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07.06.08 / Ein Leben für Gott und die Armen / Ostpreußischer Dominikaner reist zu Fuß durch die Welt, um für Bolivien Spenden zu sammeln

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Ein Leben für Gott und die Armen
Ostpreußischer Dominikaner reist zu Fuß durch die Welt, um für Bolivien Spenden zu sammeln
von Gudrun Schmidt

Man hat sie vertrieben, die Deutschen aus Pommern, aus Schlesien, aus Ostpreußen. Die meisten von ihnen fanden im Westen Deutschlands eine neue Bleibe. Zuweilen aber wanderten sie weiter und siedelten in weit entfernten Regionen unseres Erdballs. So wie Gottfried Antonius Friedrich aus dem kleinen Ort Schulen im Ermland.

Vielleicht haben Sie ihn ja vor kurzem gesehen: den schwarzen Kapuzenmantel über dem weißen Dominikanerhabit, den braunen Brotbeutel in der Linken, den Rosenkranz in der Rechten, energischen Schrittes durch unsere Straßen eilend. Alle fünf Jahre hält sich Pater Canisius auf Heimaturlaub auf und durchquert Europa zu Fuß – oder läßt sich auch schon mal per Anhalter ein Stückchen mitnehmen. Unermüdlich ist er unterwegs und sammelt Geld für seine Aufgabe, die im fernen Bolivien auf ihn wartet, wo er, der gebürtige Ostpreuße, in der historischen Silberstadt Potosi Indios und ihre Familien in Brot und Arbeit bringt und dabei die dortige fast verfallene historische Dominikanerkirche samt Kloster in altem Glanz wiedererstehen läßt.

Als Gottfried Antonius Friedrich erblickte Pater Canisius 1933 in Königsberg das Licht der Welt – „im Katharinen-Krankenhaus“, wie er gern hinzufügt. In Schulen im Kreis Heilsberg im Ermland ging er zur Schule, bis die Rote Armee einmarschierte. Noch heute erinnert er sich an die Einzelheiten. Der Vater war im Krieg, die Mutter mit vier Kindern, das jüngste gerade zwei Monate alt, allein. „Wir sollten auf dem letzten Tank mitgenommen werden, um zu fliehen“, erzählt er. „Aber die Mutter hatte Angst, daß wir bei der Kälte unterwegs erfrieren. So entschied sie sich, dazubleiben und lieber darauf zu hoffen, nicht zu denen zu gehören, die von den anrückenden Russen erschossen werden.“ Sie überlebten. Aber 90 der 400 Einwohner des kleinen Örtchens Schulen wurden von den russischen Soldaten ermordet – die meisten von ihnen waren Frauen und Kinder. 

Ende 1945 mußten die Fried-richs – wie Millionen andere Deutsche – die Heimat verlassen. Zu Fuß und in Güterwagen ging es über Allenstein und Schneidemühl in Richtung Frankfurt / Oder bis Berlin und schließlich in ein Flüchtlingslager nach Brandenburg an der Havel. Schon bald sollte sich abzeichnen, wohin den kleinen Gottfried Antonius sein Lebensweg führen würde. Er durfte in Berlin ins Canisius-Colleg zu den Jesuiten zur Schule gehen. Später lernte er die Dominikaner kennen und trat in Warburg in Westfalen in ihren Orden ein. „Mir gefielen die schönen Meßgewänder“, gesteht er lachend. „Der Pfarrer besaß sogar eine Soutane für den Winter, die mit Pelz gefüttert war, und für den Sommer hatte er noch eine „schludrige“.

Wenn Pater Canisius erzählt, dann kann er seine ostpreußische Heimat nicht verleugnen. Auch das typische „nuscht“ statt „nichts“ geht ihm noch gut über die Lippen. – Aber die schönen Meßgewänder waren natürlich nicht der eigentliche Grund für seinen Entschluß, ins Kloster zu gehen. Er wollte seinen Glauben leben und sich in den Dienst Gottes stellen, um Menschen in ihren Nöten zu helfen. Schließlich hatte er selbst genügend Elend erlebt und wußte, was es bedeutete, arm und heimatlos zu sein.

Im Jahr 1960 wurde er in Walberberg (zwischen Bonn und Köln gelegen) bei den Dominikanern zum Priester geweiht. Er verbrachte Zeiten in Frankreich und in Spanien und gelangte vor 45 Jahren ins ferne Bolivien, wo sein Einsatz es von Anfang an erforderte, ein Rundum-Talent zu sein. „Ich war und bin in Bolivien nicht nur Priester, sondern gleichzeitig Bauinspektor, Restaurator, Klostergärtner, Sparkassendirektor und natürlich Almosensammler“, beschreibt er seine Tätigkeit.

San Isidro hieß der Ort, benannt nach dem Patron der Ackerbauern, in dem er in Bolivien zunächst 15 Jahre tätig war. Mit der Idylle seiner ostpreußischen Heimat hatte diese Gegend wenig zu tun. Wenn Pater Canisius seine Schäfchen alle regelmäßig besuchen wollte, mußte er jeden Monat fast 300 Kilometer zurücklegen – nicht im Auto, sondern zu Fuß. „Das hält munter!“ Und seine ostpreußische Zähigkeit kam ihm dabei sehr zugute. So feierte er nicht nur Messen, hörte nicht nur Beichten, sondern half den Menschen, Kirchen, Schulen und Wasseranlagen zu bauen und Dorfplätze zu gestalten. „Ich habe auch einen Markt eingerichtet“, erzählt er.

Woher er das Geld für alle diese Projekte hatte? Das habe er bei seinen regelmäßigen Rundwanderungen von Dorf zu Dorf auf Festen bei den Leuten gesammelt. Schließlich sei es wichtig, daß sich jeder erst mal selbst engagiere. Wenn Geld für ein Projekt fehlte, habe er gesagt: „Wir brauchen 5000 Dollar. Wenn ihr 2000 Dollar zusammenbringt, gibt der Staat noch mal 2000 dazu. Den Rest suche ich beim lieben Gott.“ – Das habe immer funktioniert. Später richtete er sogar eine kleine Privatbank ein und verlieh Geld – gegen niedrigere Zinsen als der Staat sie verlangte. Die auf diese Weise verdienten Summen konnte er dann wieder in neue Projekte stecken.

Auch während seiner Europa-Aufenthalte nutzt er die Zeit und sammelt unermüdlich, um seinen Einsatz für die Menschen in Bolivien fortsetzen zu können. Es macht ihm dabei nichts aus, wenn er zu später Stunde keine Bleibe findet. Dann wandert er weiter oder verbringt die Nacht in einer Kirche betend vor dem Allerheiligsten, um am nächsten Morgen frisch und munter weiterzuwandern.

Seit sechs Jahren geht er einer besonders schwierigen Aufgabe nach. Er will die altehrwürdige Dominikanerkirche und das dazugehörige Kloster in Potosi, der berühmten Silberstadt, vor dem Verfall retten. Wegen der Silberbergwerke war Potosi einmal eine reiche Bergbauansiedlung. Schon um 1600 gehörte sie zu den größten Städten der Welt. Doch die üppigen Silbervorkommen erschöpften sich, und heute schuften die Menschen dort für einen Hungerlohn unter haarsträubenden Bedingungen in verrotteten Minen, um vor allem Zinn, Zink und Kupfer und die letzten Spuren Silber zu fördern. Sogar Kinder müssen in den Minen arbeiten. Kein Wunder, daß die Lebenserwartung der Menschen dort bei 38 Jahren liegt.

Das Klima in Potosi ist wenig einladend. Da die Stadt 4000 Meter über dem Meeresspiegel liegt, fallen die Temperaturen selbst zur warmen Jahreszeit nachts oft weit unter den Nullpunkt. Auch mitten im bolivianischen Sommer, zum Beispiel während der Mitternachtsmette am Heiligen Abend, kann es so kalt werden wie im ostpreußischen Winter.

Auch wenn Pater Canisius noch manches Mal in Gedanken in seiner Heimat Ostpreußen weilt, an die schöne alte Kirche in Schulen denkt, die auf Feldsteinsockel abseits des Dorfes als Backsteinbau um 1400 entstand,  ist er inzwischen zu Hause in Potosi. Immerhin sind die Dominikaner dort seit Jahrhunderten beheimatet. Die wunderschönen kolonialen Bauten der alten Silberstadt samt der Dominikanerkirche und dem Kloster zeugen immer noch vom Glanz besserer Zeiten und zählen inzwischen zum Weltkulturerbe.

Auch diese Kirchengebäude haben eine wechselvolle Geschichte. Nach der Unabhängigkeit Boliviens 1826 eignete sich der Staat den kirchlichen Besitz an und machte aus dem Kloster ein Gefängnis. Erst nach 170 Jahren, im Jahr 2001, gab er die inzwischen ziemlich verrotteten Gebäude zurück, und der Staatspräsident entschied, daß daraus wieder ein Konvent werden solle.

Obwohl noch vieles zu tun bleibt, sind die Gebäude inzwischen zu wahren Schmuckstücken herangereift. Der Staatspräsident war bei seinem Besuch so begeistert davon, daß er spontan für die Kirche eine neue schöne Kirchentür stiftete. Pater Canisius, der Ostpreuße, hat es mit unerschütterlichem Gottvertrauen geschafft, daß aus den verfallenen Gebäuden wieder ein Ort der Andacht und des Gebetes geworden ist. Und er will nicht eher ruhen, bis das Werk vollendet ist. 

Foto: Pater Canisius: In Deutschland auf Spendentour


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