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07.06.08 / Als Kulturgut wiederentdeckt / Nach 200 Jahren am Katzentisch werden Frankreichs Regionalsprachen von der Verfassung geschützt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Als Kulturgut wiederentdeckt
Nach 200 Jahren am Katzentisch werden Frankreichs Regionalsprachen von der Verfassung geschützt
von Jean-Paul Picaper

Die Regionalsprachen sind Teil des nationalen Kulturerbes.“ Das französische Parlament hat in seltener Einmütigkeit diesen von dem Vorsitzenden des Rechtsauschusses, Jean-Luc Warsman, vorgeschlagenen Grundsatz abgesegnet und die verfassungsgebende Versammlung, eine gemeinsamen Sitzung beider Parlamentskammern, wird ihn im Juli in Versailles mit der erforderlichen Dreiviertelmehrheit bestimmt annehmen.

Der Satz wird im Sommer 2008 dem Artikel 1 der französischen Verfassung angehängt. Auf den ersten Blick widerspricht er der ersten Zeile desselben Artikels, der bestimmt, daß „die Republik eins und unteilbar“ sei. Er setzt sich auch von dem Satz ab, den Staatspräsident Jacques Chirac an den Anfang des Artikels 2 hatte einfügen lassen, daß nämlich „die Sprache der Republik das Französische ist“. Die von Nicolas Sarkozy eingeleitete Verfassungsreform wird trotzdem den Regionalsprachen Geltung verschaffen.

Nach langjährigem Zögern ist dieses Votum ein Befreiungsschlag. Man vermeidet zugleich, daß die französische Amtssprache in Frage gestellt wird. Die Regionalsprachen sind fortan ein geschütztes Kulturgut, wie etwa die Schlösser an der Loire oder die Innenstadt von Bordeaux, die seit 2007 zum Kulturerbe der Unesco gehört. Sie werden aber nicht der Amtssprache gleichgestellt. Man verwehrt damit auch, daß die Brüsseler Richtlinien ins Elsässische, ins Bretonisch-Keltische, ins Baskische und in die südfranzösische Sprache von Oc, um nur die wichtigsten zu nennen, übersetzt werden müssen, was mit hohem Aufwand verbunden wäre.

Politisch könnte es aber zur Folge haben, daß die 22 Regionen Frankreichs zu Lasten der 100 Departements gestärkt werden. Die Regionen sind mit Mitteln und Kompetenzen nicht ausreichend ausgestattet. Sie sind den Regionen und Bundesländern anderer europäischer EU-Mitglieder nicht gewachsen. Die von Sarkozy einberufene Kommission des Reformers Jacques Attali hat neulich die Beseitigung der zu kleinen und zu kostspieligen Departements zugunsten der Regionen vorgeschlagen. Die „regionalen Sprechweisen“ können diesem Vorschlag Vorschub leisten. Sie waren durch das Deixonne-Gesetz von 1951, das einigen von ihnen einen „bestimmten Wert“ zusprach und deren Unterricht in den Schulen erlaubte, vor dem sicheren Untergang gerettet worden. Aber geschützt wurden sie bisher nicht.

Die Tragweite des neuen Verfassungssatzes darf nicht unterschätzt werden. Die Revolution von 1789 hatte die Regionalsprachen beseitigen wollen. Damals führte Robespierre blutige Vernichtungskriege gegen die separatistischen, konterrevolutionären Bewegungen in Einzelteilen des Landes. Die Provinzen wurden beseitigt und in Departements zerstückelt. Der Diktator erhielt von einem Menschen Flankenschutz, der sich von ihm grundlegend unterschied. Der katholische Pfarrer Henri Grégoire (1750–1831) wurde 1793 von der Revolution beauftragt festzustellen, wie viel Prozent der Franzosen die Gesetzte der Republik lesen oder wenigstens verstehen konnten. Fast die Hälfte der Staatsbürger konnte nicht Französisch, stellte Grégoire in seinem 1794 vorgelegten Bericht über „Die Notwendigkeit, die Dialekte zu vernichten und den Gebrauch der französischen Sprache universal zu verbreiten“ fest.

„Man kann die Sprache einer großen Nation uniformieren“, schrieb der revolutionäre Abt. Dieses Unterfangen, das von keinem anderen Volk durchgeführt wurde, „ist des französischen Volkes würdig, das alle Zweige des sozialen Zusammenlebens zentralisiert und das eifrig sein muß, in einer unteilbaren und einigen Republik den einzigen und unabänderlichen Gebrauch der Sprache der Freiheit so schnell wie möglich zu verankern“. Nach dem revolutionären Einschnitt fristeten die als Dialekte von Hinterwäldlern verachteten Regionalsprachen Frankreichs ein Dasein im Untergrund. Nur noch die Landbevölkerung in den Dörfern und einige folkloristische Dichter pflegten sie. Bei allem Respekt vor den Basken und den Bretonen, vor den Elsässern und den Normanen ging es in erster Linie um die Trennung vom Nordfranzösischen und vom Südfranzösischen in den Sprachen von Oc (im Süden) und von Oil (im Norden).

Der Süden war im 13. Jahrhundert in den blutigen Albigenser-Kriegen von der Krone besiegt worden. Seine romanische Sprache, und zwar die verschiedenen Zweige der „Langue d’Oc“, das Gasconische (Aquitanien), das Okzitanische (Zentralmassiv und Toulouse), das Provenzalische (unteres Rhônetal bis zum Mittelmeer) und das Franco-provenzalische (Alpen), wurde unterdrückt.

Kein Wunder, daß Eigenart und Ursprung des Gasconischen in Aquitanien von dem deutschen Philologen Gerhard Rohlfs aus Tübingen und das Provenzalische von seinem Landsmann aus Königsberg Eduard Koschwitz erforscht und rehabilitiert wurden. 

Foto: Für die eigene Regionalsprache: Demonstranten werben für Okzitanisch.


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