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10.05.08 / Jurek alias Jürgen / Ein Deutscher wird Pole

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-08 vom 10. Mai 2008

Jurek alias Jürgen
Ein Deutscher wird Pole

Jürgen Haese hatte in seinem Leben noch einen anderen Namen. Von 1946 bis 1948 hieß er Jurek Musialowski. Der 1934 in Elbing Geborene hoffte, daß der neue Name ihm ein neues Leben ermöglichen könnte, nach all dem Leid, was er als Jürgen Haese erfahren mußte. Doch ein Namenswechsel hilft nicht, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Auf den Spuren dieser Vergangenheit reiste Jürgen Haese fast 60 Jahre nach den Erlebnissen in Elbing. In „Verloren in Elblag“ schildert er seine Fahrt in die heute zu Polen gehörende Stadt seiner Kindheit. Stück für Stück erfährt der Leser mehr über die dramatischen Ereignisse von einst. Da der Autor in seinem Berufsleben als Journalist tätig war, findet er die richtigen Worte, um all jene Geschehnisse von damals nachvollziehbar zu schildern. Ob Hunger, Tod, Vergewaltigung und Mutlosigkeit, immer findet Jürgen Haese eindringliche Worte ohne Pathos.

„Wie eine Rettung in höchster Not klingt ein Gerücht ...: In der Käsefabrik nahe dem Bahnhof werden die Lager geräumt …“ Doch: „Die langen Regale, deren Ende kaum abzusehen ist, sind leer ... Enttäuscht richtet sich ihr Zorn gegen jene, die genauso hungernd und aggressiv aufgeladen sind wie sie … Im Halbdunkel waten in einer undurchsichtigen milchigen Brühe die Hungernden und suchen mit ihren Füßen nach Käselaibern.“ Doch sie finden nichts. Nach diesem Fehlschlag muß der Elfjährige auch noch mit Karl Tiefensee, der den Jungen aufgenommen hat, nachdem die Mutter des Jungen nach Sibirien verschleppt wurde, auf den Friedhof, um in den gefrorenen Boden ein Grab für seinen von Russen erschossenen Vater zu schlagen. Doch als sie am nächsten Morgen die Leiche des Vaters darin beerdigen wollen, ist das mühsam in den Boden geschlagene Grab belegt. Als Jürgen auch noch erlebt, wie ein Russe seine Großmutter vergewaltigt und sein Ziehvater Karl Tiefensee totgeprügelt wird, verläßt den Jungen jeglicher Lebensmut.

Den Tränen nahe ist der Leser, wenn er erfährt, wie verzweifelt der Halbwüchsige in der Ruine seines Elternhauses nach Überresten sucht. „… seine Taschenuhr, kaum noch als solche zu erkennen. Das Ziffernblatt ist weggebrannt, … Die Suche nach einem Rest Identität ist vergebens.“ In diesem Zustand bieten ihm die Polen, die seine Heimatstadt mit Beschlag belegen, eine neue Identität. Als Pole könnte er wieder zur Schule gehen. Jürgen Haese ist bereit, für ein normales Leben seine deutsche Identität aufzugeben und nimmt gegen den Widerstand seiner Großmutter den Namen Jurek Musialowski an. Doch gerade als Jurek sich in seinem neuen Leben eingerichtet hat, stellt eine Postkarte aus Sibirien alles in Frage.

Der Autor liest am 7. Juli, 18 Uhr, in der Krypta der Nikolaikirche, Willy-Brandt-Straße, Hamburg.           Bel

Jürgen Haese: „Verloren in Elblag“, fibre, Osnabrück 2007, broschiert, 206 Seiten, 19,80 Euro


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