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17.05.08 / Wenn nicht mehr drin ist, was draufsteht / Ein Pamphlet gegen die Verfälschung der Begriffe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-08 vom 17. Mai 2008

Wenn nicht mehr drin ist, was draufsteht
Ein Pamphlet gegen die Verfälschung der Begriffe
von Lienhard Schmidt

Wir leben in einem Zeitalter der Verfälschung ganz wesentlicher Begriffe, häufig muß schon von einer totalen Sinnentleerung gesprochen werden. „Wertewandel“ ist ein besonders „leuchtendes“ Beispiel für den Verfall von Sprache und Kultur. Ehrlicher wäre es, hier von einer fahrlässig oder absichtlich herbeigeführten „Wertevernichtung“ zu sprechen. Vorrangig ist natürlich der im Laufe von Jahrtausenden in der zivilisierten Menschheit gewachsene Konsens über zwischenmenschliche Verhaltensweisen bis hin zu den Beziehungen zwischen Staat / Politik und den Bürgern gemeint, wenn von im Grunde unverzichtbaren Werten die Rede ist. Kennzeichnend in diesem Zusammenhang ist die schrumpfende Bedeutung, die den Geisteswissenschaften an den meisten Universitäten zugemessen wird, die Masse der Lehrstühle befaßt sich mit naturwissenschaftlichen Fächern, also der Materie verbundenen Bereichen. „Fortschritt“ ist heute in seiner Bedeutung überwiegend auf technischen Fortschritt verengt.

Im geistig-ethisch-moralischen Feld hingegen ist unsere Gesellschaft eher primitiver geworden. Die Infragestellung traditioneller Tugenden, die sowohl dem Gemeinwohl als auch dem Individuum weit ins Materielle hinein wertsteigernde Kräfte lieferten, hat über Generationen hin eine normbildende Dynamik geschaffen. Sie führte zu einer Ethik der Beliebigkeiten und hat bei einer wachsenden Zahl von Zeitgenossen Orientierungslosigkeit produziert. „Soziale Gerechtigkeit“ ist ein Begriff, der in einer Gesellschaft ohne Wertekonsens oft und gern als Knüppel gegen jene verwandt wird, die noch in einer Gedankenwelt leben, in der Leistung dem Lohn vorangeht. Einer der wenigen Gewerkschaftsführer, der ideologischen Vorurteilen nicht unterliegt, hat das Idealbild des Zusammenwirkens von Kapital und Arbeit so formuliert: „Guter Lohn für gute Arbeit in erfolgreichen Unternehmen.“ Hier ist eine wesentliche Facette wirklich sozialer Gerechtigkeit angesprochen, Herausforderung an Arbeitnehmer und Arbeitgeber zugleich. Stärkeren Widerhall scheinen aber demagogischpolemische Kampagnen zu finden, die den Gleichheitsbegriff breitwalzen und Ansprüche, wenn nicht Rechte, aller auf soziale Sicherheit unter Vernachlässigung eingebrachter Leistungen zur Norm erheben. Vertreter dieser These machen sich keine Gedanken, wie das Konzept des guten Lohns auch ohne oder für wenig Leistung in der realen Welt funktionieren kann. Hier wird sachliche Prüfung meist durch Hinweis auf „die Reichen“ ersetzt.

Wer die Grundrechenarten noch beherrscht, wird wissen, daß selbst die totale Enteignung aller Millionäre bei weitem nicht ausreicht, die linksextreme Version sozialer Gerechtigkeit zu finanzieren. Wohin Beseitigung des Privateigentums und zentrale „Verwaltung“ des „Volksvermögens“ führt, hat der Zusammenbruch der totalitären Regime des real existierenden Sozialismus vor weniger als 20 Jahren deutlich gemacht. Offenbar nicht deutlich genug. Unsere „Große Koalition“ ist bislang nicht in der Lage, unideologische Politik flächendeckend und überzeugend zu realisieren. Statt Freiräume für Initiativen der zu selbstverantwortlichem Handeln ermahnten Bürger zu schaffen und den Dschungel behördlicher Regelungen auf kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene nachhaltig zu lichten, geht die Gängelei weiter. So geht alles weiter wie gewohnt. Planwirtschaftliche Ansätze sind unverkennbar: Steigerung des administrativen Aufwandes für Ärzte, Apotheker und Versicherungen, Mehrkosten für die Patienten, so bei der „Gesundheitsreform“. Gelungene Politik für das „Volk“ sollte eigentlich anders aussehen. „Fortschritt“, eine Vokabel, die im Laufe der 250jährigen Entwicklung der Aufklärung immer stärkere Bedeutung gewann, ist zunehmend widersprüchlichen Deutungen ausgesetzt. Dem Fortschritt zu dienen ist für viele ein Leitmotiv, unter dessen Flagge möglichst alles, was zuvor geschaffen und geglaubt wurde, als überholt betrachtet und daher beseitigt werden sollte. Es kann kaum verwundern, wenn aus solcher Grundeinstellung eine Abqualifizierung des Konservativen als „reaktionär“, also rückwärts gewandt, erfolgt. Wie die meisten Pauschalurteile ist auch dieses unzutreffend.

Der Konservative ist keineswegs grundsätzlich gegen Reformen oder Veränderungen eingestellt, er sieht sich nur das Vorhandene genauer daraufhin an, wieweit es sich bewährt hat und als Grundstein für Besseres dienen kann. Es ist der Wirklichkeitssinn, der den Konservativen auszeichnet, und ihn den Weltverbesserern so verdächtig macht (Josef Schmid, Bamberg). Was wir uns angesichts der gewaltigen Verschiebungen wirtschaftlicher Macht, der politische und militärische zweifellos folgen werden, im alten Europa und speziell in Deutschland keinesfalls leisten können, ist ein Herumplätschern in seichten Gewässern einer Oberflächlichkeit, die der Pflege persönlichen Wohlbefindens Vorrang gibt gegenüber rechtzeitiger Vorbereitung auf die „Folgen einer Metamorphose, wie sie im Leben der Nationen nicht alle Tage vorkommt“, so Gabor Steingart in seinem Buch „Weltkrieg um Wohlstand“. Ob Politik in der Lage sein wird, die für eine zumutbare Zukunft unseres Volkes richtigen Entscheidungen zu treffen, wird auch davon abhängen, daß eindeutige Begriffe und eine Sprache benutzt werden, mit der man auch tatsächlich verstanden wird. Etikettenschwindel ist als Beitrag zur Mehrung des Gemeinwohls ungeeignet.


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