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14.06.08 / Erinnern ohne Aufrechnen / Im schlesischen Petersdorf stellen sich Polen und vertriebene Deutsche offen der gemeinsamen Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-08 vom 14. Juni 2008

Erinnern ohne Aufrechnen
Im schlesischen Petersdorf stellen sich Polen und vertriebene Deutsche offen der gemeinsamen Geschichte
von Markus Schleusener

Dieser abgelegene Teil des Riesengebirges wurde erst im 15. und 16. Jahrhundert besiedelt – von Deutschen. Mitten durch das Gebiet zieht sich die böhmisch-schlesische Grenze. Die Nachkommen der ersten Siedler lebten hier bis zu ihrer gewaltsamen Vertreibung. Die Einwohner aus einem der schlesischen Dörfer sind jetzt, 62 Jahre danach, in ihr Städtchen Petersdorf zurückgekehrt, um eine Gedenktafel für die protestantische Kirche einzuweihen.

Pfarrer Winfried Pietrek trifft am Abend in seiner alten Heimat ein. Gegenüber seinem Elternhaus stehen die katholische Kirche und das dazugehörige Pfarrhaus. Dort hat Pietrek seine Erstkommunion erhalten und als Ministrant gedient. Im Pfarrhaus wird er vom polnisch-katholischen Pfarrer herzlich willkommen geheißen. Es gibt ein großes Abendbrot für Pietrek und die anderen Heimatvertriebenen, die nach und nach eintrudeln. Die Polen diskutieren eine Weile miteinander über den morgigen Tag. Dann sagt die Dolmetscherin: „Sie als deutscher Pfarrer sollen den Gottesdienst leiten. Wir machen es so, wie Sie es wünschen.“

Die Deutschen sind baff. Kein Vergleich zu damals. „Für die Polen waren wir Freiwild, rechtlos“, sagt Frau Reinhilde Gläser, die mit Pietrek im gleichen Haus gewohnt hat. Nach den Russen, die hier erstaunlich freundlich gewesen seien, da „kamen die Polen, die sich einfach nahmen, was ihnen gefiel – so auch unsere Wohnung“. An einem Junitag 1946 erfolgte dann der endgültige Befehl: Alle Deutschen müssen weg, sollen sich morgen früh mit einem Koffer einfinden, um mit dem Zug nach Görlitz gefahren zu werden.  So entledigten sich die neuen Besitzer der deutschen Einwohner.

„Vieles haben sie hier verkommen lassen“ ist ein Satz, den auch andere Petersdorfer immer wieder auf den Lippen haben. Vor allem die protestantische Kirche, für die die überwiegend katholischen Polen keinen Bedarf hatten. Sie rissen die Orgel heraus und ließen das Gebäude verfallen. 1967 brachen sie das 220 Jahre alte Gebäude ab und planierten dabei  auch gleich noch den Friedhof.

Inzwischen ist den Polen diese Geschichte sichtlich peinlich. 2008 votierte der Gemeinderat von Petersdorf (Piechowice) einstimmig dafür, einen Gedenkstein aufzustellen, wo früher die Kirche stand. Nun ist es soweit: Die Bürgermeisterin ist da. Die Feuerwehrkapelle spielt. Zeitzeugen reden. Und Pietrek weiht den Gedenkstein zusammen mit seinen polnischen Kollegen feierlich ein.

In seiner Predigt schreibt der deutsche Priester den Polen ins Stammbuch, kein Volk sei frei von Schuld. Danach fällt der Begriff „Schuld“ nie wieder. Später vermerkt eine Teilnehmerin erleichtert, daß keine deutschen Politiker dabei waren, sonst hätten die in der üblichen Aufrechnerei die Vertreibung gewiß mit der deutscher Schuld gerechtfertigt. Von den Petersdorfer Polen mache keiner solche Andeutungen.

Pietrek: „Als wir 1946 unsere irdische Heimat Petersdorf verlassen mußten, hat Stalin angenommen, er könne in Westdeutschland ein Chaos hervorrufen.“ Dies sei jedoch nicht gelungen. Obendrein hätten die Heimatvertriebenen schon 1950 auf Gewalt verzichtet.

Deutsche und Polen ruft er auf, gemeinsam „für ein christliches Europa“ zu kämpfen. Die überwiegend deutschen Teilnehmer, mindestens 100 an der Zahl, nehmen seine Worte begeistert auf. Aus allen Regionen Deutschlands waren ehemalige Petersdorfer angereist. Viele von ihnen waren schon oft seit der Wende in ihrer alten Heimat.

Aber auch viele Polen sind dabei. Iwonka Hasiec-Kukucka zum Beispiel, deren Familie aus dem früheren Ostpolen nach Schlesien verschlagen wurde. Sie sagt: „Ich bin zufrieden, wenn die Deutschen herkommen. Meine Oma konnte leider nie in die Ukraine fahren und ihre alte Heimat besichtigen. Erst war es ihr zu viel Aufregung, und jetzt ist sie tot und kann nicht mehr.“

Auf der Gedenkplatte steht: „Zum Gedenken an die evangelisch-lutherische Kirche Petersdorf und die Verstorbenen beider Konfessionen aus den bis 1945 bestehenden deutschen Gemeinden Petersdorf, Hartenberg, Kiesewald, Kaiserwaldau und Wernersdorf. Vergebe, und du wirst den Frieden finden. Johannes Paul II. Stiftung der ehemaligen Petersdorfer Anno Domini 2008“. Tafeln wie diese gibt es bereits in mehreren schlesischen Dörfern.


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