16.04.2024

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10.05.08 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-08 vom 10. Mai 2008

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,              

liebe Familienfreunde,

in diesen Tagen werden viele Menschen unsere Zeitung in der Hand halten, die sie bisher nicht gelesen haben. Es sind die Besucher des großen Deutschlandtreffens der Ostpreußen auf dem Berliner Messegelände, die bisher keine Verbindung zu uns hatten, die als Gäste kommen, vielleicht als Begleitung von ostdeutschen Vertriebenen, oder weil sie mehr über die Heimat ihrer Eltern oder Großeltern und damit über ihre Herkunft wissen wollen. Wir werden aber auch Teilnehmer begrüßen können, die sich über Ostpreußen und seine Geschichte informieren möchten, angeregt durch die Fernsehfilme und Dokumentationen der letzten Zeit, oder weil sie sich für touristische Angebote interessieren, vielleicht schon in Masuren oder auf der Kurischen Nehrung waren und den Spuren deutscher Vergangenheit, die sie dort entdeckt haben, nachgehen wollen. Und nun werden sie beim Durchblättern der Zeitung diese Seite entdecken, in der sie unter dem Titel „Die ostpreußische Familie“ eine Art Leserbriefkasten finden, der auf den ersten Blick an einen bestimmten Kreis gerichtet ist, der sogar noch durch die Anrede „Lewe Landslied“ begrenzt erscheint, also an „die lieben Landsleute“.

Das war diese Kolumne auch einmal, als sie 1972 eingerichtet wurde – damals eine kleine Spalte, die nur einmal im Monat erschien. Es ging um Fragen und Wünsche, die unsere vertriebenen Landsleute nur hier vorbringen konnten, man suchte alte Bekannte und neue Freunde, wollte geliebte Gedichte, Bücher, Bilder und andere Erinnerungen an die verlassene Heimat wiederfinden. Weil die Erfolge alle Erwartungen übertrafen, erweiterte sich der Kreis, vor allem, als die Landsleute aus der ehemaligen DDR dazukamen, so daß das Hauptaugenmerk nun auf die Suche nach vermißten Angehörigen und Menschen aus dem ehemaligen Lebenskreis – Nachbarn, Freunde, Kameraden, Mitarbeiter – gerichtet werden mußte. Wir haben nie gezählt, wie vielen Menschen wir ein Wiederfinden vermittelt haben, aber fast in jeder Woche können wir erfolgreiche Reaktionen verzeichnen und diese an unseren Leserkreis weitergeben, der sich längst um viele „Familienfreunde“ im In- und Ausland erweitert hat und ständig wächst. Unsere Präsentation im Internet tut ein übriges.

Auch für Fragen aus den Bereichen Kunst und Wissenschaft nehmen wir heute eine erfolgreiche Mittlerrolle ein oder unterstützen die betreffenden Aktionen.

So können wir mit einem aktuellen Beispiel aufwarten, das alle Erwartungen, die wir auf eine Veröffentlichung gesetzt hatten, bei weitem übertroffen hat. Es handelt sich um ein Projekt des Universitätsklinikums Eppendorf, das die Langzeitbelastung durch Flucht und Vertreibung erforschen will. Dazu wurde eine Fragebogenaktion gestartet, um zuerst einmal die Grundlage für die groß angelegte Forschung zu erstellen. Sie wurde für rund 1000 Teilnehmer konzipiert, die hauptsächlich im Kindesalter aus ihrer ostdeutschen Heimat vertrieben wurden. Der Projektleiter Dr. Christoph Muhtz hatte sich an unseren Chefredakteur Klaus D. Voss gewandt und ihn gebeten, unsere Leser für eine Teilnahme an der Aktion zu interessieren. Die Veröffentlichung erfolgte prompt und löste eine Riesenwelle aus: Schon zwei Wochen später mußte von Projektseite eine weitere E-Mail-Adresse eingerichtet werden. Bis heute haben sich über 500 Betroffene gemeldet, die meisten haben inzwischen die Fragebögen erhalten, und viele haben es bereits geschafft, sie auszufüllen. Was nicht ganz einfach ist, einige Teilnehmer scheinen etwas überfordert zu sein. Das Angebot des Eppendorfer Teams für eine Hilfe beim Ausfüllen haben allerdings bislang nur wenige genutzt. Es gab auch einige Startschwierigkeiten, wie die verspätete Zustellung der Einverständniserklärung, die aber inzwischen überwunden sind. Die Teilnehmer, für die Hamburg erreichbar ist, sollen im Sommer noch einmal angesprochen werden, ob sie sich im UKE untersuchen lassen würden. Mit Ergebnissen wird Ende des Jahres zu rechnen sein.

Eine ebenfalls gänzlich unerwartete Reaktion hat eine 15 Zeilen kurze Leserfrage ausgelöst, die auch in Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung steht: Es handelte sich um eine „Künstlerpostkarte“, die Frau Ute Eichler erhielt, die einen „Treck im Februar 1945“ zeigen soll, denn wie sich inzwischen herausgestellt hat, erfolgte der hier abgebildete bereits im Winter 1939/40, und zwar so wohlgeordnet, wie es bei der großen Flucht Anfang 1945 nie der Fall war. Es handelt sich nämlich um den „Wolhynischen Treck“, mit dem 50000 Volksdeutsche aus der Ukraine in den „Warthegau“ umgesiedelt wurden. Ein umfangreicher Beweis kam nun aus – Mexiko. Dort hat sich Herr Dr. med. Ekkehard Schaffner aus Leon bemüht, alle Ungereimtheiten restlos aufzuklären und legt dazu 30 Seiten authentisches Material vor, das so schließlich alles, was je über diesen Treck veröffentlicht wurde, als Info-Material enthält. Es ist die wohl größte Dokumentation, die wir bisher auf eine Leserfrage erhielten. Lieber Herr Dr. Schaffner, ich kann Ihnen vorerst nur einen kleinen Dank für Ihre Mühe und Ihr großes Engagement für dieses Thema sagen, das in unserer Kolumne so unerwartete Dimensionen angenommen hat. Sie sind kein Vertriebener, aber Sie schreiben, daß Sie dieses Treck­bild schon in den 50er Jahren fasziniert hat – es war in einem Begleitheft zur Münchner Kunstausstellung 1941 abgebildet, das Ihre Mutter besaß – und den Anstoß gab, sich bis heute mit dem Thema zu befassen. „Der Gedanke an das ungeheuerliche Unrecht hat mich nie verlassen!“ Ich kann nur diesen Satz hier weitergeben, aber er steht für vieles, was Sie hierzu mitteilen, und was auch Ihre Kollegen aus Australien, Canada und Brasilien Ihnen bestätigen.

Und noch eine Information, die den Ursprung des Motivs beweist, übersandt von Herrn Heinz Csallner, der schon kurz nach der Veröffentlichung wesentlich zur Aufarbeitung des Themas beigetragen hat, kompetent auch als Autor des Buches „Zwischen Weichsel und Warthe“. Er fand jetzt ein bisher unveröffentlichtes Foto, das die endlos erscheinende Schlange der Umsiedler zeigt, Wagen an Wagen in geordneter Reihenfolge. Und den endgültigen Beweis der Authentizität liefert ein eingefügter „Aufruf des deutschen Beauftragten für die Umsiedlung“! Das nun vorhandene Material zwingt geradezu, das Thema einmal ausführlich zu behandeln. Das werden wir auch tun.

Eine E-Mail aus Frankreich. Ein bekannter Name taucht auf: Marie-Pierre Granjean. Ja, dieser Französin haben wir schon einmal helfen können, als sie die ostpreußische Familie suchte, auf deren Hof in Rauschken ihr Vater als Kriegsgefangener arbeitete. Und sich anscheinend mit den Menschen so gut verstand, daß er seiner Tochter viel erzählt hat, so daß sie nach seinem Tode von dem Schicksal der Familie Lucka wissen wollte. Und nun schreibt Mdm. Granjean also wieder. Sie sucht jetzt für eine Freundin nach der Familie, der ihr Vater als Kriegsgefangener zur Arbeit zugewiesen wurde. Es handelt sich um den ermländischen Landwirt Ernst Batzel aus Kerschdorf, Kirchspiel Springborn, Kreis Heilsberg. Der Vater der Freundin ist nie wieder gekommen, und die Tochter versucht noch immer, etwas über sein Schicksal zu erfahren. Leider teilte Marie-Pierre Granjean weder den Namen des Vaters ihrer Freundin noch deren Anschrift mit. Falls sich ein Hinweis auf die Familie Batzel aus Kerschdorf ergibt, bitte dies uns mitteilen, wir leiten die Antwort dann weiter.

An die französischen Kriegsgefangenen – und Helfer! – denkt auch Frau Erika Preuß, die vor einigen Monaten schon einmal über die furchtbaren Erlebnisse geschrieben hat, die sie als Neunjährige auf dem elterlichen Hof bei Reichensee, Kreis Lötzen beim Einmarsch der Roten Armee erleben mußte. Sie suchte eine Familie Raudschuß, die auf der Flucht bei ihnen Unterkunft gesucht hatte – so sprach jedenfalls der Franzose, der mit dieser Landwirtsfamilie gemeinsam treckte, die Frau an. Ob der Name so geschrieben wird, weiß Frau Preuß nicht, und deshalb ist es auch kein Wunder, daß es nach der Veröffentlichung keine Zuschriften gab. Dafür meldete sich ein Landsmann aus dem Nachbarort bei Frau Preuß, der sogar den Vornamen von ihrem Vater wußte. Sie haben lange gesprochen, jeder hat ja seine Geschichte. In der von Frau Preuß kommen eben auch die französischen Kriegsgefangenen vor, die in Ostpreußen noch einmal alle Grauen des Krieges miterleben mußten. Einer von ihnen hatte Erikas Vater wohl vor den Russen gerettet, als er die Zügel des Fluchtwagens ergriff. Aber sie erinnert sich auch, daß in Reichensee zwei junge Franzosen von den Russen mit Kopfschuß getötet wurden, als diese versuchten, die Vergewaltigung eines 16jähigen Mädchens zu verhindern. Dies und noch vieles mehr berichtet Frau Preuß in ihrem Brief, den ich leider nicht im vollen Wortlaut veröffentlichen kann wie so viele, die ich in letzter Zeit erhalte und die sich mit den Fluchterlebnissen in der Kindheit befassen. Es scheint, als sei ein Knoten geplatzt, wohl ausgelöst durch die TV-Filme und vermehrten Dokumentationen, viele können erst jetzt sich alles von der Seele schreiben.

So ergeht es auch Frau Christa Möller, die in zwei langen Briefen über ihre versuchte Flucht mit der Großmutter und den grausamen Jahren unter der Russenherrschaft berichtet. Heute und hier kann ich nur ein paar Fragen zu den Fluchterlebnissen bringen.

Die achtjährige Christa Koller war am 28. Januar 1945 mit ihrer Großmutter Elly Borowski von ihrem Heimatort Sensburg auf die Flucht gegangen. In Preußisch Eylau erlebten sie den Bombenangriff, dann ging es weiter zu Fuß in Eis und Schnee durch die brennenden Städte Zinten und Heiligenbeil zum Frischen Haff. Eine Nacht haben sie auf den Stufen einer Mühle verbracht, sie kamen sich geborgen vor. Am Haffufer herrschte ein wildes Durcheinander, Großmutter und Enkelin wurden nach vergeblichen Versuchen von einem Treckwagen mitgenommen. Unvergessen die furchtbaren Stunden auf dem Eis mit den einbrechenden, versinkenden Treck­wagen und den Tieffliegerangriffen der Russen, bis die Nehrung erreicht war. Frau Möller sucht nun die Familie, die sie und ihre Großmutter auf einem Wagen mit Gummirädern (eine Seltenheit unter den Treckwagen!) mitnahm, sie könnte Meyer heißen. Wer weiß, an welchem Tag im Februar ab Mittag das Haffeis so stark brach, daß viele Treckwagen versanken? Wo stand in der Heiligenbeiler Gegend eine Mühle mit Gehöft, die Straße führte weiter zum Haff. Und dann hat Frau Möller noch einen Wunsch: Sie sucht alte Aufnahmen von Gutbergen (Post Friedeck, Bahnhof Sanden), Kreis Angerapp, und von Auhof bei Braunsberg. (Christa Möller, Am Krummbach 9, 29553 Bienenbüttel.)

Aber es gibt auch andere Wünsche in unserer Ostpreußischen Familie, die Palette ist breit gefächert, und manchmal geht es auch recht heiter zu. Vor allem, wenn es sich um ostpreußische Ausdrücke handelt, die nicht enträtselt werden können.

Ich bekam eine E-Mail zugespielt, die das wohl sonderbarste Wort enthält, das mir als „ostpreußischem Urgestein“ bisher zum Enträtseln übergeben wurde. Bitte schön, lewe Landslied, was würdet Ihr mit dem Wortgebilde „Stinthengsächer“ anfangen. Es soll auf einer alten Sammeltasse stehen, die – wie der Absender angibt – aus „Mikolaiken“ stammt. Na, jetzt kommen wir des Rätsels Lösung schon näher. Der Ort heißt natürlich Nikolaiken, und gemeint ist das hölzerne Wahrzeichen der „Maränen“-Stadt, der „Stinthengst“, den die Nikolaiker sorgsam an die Kette gelegt hatten, damit er ihnen nicht die Fischgründe leer räubert. Auf keinem Andenken durfte der gekrönte Riesenfisch fehlen – so auch nicht auf der Sammeltasse, in dem er in einem Spruch verewigt ist: „Wachst, blüht und gedeiht auf allen Wegen, dies ist des Stinthengstes Segen.“ So ähnlich muß er jedenfalls lauten. Das kann ich dem Besitzer dieser kleinen Kostbarkeit nun erklären, die Erinnerungen an wasserweite, sonnendurchglühte und vom Rauchduft der goldgelben Maränen durchzogene Sommertage im masurischen Seenparadies weckt.

„Lieber Gott, das Kleinste haben wir schon auf der Nehrung begraben. Gib mir nun die Kraft, mit den drei Größeren in den Westen zu finden. Behüte uns, laß uns hell deine Sterne strahlen …“ Es ist nur ein schmales Bändchen, das mir Frau Irene Blankenburg-Kurbjuhn aus ihrem Besitz übersandte, es ist … ja, was ist es eigentlich? Ein Gebetbuch, die chronikartige Aufzeichnung eines Fluchtjahres, eine in fast dichterischer Sprache gehaltene Biographie, die unsägliche Leidensgeschichte einer Frau und Mutter, eine Klage über die verlorene Heimat? Es ist das alles und noch viel mehr, man kann es einfach nicht einordnen, zumal die Titelzeichnung – wohl auch aus der Hand der Verfasserin – recht laienhaft anmutet und damit im Gegensatz zu dem sprachlich hochwertigen Inhalt steht. Aber es war wohl gar nicht als literarisches Werk gedacht oder bewußt konzipiert, es soll nur das sein, als was es die Verfasserin bezeichnet: „Gedanken einer Mutter“. Wir haben schon einmal versucht, herauszufinden, wer sich hinter dem Autorennamen „Erika Trakehnen“ verbirgt. Frau Blankenburg-Kurbjuhn hat handschriftlich eingetragen: „Anna Schweizer, Hohenwalde, Kreis Heiligenbeil.“ Und sie fragt nun, ob „Erika Trakehnen“ die Aufzeichnungen von Frau Schweizer in Verse gesetzt oder ob diese es selber getan hat. Sie interessiert sich auch für das weitere Schicksal der Familie – ist der Vater zurückgekehrt, was wurde aus den drei Kindern? – denn in den ausklingenden Versen bittet die Mutter: „Guter Gott, verlaß meine Kinder nicht!“ Das Bändchen ist im Oktober 1979 als Eigendruck erschienen, damals hat die Verfasserin wohl in Bonn gelebt. Vielleicht interessieren sich auch die Nachkommen für diese in ihrer Art wohl einmalige Dokumentation? Antworten können an mich gerichtet werden oder an Frau Irene Blankenburg-Kurbjuhn, Dünenstraße 22, 18225 Ostseebad Kühlungsborn, Telefon (03 82 93) 1 32 94.

Abschließend noch eine kleine Korrektur zur letzten Ausgabe. Frau Helga Krause ist unter der Telefonnummer (05 11) 73 24 58 zu erreichen.

Eure Ruth Geede

Foto: Major Dr. Forstreuter, der bis 1939 in Königsberg im Generalkommando (Wehrwirtschaftsinspektion) tätig war, im Kreis seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Wer Dr. Forstreuter kannte und Näheres über ihn zu berichten weiß, wende sich bitte an Frau Regina Flatow, Friedensstraße 39, 72224 Ebhausen.


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