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10.05.08 / »Sphinx ohne Rätsel« / Napoleon III.: Ungewollter Geburtshelfer des Deutschen Kaiserreiches

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-08 vom 10. Mai 2008

»Sphinx ohne Rätsel«
Napoleon III.: Ungewollter Geburtshelfer des Deutschen Kaiserreiches
von Anne Bruch

Kaum eine politische Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts ist so wenig beachtet worden wie Kaiser Napoleon III. Sowohl die Zeitgenossen wie nachfolgende Historiker waren sich in der vorverurteilenden Darstellung seines Charakters und seiner Taten einig. Denn jede politische Aktion des zweiten französischen Kaiserreichs und jedes Handeln Napoleons III. wurden aus dem Rückblick als unabwendbarer Schritt auf dem Weg in den Deutsch-Französischen Krieg von 1870 bis 1871 betrachtet, der nicht nur das Ende des Seconde Empire bedeutete, sondern gleichzeitig der Beginn des Deutschen Kaiserreichs war.

Die größten politischen Beobachter seiner Zeit versuchten den Charakter Napoleons zu erfassen. So setzte ihn Victor Hugo als „kleinen Napoleon“ herab, Karl Marx bezeichnete ihn als „Farce“, „imperialistische Restaurationsparodie“ und „einen aus der Fremde herbeigelaufenen Glücksritter, auf den Schild gehoben von einer trunkenen Soldateska, die er durch Schnaps und Würste erkauft hat, nach der er stets von neuem mit der Wurst werfen muß“. Auch Bismarck wurde nicht schlau aus seinem politischen Gegner, den er als „Sphinx ohne Rätsel“ beschrieb. Doch wer war dieser Mann, der Frankreich mit einer vergleichbar großen Macht 22 Jahre lang, länger als jeder andere in dessen neuerer Geschichte, regierte?

Louis Napoleon wurde vor 200 Jahren am 20. April 1808 in Paris geboren. Der Sohn von Louis Bonaparte, dem Bruder Napoleons I. und König von Holland, und Hortense de Beauharnais, Stieftochter Napoleons I., wuchs im Exil in Augsburg und am Bodensee auf. Schloß Arenenberg im Schweizer Kanton Thurgau bildete sein Elternhaus, und das nahe gelegene Konstanz diente ihm als „Residenzstadt“. Hier erfuhr er seine weitere Erziehung und vor allem die erste politische Prägung. Seine Privatlehrer beeinflußten Louis Napoleon nachhaltig und brachten ihm insbesondere die Ideen des Frühsozialismus näher. Nicht umsonst widmete er sich als späterer Herrscher besonders der sozialen Frage in Frankreich. Längere Aufenthalte in Italien vervollständigten fernerhin seine humanistische Ausbildung.

Durch den Tod des Herzogs von Reichstadt 1832, des einzigen legitimen Sohnes Napoleons I., wurde Louis Napoleon das anerkannte Haupt der napoleonischen Dynastie, die durch den Wiener Kongreß als regierendes Herrscherhaus geächtet worden war. Seine dynastischen Ambitionen, die er, wieder zurück am Bodensee, vorantrieb, blieben den Großmächten nicht verborgen. Sie ließen Schloß Arenenberg und Konstanz intensiv durch Spione überwachen. Vorhersehend schrieb Fürst Metternich 1832 an den französischen Gesandten in Wien: „Ich bitte Sie, den König Louis Philippe auf die Persönlichkeit aufmerksam zu machen, die auf den Herzog von Reichstadt folgen wird. Am Tage, wo der Herzog die Augen schließt, wird sich der junge Louis Bonaparte an die Spitze der französischen Republik berufen fühlen.“ Und tatsächlich versuchte der junge Prinz zweimal in den folgenden Jahren, 1836 in Straßburg und 1840 in Boulogne sur Mer, sich durch einen Aufstand zum französischen Staatsoberhaupt ausrufen zu lassen. Beide Male scheiterte er.

Louis Napoleons Vergangenheit war also durchaus revolutionär, und seine Beteiligung am Aufstand in Italien weist darauf hin, daß er sich dem Schicksal des italienischen Volkes verbunden fühlte; seine Putschversuche in Frankreich selbst verdeutlichen, daß er von dem Glauben an die Bedeutung des Mythos „Napoleon“ überzeugt war. Diese Ideen arbeitete er in seiner Haft, die er aufgrund seines gescheiterten politischen Komplotts in der Festung von Ham absitzen mußte, weiter aus. Fernerhin beschäftigte er sich mit vielen originellen, oft gefährlichen Ideen. Er war ein charmanter Redner, eleganter Dandy und begeisterter Leser, der weit umfangreicher gebildet war als viele andere Herrscher seiner Zeit und den Königin Viktoria als „einen sehr außergewöhnlichen Mann“ bezeichnete. So beschäftigte er sich als Autodidakt mit Chemie und schrieb einen Beitrag über Rübenzucker, der in seiner Kenntnis der Materie von den Industriellen durchaus ernst genommen wurde. Und obgleich er die politischen und sozialen Bedürfnisse der Mittelschichten kannte, stand er sozialistischen Ideen nahe. Aber Louis Napoleon zeichnete sich vor allem durch seinen Einfallsreichtum in militärischen Dingen aus. Selber ein ausgezeichneter Reiter, hatte er bereits 1835 ein Artillerie-Handbuch verfaßt, das die Fachleute beeindruckte; und wenige Jahre später arbeitete er an der Verbesserung französischer Gewehre. Der Historiker David Wetzel betont in seinem Buch „Duell der Giganten“, in welchem er die Beziehung zwischen Bismarck und Napoleon III. sowie die Ursachen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 untersucht: Es entbehre nicht einer gewissen Ironie, daß Louis Napoleon 1843 ein dem preußischen System der allgemeinen Wehrpflicht ähnliches System für Frankreich empfohlen habe.

1846 gelang ihm unter abenteuerlichen Umständen die Flucht nach England. Nur zwei Jahre später wählte ihn das französische Volk mit der überwältigenden Mehrheit von 74,2 Prozent der Stimmen zum Präsidenten der Zweiten Republik. Denn Louis Napoleon war durch die Revolution von 1848 und durch ihre Niederlage nicht belastet. Er schien über den „Parteien“ zu stehen, und versprach allen etwas. So hieß es allgemein: „Napoleon rettete Frankreich vor der Anarchie und der ersten Revolution. Der Neffe dieses großen Mannes wird uns Sicherheit geben und uns aus der Verarmung retten.“ Diese „napoleonische Legende“ wurde zu einer wirksamen Wahlparole, da sie direkt an die Vergangenheit anknüpfte, mit der jeder Wähler seine eigene Erinnerung und seine eigenen Zukunftshoffnungen verbinden konnte. Für die einen repräsentierte Napoleon die Revolution, für die anderen politische und soziale Ordnung.

Der neue „Prinzpräsident“ konzentrierte sich in seiner  Regierungszeit in erster Linie auf die Außenpolitik und bereitete gleichzeitig einen neuen Staatsstreich vor. 1851 löste er das Parlament auf und ließ seine politischen Gegner, wie Alexis de

Tocqueville, verhaften. Eine neue Verfassung, die ihm nahezu diktatorische Vollmachten verlieh, wurde per Volksabstimmung angenommen. Ebenso die ein Jahr später erfolgende Proklamation des zweiten Kaiserreichs.

Die ersten zehn Jahre seiner Regentschaft waren innen- wie außenpolitisch erfolgreich. Es gelang Louis Napoleon, der sich nun Napoleon III. nannte, Frankreich aus der Isolation der Wiener Ordnung zu holen sowie deren Bedingungen zu revidieren. Darüber hinaus förderte er die Industrialisierung und den Eisenbahnbau in Frankreich, gestaltete Paris architektonisch um und konnte sich durch die dort abgehaltenen Friedenskongresse und die 1855 stattfindende Weltausstellung international profilieren.

Beschwerlicher gestaltete sich die zweite Phase seiner Regierung, auf die seine streng katholische Frau, Gräfin Eugénie de Montijo, Einfluß ausübte. Das Kaiserreich verlor zudem durch den gescheiterten Versuch, in Mexiko ein Kaiserreich zu etablieren, im eigenen Reich stark an Prestige. Während der erkrankte Napoleon III. Liberalisierungsversuche unternahm, stand die Kaiserin diesen Bemühungen ablehnend gegenüber.

Die von Bismarck redigierte „Emser Depesche“ war der Anlaß für die französische Kriegserklärung an Preußen. Die Niederlage bei Sedan im September 1870 besiegelte das Ende des zweiten Kaiserreichs. Napoleon kapitulierte und begab sich in preußische Gefangenschaft, die er auf Schloß Wilhelmshöhe in Kassel verbrachte. Nach seiner Freilassung im März 1871 folgte Napoleon seiner Frau ins englische Exil, wo er an den Folgen eines mißglückten operativen Eingriffs im Januar 1873 verstarb.

Napoleons außenpolitische Grundsätze, Pläne und Aktivitäten sind mit einer großen Widersprüchlichkeit behaftet. Er war sowohl konservativ als auch radikal, friedliebend als auch ruhmsüchtig und daher unruhestiftend. In seinen Verfassungsvorstellungen konnte er auf der einen Seite das Erbrecht der Fürsten unterstützen, auf der anderen Seite das allgemeine Wahlrecht fordern. Er verfolgte eine Politik der territorialen Expansion und appellierte gleichzeitig an das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Der Historiker Winfried Baumgart bezeichnet dies als politischen Opportunismus. Die politischen Grundsätze, die Napo-

leon III. verfolgte, hätte er ins Gegenteil verkehren können, weil er sich den Umständen des Tages, den Widerständen seiner Umgebung und der Machtkonstellationen des Europäischen Konzerts habe anpassen müssen.

Im Gegensatz dazu steht die Bewertung des französischen Historikers Jean Tulard, der Napoleon III. als überzeugten Europäer darstellt. Im Glauben an die Kraft des Rechts auf nationale Selbstbestimmung, wie er es in der italienischen Frage verteten habe, sah Napoleon III. demnach das Heilmittel für die europäischen Konflikte. Die Gegensätze zwischen den Nationen seien die Ursache für die vielen Auseinandersetzungen. Es sei daher Frankreichs Aufgabe, sich des Nationalismus anzunehmen und dessen Mission zu erfüllen. Fernerhin zeigten sich in seiner Innenpolitik erste Ansätze einer liberalen Monarchie, die sich nicht mehr von „Gottes Gnaden“ abgeleitet habe, sondern darauf bedacht gewesen sei, sich immer wieder durch Plebiszite bestätigen zu lassen.

Foto: Napoleon III.: 1852 ließ er sich zum Kaiser der Franzosen proklamieren.


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