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31.05.08 / London und Paris abgehängt / Berlin hat sich neben New York als weltweites Zentrum der zeitgenössischen Kunst etabliert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-08 vom 31. Mai 2008

London und Paris abgehängt
Berlin hat sich neben New York als weltweites Zentrum der zeitgenössischen Kunst etabliert
von Peter Westphal

Berlin gilt inzwischen als wichtigste Kunst- und Kulturstadt Europas. Der Sektor der Kulturindustrie wächst hier doppelt so schnell wie anderswo. 6000 Künstler sind in der deutschen Hauptstadt sogar sozialversicherungspflichtig gemeldet, widmen sich den Künsten also im Hauptberuf. Mit dieser stattlichen Zahl liegt Berlin vor allen anderen europäischen Metropolen, was einen enormen Sog ausübt: Viele der Kunstschaffenden sind aus dem Ausland an die Spree gezogen.

Noch deutlicher wird die noch junge Vormachtstellung Berlins an den etwa 400 Galerien, die zahllosen nur zeitweilig öffnenden „Off-Galerien“ nicht eingerechnet. Damit weist die Stadt die zweithöchste Galeriendichte weltweit auf – nur New York legt noch etwas mehr auf die Waage. Das ist den großen, weltweit aktiven Galeristen nicht verborgen geblieben, die in jüngster Zeit Filialen in der Metropole eröffnet haben.

Daß die deutsche Hauptstadt sich inzwischen als weltweit größte Produktionsstätte aktueller Gegenwartskunst präsentieren kann, gründet sich zum einen auf das „Art Forum Berlin“, einer Messe für zeitgenössische Kunst, die erstmals 1995 ausgerichtet worden ist. Hier werden ausschließlich neue Arbeiten internationaler Vorreiter präsentiert, statt sich mit längst bekannten Meisterwerken zu schmücken. Bis dahin hatte sich allein die „Liste Basel“ auf dieses interessante, aber kommerziell heikle Konzept eingelassen. Jahre später erst wurde es kopiert, als Konkurrenz entstanden die „Art Basel Miami Beach“ oder die „Frieze Art Fair Londen“.

Noch vor sechs Jahren hatten viele Kritiker die Messe in Berlin für nicht überlebensfähig gehalten. Doch inzwischen ist sie zum Fixpunkt der internationalen Gegenwartskunst geworden. Ein Galerist der ersten Stunde, der 1992 von Leipzig nach Berlin gezogene Judy Lybke (Galerie „Eigen+Art“), sieht hierin den Ausdruck einer internationalen Wanderungsbewegung. Nach Köln, New York City und London sei jetzt die deutsche Hauptstadt Zentrum der modernen Kunst.

Lybkes Fazit entstammt dem im Jahr 2008 produzierten Film „Berlin – arm aber sexy“ (2008) des Kunstkritikers Heinz-Peter Schwerfels (Ausstrahlung auf Arte, Donnerstag, 5. Juni 2008, 22.30 Uhr). In diesem wird der Frage nachgegangen, warum Berlin derzeit als das pulsierende Zentrum der internationalen Kunstwelt gilt. Der finanzielle Hintergrund dieses Prozesses wird ablesbar an jener Gesetzmäßigkeit, der zufolge auf die Bohème das Kapital folgt: Erst sammeln sich an einem Ort die Künstler, dann kommen irgendwann die Händler und reichen Sammler nach. So stellen jetzt erstmals Käufer aus New York und Moskau einen wesentlichen Teil der Käuferschaar in Berlin. „Kunst ist der Luxus von heute“, läßt ein passionierter Sammler wissen.

Das vermehrte Auftauchen von Investoren registriert auch die Medienunternehmerin und Kunstsammlerin Christiane zu Salm. Habe Berlin früher im eigenen Saft gekocht und sei deshalb uninteressant geblieben, sei es heute ungemein relevant: einfach deshalb, weil niemand „daran vorbeikommt“. Von der Ankunft des Großkapitals zeugt die Filiale der britischen Galerie „Haunch of Venison“, einer Tochter des weltbekannten Auktionshauses Christie’s, in der öden Brachlandschaft nördlich des Berliner Hauptbahnhofes.

Hier, in der Heidestraße, hatte man – gemeinsam mit der Frankfurter Galerie „Schuster“ – eine alte Halle als Galeriestandort etabliert. Inzwischen hat hier ein halbes Dutzend weiterer Galerien sein Domizil gefunden. Die Preise sind inzwischen gestiegen, das Areal vergeben. Auf der Fläche, die etwa doppelt so groß ist wie der Potsdamer Platz, soll in zehn bis 15 Jahren ein neuer Stadtteil entstehen. Gerade wurde ein städtebaulicher Wettbewerb hierzu entschieden.

Während die Galerieszene für junge, zeitgenössische Kunst eine einzigartige Vielfalt aufweist, fehlt es bislang aber an öffentlichen Ausstellungsräumen. Hier wird nun endlich – zumindest zeitweise – Abhilfe geschaffen: Am   6. Juni erfolgt auf der Schloßfreiheit in Berlin-Mitte der erste Spatenstich für das lange und kontrovers diskutierte Projekt „Temporäre Kunsthalle Berlin“.

Diese soll bis zum Baubeginn des „Humboldtforums“ in der rekonstruierten Hülle des Berliner Stadtschlosses im Jahr 2010 auf insgesamt 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche eine Bühne für die zeitgenössischer Kunst aus Berlin bieten.


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