbige Fenster dringt. In solcher Dämmerung verwandelte sich für ihn das Sichtbare in einen Wald von Ornamenten.“

Doch hat Menzel nicht nur sein Gegenüber und seine Umwelt mit kritischem Blick betrachtet. Schließlich machte er auch vor sich selbst nicht halt. Eindringliche Selbstbildnisse aus allen Lebensphasen sind ebenso zu finden wie Blätter, die Hände und Füße des Künstlers zeigen.

Menzel, der Beobachter, der Mann mit dem Zeichenstift, der alles, was er sah, in seinem Skizzenblock festhielt, als dieser ist er auch in die Kunstgeschichte eingegangen.

Die Ausstellung „Adolph Menzel – radikal real“ in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatiner Straße 8, 80333 München, ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet, vom 16. Mai bis 31. August.

Foto: Adolph Menzel: Die rechte Hand des Künstlers mit Farbnapf (Gouache, 1864; im Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett)


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