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31.05.08 / Ausländerhaß oder was? / Italien hat ein Problem mit kriminellen Roma und reagiert gleich heftig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-08 vom 31. Mai 2008

Ausländerhaß oder was?
Italien hat ein Problem mit kriminellen Roma und reagiert gleich heftig
von Sophia E. Gerber

Morgens halb zehn in Rom. Im Bus Nr. 30 herrscht reges Gedränge. Plötzlich ruft ein junger Mann „Tira fuori la borsa!“ („Gib die Tasche heraus!“) und packt eine der drei Roma-Frauen am Arm. Er hatte beobachtet, wie diese kurz zuvor einer alten Dame geschickt das Portemonnaie aus der Handtasche entwendet hatte. Verschreckt läßt die Ertappte die Geldbörse mit den 400 Euro Rente auf den Boden fallen. Eine heiße Diskussion entfacht sich unter den Fahrgästen um die Migranten. „Tutte le mattine la stessa cosa!“ („Jeden Morgen dasselbe!“), „Vergognatevi!“ („Schämt euch!“) und „Dovrebbero essere espulsi!“ („Ausweisen sollte man sie!“) sind nur einige der Kommentare, die dabei fallen. Irgend jemand ruft die Polizei. Doch bevor diese zur Stelle ist, stürmen die drei Frauen mit ihren Kleinkindern aus dem Bus. Szenen wie diese spielen sich tagtäglich nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in anderen Metropolen wie Neapel und Mailand ab.

Ursprünglich eine ethnische, aus Indien stammende Bevölkerungsgruppe, gelangten die Roma ab dem 14. Jahrhundert in mehreren Migrationsschüben nach Europa. Heute leben allein in Italien etwa 140000 Roma. Die Hälfte von ihnen besitzt die italienische Staatsangehörigkeit. 30 Prozent der Roma kommen aus Rumänien und stellen damit die größte Gemeinschaft an ausländischen Immigranten in Italien dar. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens Anfang 2007 haben die Einwanderungsströme aus dem südosteuropäischen Land stark zugenommen. Die Roma leben oftmals am unwirtlichen Stadtrand in provisorischen Siedlungen, die aus baufälligen Wohncontainern und Holzhütten ohne Sanitäranlagen bestehen. Die meisten von ihnen schlagen sich mit Betteln und Diebstählen durchs Leben. In der Vergangenheit machten hier immer wieder Fälle von Mord, Vergewaltigung und Drogenhandel Schlagzeilen. Die Medien unterschieden in ihrer Berichterstattung allerdings selten zwischen den Roma, die fast ausschließlich kleinere Eigentumsdelikte verüben, und der organisierten Kriminalität unter rumänischen Einwanderern, die vor allem auf Menschenhandel, Prostitution und Kreditkartenbetrug spezialisiert sind.

In den letzten Wochen kam es zu einer weiteren Reihe dramatischer Ereignisse in verschiedenen Roma-Lagern. Anfang Mai wurde eine 16jährige Roma festgenommen. Das Mädchen hatte angeblich versucht, ein sechs Monate altes Baby aus einer Wohngegend in Neapel zu entführen. Die Tageszeitung „Il Giornale“ titelte: „Gli zingari che rubano i bambini“ („Die Zigeuner, die Kinder stehlen”). Aufgebrachte Anwohner übten daraufhin Selbstjustiz und zündeten mehrere Barackensiedlungen an. Jugendliche warfen Molotow-Cocktails gegen die Behausungen. Hunderte Roma flüchteten, bevor die Sicherheitskräfte eingriffen. Die Polizei mutmaßt, daß die neapolitanische Mafiaorganisation Camorra hinter den Ausschreitungen steckt. „Die Camorra hetzt die Bevölkerung auf, damit sich die Polizei mit den Krawallen auseinandersetzen muß und das organisierte Verbrechen in Ruhe läßt“, berichtete ein lokaler Journalist. Sowohl der Stadtrat in Neapel als auch die Sprecherin der Uno-Flüchtlingsorganisation, Laura Boldrini, verurteilten die Übergriffe zutiefst. Anti-Rassismus-Organisationen veranstalteten in Neapel eine Solidaritätskundgebung mit den Roma.

Auch die rechtskonservative Regierung unter Ministerpräsident Berlusconi distanziert sich von den Gewalttaten. Gleichzeitig will sie härtere Maßnahmen gegen illegale Einwanderung und Kriminalität ergreifen, um so der Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken. In neun italienischen Regionen führte die Polizei in Zusammenarbeit mit rumänischen Kollegen Razzien durch, unter anderem in einer Roma-Siedlung in Rom. Mehrere hundert Menschen ohne gültige Papiere wurden festgenommen, Dutzende im Eilverfahren abgeschoben. Die gesetzliche Grundlage dafür schaffte im November vergangenen Jahres noch die Mitte-Links-Koalition unter Romano Prodi. Sie beschloß nach dem Mord an einer Frau nahe einem von rumänischen Roma bewohnten Camp, daß straffällige Ausländer, auch EU-Bürger, im Interesse der öffentlichen Sicherheit sofort aus Italien ausgewiesen werden dürfen. Der neue Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord legte nun einen Sicherheitsplan vor, der nicht nur die Abschiebung krimineller Ausländer, sondern auch die Ausweisung von EU-Bürgern ohne Mindesteinkommen erleichtern soll. Italien will seine Verpflichtungen aus dem Schengen-Abkommen für ein paßfreies Reisen in Europa außer Kraft setzen und im Fall Rumäniens strengere Grenzkontrollen einführen. Zudem stellt der Entwurf die illegale Immigration unter Strafe. Angesichts der hoffnungslos überfüllten Gefängnisse und der Entstehung zusätzlicher Prozeßkosten bleibt die Umsetzung dieser Bestimmung allerdings fraglich.

Die rumänische Regierung zeigte sich angesichts der italienischen Kabinetts-pläne besorgt. Außenminister Teodor Melescanu warnte vor einer Ausländerfeindlichkeit gegen Rumänen und betonte deren wichtige Rolle für die italienische Wirtschaft. Viele von ihnen arbeiten im Straßenbau, als Hausmeister oder als Dienstmädchen. Ohne sie würde das Baugewerbe, insbesondere aber die private Altenpflege in Italien zusammenbrechen.

Doch Politik und Medien lenken die Aufmerksamkeit der italienischen Bevölkerung lieber weiterhin auf spektakuläre Straftaten ausländischer Bürger, als ihr die eigentlichen Sicherheits- und Wirtschaftsprobleme des Landes vor Augen zu halten. Die lassen sich nämlich nicht mit einfachen Ausweisungen lösen.

Foto: Die Stimmung ist aufgeheizt: Roma in einer zerstörten Siedlung.

 

Zeitzeugen

Romani Rose – Der 1946 in Heidelberg geborene Rose war seit 1979 Vorsitzender des „Verbandes Deutscher Sinti“, als er 1982 zum ersten Vorsitzenden des neuen und von ihm mitgegründeten „Zentralrats der Siniti und Roma“ gewählt wurde. Der Zentralrat sieht sich als Interessenvertretung aller Sinti und Roma. Gegner werfen Roses Organisation indes vor, lediglich einige Familienverbände zu repräsentieren.

 

Yul Brynner – Der berühmte Schaupieler war Sohn eines Schweizer Diplomaten mit mongolischen Vorfahren und einer Russin. Laut Brynner (1920–1985) stammte ein Elternteil von Roma ab. In den 70er Jahren war er als Ehrenpräsident der „International Romani Union“ aktiv am Kampf der Zigeuner um internationale Anerkennung beteiligt.

 

„Django“ Reinhardt – Der in Belgien geborene Manusch (französischer Zigeuner) Jean „Django“ Reinhardt (1910–1953) wohnte in seiner Jugend noch traditionell in einem Pferdewagen. Er lernte früh diverese Musikinstrumente spielen. Nachdem durch einen Unfall 1928 seine rechte Hand stark verbrannt wurde, entwickelte er eine vollkommen eigenwillige Spielart. Reinhardt wurde zum „Vater und Begründer“ des europäischen Jazz.

 

Marianne Rosenberg – Die 1955  geborene Sängerin ist die Tochter des langjährigen Berliner Landesvorsitzenden des „Verbandes Deutscher Sinti und Roma“ Otto Rosenberg. Als Schlagersängerin errang Marianne Rosenberg in den 70er Jahren ihre größten Erfolge. Nach einer Flaute in den 80er Jahren konnte sie ab den 90ern wieder an alte Erfolge anknüpfen.

 

Drafi Deutscher – Drafi Richard Franz Deutscher (1946–2006) beendete mit 14 die Schule und verdiente seinen Lebensunterhalt als Musiker. Schon vier Jahre später kletterte er mit „Shake Hands“ auf Platz 2 der deutschen Hitliste. Ein Jahr darauf hielt er mit „Marmor, Stein und Eisen bricht“ 21 Wochen die Nummer 1. Der Sinto Drafi Deutscher gilt als der erfolgreichste deutsche Beat-Interpret der 60er Jahre. Später machte er sich vor allem als Komponist und Produzent einen Namen.


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