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17.05.08 / Werden die Sieger doch noch zu Verlierern? / Zwar hat der europafreundliche Boris Tadic die Wahl in Serbien gewonnen, doch die Wahlarithmetik läßt europafeindliche Koalitionen zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-08 vom 17. Mai 2008

Werden die Sieger doch noch zu Verlierern?
Zwar hat der europafreundliche Boris Tadic die Wahl in Serbien gewonnen, doch die Wahlarithmetik läßt europafeindliche Koalitionen zu
von Wolf Oschlies

Wenn 6,8 Millionen serbische Wähler binnen zwei Jahren viermal zur Wahlurne gerufen werden, dann sind sie wahlmüde, zeigen geringe Beteiligung, sind von fehlender ausländischer Unterstützung enttäuscht und gehen vielfach nationalistischer Demagogie auf den Leim. Wenn noch ein „elender“, ja „schmutziger“ Wahlkampf die Gemüter in Wallung bringt, ist Schlimmes zu befürchten.So hatten es die Auguren wochenlang prophezeit, aber als am Sonntag die Wahllokale um 20 Uhr schlossen, waren die Ergebnisse der vorgezogenen Parlamentswahlen in Serbien eine angenehme Überraschung. Die Wahlbeteiligung lag deutlich über 60 Prozent, also kaum geringer als bei den Wahlen vom Januar 2007. Überzeugender Sieger war die Koalition „Für ein europäisches Serbien“ (ZES), die Staatspräsident Boris Tadic aus seinen Demokraten (DS), der Reformpartei G17+, den Sozialdemokraten der Vojvodina und weiteren Parteien formiert hatte. 38,7 Prozent der Wählerstimmen und 103 (der insgesamt 250) Sitzen errang ZES, die ihren Erfolg als „Sieg des europäischen Serbiens“ feierte und als Bestätigung ihres Kurses hin zu europäischen Allianzen. „Serbien wird in der EU sein“, versprach Tadic, der auch DS-Vorsitzender ist, in der Wahlnacht, sein Vize Bojan Pajtic erklärte, die neue Regierung werde „in jedem Fall ein Demokrat“ leiten. „Verloren haben die Wahlen diejenigen, die sie provoziert haben“, kommentierte Dragljub Zarkic, Journalist bei der auch international angesehenen Wochenzeitung „Vreme“ (Zeit). Er meinte den amtierenden Premier Vojislav Kostunica und dessen Serbische Demokraten (DSS, 11,3 Prozent, 30 Sitze) und die Radikalen unter Tomislav Nikolic (SRS, 29,1 Prozent, 77 Sitze). DSS und SRS haben je vier Sitze eingebüßt, was ihren überaus aggressiven Wahlkampf noch nachträglich als wirkungslos charakterisierte: Nur sie seien „Patrioten“, die Gegner „Verräter“, die das Kosovo für ein „staatsfeindliches“ Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU „verkauft“ hätten. Auch des DS und ihre ZES-Partner werden „nie ein unabhängiges Kosovo anerkennen“, aber mit rein politischen Mitteln für die „territoriale Integrität Serbiens“ kämpfen und ihre Reformpolitik mit höherem Nachdruck fortsetzen. So sagte es Tadic noch in der Wahlnacht und versprach eine „rasche Regierungsbildung“.

Die Regierungsbildung 2007 hatte fünf Monate beansprucht, nun soll es schneller gehen. Aber das könnte sich als Illusion erweisen. Schlimmer noch: Aus der jetzt unvermeidlichen Wahlarithmetik wäre ein Endergebnis denkbar, welches die Sieger zu Verlierern macht. Dabei hülfe es den (noch) Siegern nicht, wenn die sieben Sitze der ethnischen Minderheiten, die nicht der Fünf-Prozenthürde unterliegen, auf ihr Konto kämen. Auch die Liberaldemokraten (LDP) von Cedomir Ivanovic, die als einzige ein unabhängiges Kosovo befürworten und zur Partnerschaft mit der ZES bereit sind, könnten nicht die Erlösung bringen. Laut dem amtlichen vorläufigen Endergebnis errangen sie nur 4,7 Prozent, fallen also komplett aus; laut der Wahlforschungsagentur CESID landeten sie bei 5,2 Prozent und 13 Sitzen, was im besten Falle 123 Sitze für ZES, Minderheiten und LDP ergäbe. „Jezicek na vagi“ (Zünglein an der Waage) sind die Sozialisten (SPS, 7,9 Prozent, 20 Sitze), die zwar nicht mehr die Nachlaßverwalter des Milosevic-Regimes sind, aber auch keine respektablen Demokraten. Wie ihre Führer in der Wahlnacht zu erkennen gaben, sind sie reine Machtpolitiker, die sich als Mehrheitsbeschaffer zu Wucherpreisen zu verkaufen gedenken. Es verblüffte, wie selbstsicher der Radikale Nikolic und Noch-Premier Kostunica sich nur wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale zu Wahlsiegern errechneten: Die letzten Wochen hätten gezeigt, daß es zwischen ihnen kaum konzeptionelle Unterschiede gäbe und eine Partnerschaft natürlich sei. Dazu kämen die Sozialisten plus der eine oder andere Minderheitensitz, womit Serbien eine rechts-nationalistische, antieuropäische Regierung bekäme „oder gar keine und folglich Neuwahlen“, wie Nikolic in bemerkenswerter Gelassenheit erklärte. Die in jeder Hinsicht ehrenwerte Belgrader Tageszeitung „Danas“ (Heute) hat am Pfingstmontag alle denkbaren Regierungskoalitionen, mit oder ohne Liberale, durchgerechnet, wonach ohne die Sozialisten keine Regierungsbildung möglich ist. Wie wird sich die SPS entscheiden? Für welchen Partner sie votiert, wird Aufschluß über ihre Läuterung vom Geist Milosevics geben. Regierungsbeteiligung ist ihr in jedem Falle sicher, aber im Verbund mit Tadics ZES wäre sie an einer europäisch geförderten Entwicklungspolitik beteiligt, während sie an der Seite von Kostunica und Nikolic Serbien erneut in inneren Verfall und auswärtige Isolation führte. Milosevic wurde im Oktober 2000 von denen gestürzt, die heute mehrheitlich bei der ZES und bei den Liberalen sind. In der Ära nach Milosevic wurde Serbien zum „Primus unter den Transitionsländern“, was Westeuropa zwar anerkennt, aber nicht honoriert.

In den letzten Monaten hat sich die EU gegenüber Serbien einfach schäbig benommen: Im Januar wurde das Stabilisierungsabkommen unter fadenscheinigen Gründen zurückgezogen, im März wurde es unterzeichnet, gleichzeitig aber außer Kraft gesetzt. Anfang Mai boten 16 EU-Länder (plus Norwegen) Serbien Visa-Erleichterungen an, während Jacques Barrot, Vizepräsident der EU-Kommission, Serbien einen „Fahrplan“ vorlegte, wie es zu Visa-Erleichterungen gelangen könne. Und ähnliche Narreteien mehr, die alle nur zwei Fragen offenlassen: Wie selbstbewußt und seiner europäischen Bestimmung sicher muß ein Land sein, das sich solche Bauernfängereien gefallen läßt? Und wie will Brüssel je südosteuropäische Sicherheits- und Entwicklungspolitik erreichen, wenn es diese stets ohne oder gegen das größte slawische Land und Volk der Region konzipiert, Serbien und die Serben?


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