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31.05.08 / Vom Tollpatsch zum Strategen / Die Zeit spielt Kurt Beck Deutschland in seine rot-rot-grünen Hände

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-08 vom 31. Mai 2008

Vom Tollpatsch zum Strategen
Die Zeit spielt Kurt Beck Deutschland in seine rot-rot-grünen Hände
von Hans Heckel

Mit der Nominierung von Gesine Schwan zur Gegenkandidatin von Bundespräsident Horst Köhler in einem Jahr haben sich Union und SPD endgültig in die Schützengräben eines innerkoalitionären Lagerwahlkampfs begeben. Als sei die Große Koalition schon geborsten, hat bereits der Streit darüber begonnen, wer am Scheitern des Bündnisses schuld sei.

Harmonisch gebärdete sich die Koalition nie, was bei einer solchen Konstellation auch kaum zu erwarten war. Die SPD hatte die 2003 unter Schröder verabschiedete, gleichwohl in der eigenen Partei von Anfang an unbeliebte Reform-Agenda 2010 mit in die Ehe gebracht. Zum Hartz-IV-Stigma kam die Führungsschwäche, die im hastigen Wechsel der Vorsitzenden von Franz Müntefering über Matthias Platzeck bis zu Kurt Beck ihren Ausdrück fand.

Auch Beck schien zunächst die Reihe der unglücklichen Vorsitzenden fortzusetzen: Schnell hatte der Pfälzer den Ruf eines ungeschickten Provinzlers weg, der nur nicht gestürzt wurde, weil keine Alternative in Sicht war.

Der vom Spott überzogene Beck leitete indes zielstrebig einen grundlegenden Strategiewechsel ein und stärkte innerhalb der SPD seine Position. Vor allem letzteres ging im allgemeinen Lästern über den scheinbar tapsigen Beck fast völlig unter.

Seine große Stunde kam auf dem Bundesparteitag in Hamburg im Oktober 2007: Hier verabschiedete sich die SPD von dem Pfad, den sie 2003 mit der Agenda 2010 eingeschlagen hatte. Umstrittene Beschlüsse der Schröder-Ära wie Hartz IV oder die Rente mit 67 sollten fortan nur noch vom Koalitionspartner CDU/CSU vertreten werden, derweil die SPD ihr „soziales Profil“ zurückgewinnt.

Außerdem gelang es Beck, die Parteispitze nach seinem Wunsch umzubauen. Keiner der drei Vizevorsitzenden hat das Zeug, ihn zu beerben: Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier gelten als weithin parteiferne Männer des Regierungsapparats; Andrea Nahles wirkt noch immer recht unerfahren und wird eindeutig als Vertreterin der SPD-Linken gesehen, was sie als Vorsitzende, die alle Flügel vereinen können sollte, wenig geeignet erscheinen läßt.

Nebenbei konnte Beck auf dem Parteitag seine Widersacher Müntefering und Clement abservieren.

Becks Marsch nach links hat ein klares Ziel: Eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene, am besten mit ihm als Kanzler. Selbst manche seiner scheinbaren Fehltritte könnten sich am Ende des Marsches als geschickt gesetzte Marksteine auf dem Weg dorthin entpuppen. So etwa sein Signal an Andrea Ypsi-lanti, der er kurz vor der Hamburg-Wahl am 24. Februar mehr oder minder freie Hand gab für Verhandlungen mit der Linkspartei in Hessen. Hamburgs Spitzenkandidat Michael Naumann klagte seinen Bundesvorsitzenden des Verrats an, und nicht wenige in der SPD wie in den Medien schüttelten den Kopf über Becks „Ungeschick-lichkeit“.

Nun stehen in Hessen die Signale erst einmal auf Halt. Allerdings wohl nur bis zur nächsten bundespolitisch wichtigen Entscheidung, der bayerischen Landtagswahl im September, bei der sich die Union blutige Nasen holen könnte. Um die bayerischen Wähler nicht in die Arme der Union zu treiben, dürfte Ypsilanti auf Becks Geheiß bis zu jenem Tag Funkstille in Richtung Linkspartei halten. Wenn die hessischen Sozialdemokraten nach der Bayernwahl schließlich doch in Koalitionsverhandlungen mit den Dunkelroten eintreten, kann Beck Vorwürfe des „Wortbruchs“ mit dem Hinweis parieren, er habe die Linksaußen-Perspektive immerhin schon vor der Februar-Wahl in Hamburg öffentlich gemacht.

Dem gleichen Rezept der langsamen, aber zielstrebigen Gewöhnung des Wahlvolks an Rot-Rot-Grün folgt die Nominierung von Gesine Schwan. Die 65jährige läßt keinen Zweifel, daß sie sich keineswegs als „Zählkandidatin“ sieht, die bloß pro forma antritt. Sie will das höchste Amt und macht bereits Wahlkampf in eigener Sache. Sie kann jedoch nur reüssieren, wenn SPD, Grüne und Linkspartei in der Bundesversammlung an einem Strang ziehen.

Daß die SPD einen eigenen Kandidaten nominiert hat, obwohl Amtsinhaber Köhler eine zweite Amtszeit anstrebt, ist überdies ein Novum in der bundesdeutschen Geschichte und heizt die Atmosphäre des heraufziehenden Lagerwahlkampfs Links gegen Rechts an. Bis zur Bundespräsidentenkür im Mai 2009 könnte eine Kooperation der SPD mit der Linkspartei in Hessen überdies schon seit einem halben Jahr Praxis sein. Ein halbes Jahr, in dem sich Medien und Öffentlichkeit an die Perspektive Linksblock weiter gewöhnt haben werden.

Für Deutschland sind die Aussichten für die kommenden anderthalb Jahre düster: Angesichts der sich teilweise dramatisch abkühlenden Weltkonjunktur wäre eine politische Führung vonnöten, die Vorkehrungen trifft für die wirtschaftlichen Tiefschläge. Doch statt sich an diese Arbeit zu machen, dürften die Koalitionäre von jetzt an mehr denn je damit beschäftigt sein, propagandistische Augenblickserfolge einzufahren und Bündnisoptionen auszubilden.

Angesichts der unvermeidlichen sozialen Folgen eines konjunkturellen Abschwungs kann Beck darauf vertrauen, daß seine SPD den schwarzen Koalitionspartner beim populistischen Wettlauf um noch mehr soziale Geschenke allemal ausstechen wird. In anderthalb Jahren könnte er, der höhnisch belächelte, als der SPD-Chef dastehen, der seine Partei aus schwierigster Lage zurück an die Kanzlermacht gekämpft hat.

Foto: Gefährliches Spiel: SPD-Chef Beck stellte Gesine Schwan als eigene Bundespräsidentschaftskandidatin vor.


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