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31.05.08 / Abschied vom »Atomtod«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-08 vom 31. Mai 2008

»Moment mal!«
Abschied vom »Atomtod«
von Klaus Rainer Röhl

Unsere Bundeskanzlerin ist eine kluge und umsichtige Frau, das weiß man. Aber man weiß auch, daß sie die Große Koalition unter fast allen Umständen am Leben erhalten will. Wenn es gar nicht mehr weitergeht, denkt sie, kommt Zeit, kommt Rat.

Seit einigen Tagen, seit der Nominierung von Gesine Schwan als nächste Bundespräsidentin, die mit den Stimmen der SPD, der Grünen und der Partei der Linken gewählt werden soll, weiß sie, daß die in der SPD tonangebende Gruppe um Beck ganz offen nach der Großen Koalition eine Regierung ansteuern will und daß diese Regierung nur eine Volksfrontregierung sein könnte – mit einem anderen Verständnis von Demokratie und auch anderen Vorstellungen von wirtschaftlicher Vernunft.

Das mag der Grund sein, warum die Kanzlerin in der letzten Woche ihrerseits die Rücksicht auf den Koalitionspartner zurückgestellt und, unter Berufung auf das gefährdete Weltklima, ganz offen die Frage der sauberen, kohlendioxydfreien Kernenergie auf die Tagesordnung gesetzt hat. Der unselige deutsche Sonderweg, die Atomkraftwerke, die zu den modernsten und sichersten der Welt gehören, freiwillig stillzulegen, wird angesichts eines allen Ländern wachsenden Bewußtseins für die vermutlichen Gefahren des Kohlendioxyd-Ausstoßes in der Welt ohnehin seit langem mit Kopfschütteln betrachtet. Gerade hat Italien den Grundstein für ein neues modernes Kernkraftwerk gelegt, Finnland plant fünf neue Atomkraftwerke (AKW), und die Schwellenländer China und Indien können sich einen Atom-Ausstieg bei rasant wachsender Volkswirtschaft schlechterdings nicht leisten. In China geht jeden zweiten Tag ein Kohlekraftwerk ans Netz. In den nächsten Jahren sollen dort 32 neue Atomkraftwerke gebaut werden.

Das Geschrei über den Vorstoß Angela Merkels ist groß. Vielleicht ist es nützlich, daran zu erinnern, aus welchen emotionalen und politischen Quellen sich der deutsche Atomausstieg einmal gespeist hat.

Der „Kampf gegen den Atomtod“ hat eine lange propagandistische Vorgeschichte. Er war immer ein Teil der kommunistischen Gesamtstrategie zur Unterminierung der demokratischen Strukturen im freien Teil Deutschlands.

Keine Raketen, keine Atome! Wir fordern die atomfreie Zone! Das sangen die von Ost-Berlin gesteuerten „Friedensfreunde“ in der Bundesrepublik. Damals ging es um Atomwaffen, 30 Jahre später ging es den Nachfolgern der Friedensbewegung um Atomkraft. Um Kernkraftwerke. Auch die sollte die Bundesrepublik nicht bauen dürfen, verkündete die „Friedensbewegung“, obwohl man in der DDR in Greifswald, von wo aus diese Bewegung gesteuert wurde, selber ein Atomkraftwerk vom gleichen Typ wie der Schrottreaktor in Tschernobyl unterhielt. Aber sowjetische Atombomben waren ja „Friedensbomben“, und ein Atomkraftwerk in Kommunistenhand mußte einfach sicherer sein als eins von den „Konzernen“ aus Profitgier ohne Rücksicht auf die Sicherheit der Menschen gebautes in der Bundesrepublik.

Der Anti-Kapitalismus hatte schon in seiner Anfangszeit immer auch anti-industrielle Züge, denn die Industrie gehörte ja den „Ausbeutern“. Nachdem die Engländer im 19. Jahrhundert mit der Dampfmaschine das industrielle Zeitalter eröffnet hatten und die deutschen Unternehmer sich beeilten, den Anschluß an die Entwicklung nicht zu verpassen, gab es schon früh auch eine anti-industrielle Bewegung. Sie fand insbesondere im Volk der Dichter und Denker Anhänger, Oberlehrer und Oberschüler, von „Des Knaben Wunderhorn“ entzückt und stets auf Suche nach der blauen Blume, warfen sich mit voller Kraft in den Kampf gegen die Maschinen. Zusammen mit den rückständigen bäuerlichen Schichten kämpften sie, wahrhaftige Vorläufer der heutigen grünen Bürgerinitiativen, gegen die erste Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth. Gegen die „gefährlichen“, zehn Kilometer in der Stunde zurücklegenden, Dampf und Ruß spuckenden Lokomotiven und das die ganze Landschaft verschmutzende Teufelswerk. Da haben wir schon den Begriff „Umweltverschmutzung“. Schmutzig ist die Industrie. Die Natur ist sauber. Die Deutschen wollten es auch sein.

Dann kamen zwei mörderische Weltkriege, die die Industrialisierung, aber auch die Massentötung in ungeahnter Weise vorantrieben. Die Schüler Rousseaus und der Jugendbewegung jedoch überlebten und gaben ihre Ideale – und Aversionen – weiter. Besonders in Deutschland. Warum gerade Deutschland? Wahrscheinlich hat noch niemand ernsthaft untersucht, warum nur bei uns die Grünen aus einer Bewegung für saubere Umwelt zu einer politisch derart einflußreichen Macht aufsteigen konnten. Dreimal dürfen Sie raten. Gewiß, die Funktionäre wie Trittin, Bütikofer, Antje Vollmer und viele andere kamen aus den radikal-kommunistischen, sogenannten K-Gruppen, die sich nach dem Zerfall der 68er gebildet hatten. Sie traten gezielt in die neugegründete Partei der Müsli-Esser und Naturschützer ein, eroberten die Macht und beherrschen die Partei bis heute. Die Basis aber ist weiterhin grün – und blauäugig. Keine Raketen, keine Atome. Zu allem Überfluß kam, wenige Jahre nach der Etablierung der Grünen, Tschernobyl. Der GAU. Es war zwar keineswegs der „größte anzunehmende Unfall“, aber es reichte auch so. Zehntausende Todesopfer. Eine mörderische Strahlendosis und erst nach Jahren auftretende tödliche Folgen für die Bewohner in der unmittelbaren Umgebung. Europaweit meßbare Strahlenschäden bei Tieren, Pflanzen, Schwangeren und Neugeborenen. Aber nicht einmal in der Ukraine und den schwer von den Folgen des Reaktor-Unglücks betroffenen Nachbarländern gab es eine solche monatelange Panik in der Bevölkerung wie ausgerechnet in Deutschland, das kein einziges Opfer der Katastrophe zu beklagen hatte. Sind Deutsche nun besonders besorgt um ihre Kinder und die anderen Völker in Europa fahrlässig?

Oder waren nicht vielmehr unsere öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalten, die Zeitungen und Zeitschriften besonders fahrlässig im Verbreiten ungeprüfter Meldungen und Kommentare? Wer erinnert sich nicht an die Fernsehsendungen von Franz Alt, wo vor der Kamera Blümchen und Kräuter welk wurden, weil sie vor dem Kernkraftwerk Stade aufgewachsen waren? Vergebens wehrten sich die AKW-Betreiber gegen die Panikmache. Wenn sie nach Jahren vor Gericht recht bekamen, hatten sich die Vorurteile schon verfestigt. „Etwas muß ja dran sein“, sagten sich die Leute. Jedenfalls gab Tschernobyl den Grünen einen außergewöhnlichen Auftrieb, der dazu ausreichte, bei der Regierungsbildung von 1998 die vorzeitige Abschaltung aller Kernkraftwerke bei ihrem Koalitionspartner durchzusetzen.

Von CDU-Unterhändlern und besonnenen SPD-Politikern wurde mit viel Mühe ein zeitlich verzögerter Ausstieg ausgehandelt. Aber der Ausstieg aus der Kernenergie (auch bei den modernsten und sichersten AKWs spätestens 2021) war beschlossen und mußte sogar bei der Bildung der Großen Koalition 2005 festgeschrieben werden. Warum ausschließlich in Deutschland? Am deutschen Wesen soll die Welt genesen? War es das? Keine schmutzige Eisenbahn nach Fürth. Sauber wollten die Vorfahren der Grünen sein, nachdem sie, mehr als ein Jahrhundert lang und in immer neuen Ausgaben übersetzt, Rousseaus „Emile oder Über die Erziehung“ gelesen hatten, ein Hohelied auf die Verbundenheit mit der Natur. Sauber sollen wir bis heute sein. Dabei verschmutzen wir täglich mehr die Atmosphäre mit Kohlendioxyd. Atomkraft – nein danke! Lieber verbrennen wir weiter Kohlenstoff wie unsere Vorfahren, die Höhlenbewohner. Fossilen Kohlenstoff: Holz, Kohle, Braunkohle, Öl. Bei dieser Verbrennung entsteht Energie, aber als Abfallprodukt eben auch Kohlendioxyd, ein umweltschädliches Gas. Und das blasen wir in die Luft, in die Athmosphäre.

Und der Energiebedarf der Welt, besonders in den Schwellenländern Indien und China, wächst täglich.

Neue Untersuchungen der Internationalen Energieagentur (IEA) haben ergeben, daß der weltweit wachsende Kohlendioxyd-Ausstoß die Gefahr einer Klimaveränderung beschleunigen wird. Einziger Ausweg: der Ausbau der Kernenergie durch den Bau neuer Atomkraftwerke. Das sei ein wesentlicher Beitrag zur Vermeidung von schädlichen Klimagasen. Der immer noch gültige Ausstiegsbeschluß der Deutschen gilt den Experten der Internationalen Energieagentur als unverantwortlich.

Auf die Idee, daß nur Kernkraftwerke (weil ohne Kohlendioxyd-Emission) die befürchtete Klimaveränderung verhindern können, sind schon viele Länder gekommen, sie bauen neue Kernkraftwerke und vergrößern so den Anteil an Kernenergie. Die Deutschen aber bleiben bei dem von Trittin versprochenen und von Gabriel verheißenen Ausstieg. Warum? Vielleicht doch wegen der Abneigung gegen den Kapitalismus? Die Alternative ist eine gelenkte Wirtschaft.

Wie aber eine gelenkte Wirtschaft funktioniert, haben uns die Sowjetunion und China 60 Jahre lang gezeigt. Es war Murks, unter Berufung auf Marx. 60 Jahre waren genug, fanden die Völker der ehemals kommunistischen Staaten. Aber nicht die von den Unis der 68er kommenden guten Deutschen, mit Rousseau unter der Bettdecke und Gandhi im Herzen. Keine Raketen, keine Atome, zurück zur Natur, und der Strom – kommt aus der Steckdose.

Foto: „Atomkraft? Nein Danke“: In Deutschland lernen schon die Kleinsten, daß Atomkraft „böse“ ist.


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