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14.06.08 / Ein Leben im Parteiadel / Gregor Gysi: Für die Stasi zu weit oben in der DDR-Hierarchie?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-08 vom 14. Juni 2008

Ein Leben im Parteiadel
Gregor Gysi: Für die Stasi zu weit oben in der DDR-Hierarchie?
von Hans Heckel

War er oder war er nicht? Die Frage nach einer möglichen Spitzeltätigkeit von Gregor Gysi beschäftigt abermals die deutsche Öffentlichkeit. Im Reichstag versuchte ein sichtlich nervöser Gysi es einmal anders: Statt darauf zu pochen, selbst ein überwachtes „Opfer der Stasi“ gewesen zu sein, was ihm kaum noch jemand abnehmen wollte, ließ der gewiefte Linkspolitiker das Plenum wissen, er habe mit der Stasi gar nicht zusammenarbeiten müssen, weil er selbst enge Kontakte zur SED- und Staatsführung gehabt habe. Will sagen: Ich kannte die Chefs, da konnte ich das Gesindel ignorieren. 

So bizarr, ja auf abstoßende Weise lakonisch diese jüngste Rechtfertigung wirken mochte – manche meinen, es sei hiermit der Wahrheit ganz nahe gekommen: Wenn man von einem „Partei- und Staatsadel“ der DDR sprechen mag, dann ist Gregor Gysi schon adlig geboren. Daß er äußerlich nichts mit den grauen Gestalten aus den roten Kaderschmieden gemein hat, mit den Ulbrichts und Honeckers, den Modrows und Krenz, das liegt in Gregor Gysis außergewöhnlicher Biographie begründet.

Vater Klaus Gysi (siehe Beitrag unten) war seit den 20er Jahren Kommunist und machte in der SBZ/DDR schnell Karriere. Der 1948 geborene Sohn Gregor wuchs so in eine Welt hinein, die den allermeisten DDR-Bewohnern so entrückt war wie der Westen Deutschlands.

Privilegiert, das waren im SED-Staat auch andere, somit auch ihre Kinder. Die Öffnung der Bonzensiedlung von Wandlitz bei Berlin aber offenbarte, wie wenig die meisten Spitzenkader mit ihrer Bevorzugung anzufangen wußten. Drückende Spießigkeit strahlte Wandlitz aus, wie ein Spiegel sinnlicher Leere und Geistlosigkeit.

Ganz anders im Hause Gysi. Im grünen Johannisthal im Südosten Berlins bewohnte die Familie von Vater Klaus und Mutter Irene eine geräumige Villa, um Gregor und seine zwei Jahre ältere Schwester Gabriele kümmerte sich ein Kindermädchen. Die Mutter stammt aus den besseren Kreisen der alten russischen Metropole St. Petersburg, Großmutter Tatjana Lessing, eine geborene von Schwanenbach, lebte in West-Berlin in wohlhabenden Verhältnissen. Die Gysis, Juden und Kommunisten, führten nach Beschreibungen Gregors wie nach denen von Freunden und Bekannten einen Lebensstil, der dem des – im Grunde „klassenfeindlichen“ – gebildeten Großbürgertums entsprach. Neben Künstlern, Theaterleuten, Schriftstellern und Intellektuellen aus Rußland oder der DDR gehen auch geistreiche Freunde und alte kommunistische Kampfgefährten aus den USA und Westeuropa ein und aus. Es habe stets ein offenes Diskussionsklima geherrscht, und diskutiert worden sei eigentlich ständig, so Gregor Gysi später. Hier hat seine selbst bei schärfsten Kritikern anerkannte Eloquenz ihren Ursprung.

Der spätere SED/PDS-Chef räumte eines Tages ein, daß ihm der Grad der Abschottung der DDR kaum bewußt gewesen sei. „Seine“ DDR war eben nicht die der 17 Millionen anderen. Seine Herkunft, gepaart mit seinem unbestrittenen Talent, ermöglichten ihm eine Bilderbuchkarriere: Nach dem Beitritt zur SED mit 18 Jahren und dem Jura-Studium  wird der erst 23jährige Gysi schon 1971 zum Rechtsanwalt zugelassen. Eine Spitzenstellung, denn in der gesamten DDR gab es kaum 600 Rechtsanwälte. 1988 steigt er gar zum Vorsitzenden des Kollegiums der Rechtsanwälte Berlin und des Rates der Vorsitzenden der Anwaltskollegien (der 14 Bezirke) der DDR auf. Er war jetzt der Chef aller Rechtsanwälte in der DDR. Die nächste Sprosse nach oben wäre der Posten des Justizministers gewesen, doch die DDR hatte da bekanntlich nicht mehr lange.

Die SED übertrug dem jungen Gysi schon den 70er Jahren die heikle Aufgabe, bekannte Regimekritiker zu „betreuen“. Dies allein zeigt das große Vertrauen, das Honecker und die Seinen in den Berliner Juristen setzten.

Diese Aufgabe war nicht darauf gerichtet, die Interessen der Mandanten mit aller Zähigkeit gegen den kommunistischen Staat durchzusetzen. Getreu dem Leitsatz „Die Partei hat immer Recht“ ging es vielmehr darum, auf die Mandanten einzuwirken, ihre vermeintlich „zersetzenden“ Aktivitäten einzustellen oder wenigstens soweit abzuschwächen, daß sie vom Regime als ungefährlich eingestuft werden könnten.

Gysi war die Idealbesetzung für eine solche Rolle aus Mittler und Erzieher gleichermaßen: Er beherrschte die Sprache der Freigeister aus seinem „großbürgerlichen“ Elternhaus, war indes, ebenso von dort geprägt, ein zutiefst überzeugter Gewährsmann des roten Regimes.

Die Frage: Hat er Informationen aus Mandantengesprächen und anderen Unterhaltungen an die Stasi gemeldet oder nicht, ist damit allein nicht beantwortet. Er sagt, er habe das im Hinblick auf seine direkten Kontakte in die Spitze des Staates gar nicht nötig gehabt, scheint ob dieser Biographie einerseits folgerichtig. Andererseits lösen Sätze wie „Ich war es nicht, weil ...“ statt einfach nur „Ich war es nicht, basta!“ spontanen Verdacht aus.

Die Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler, jedenfalls bleibt dabei: Unterlagen wiesen im Zusammenhang mit dem Regimekritiker Robert Havemann auf einen Stasi-IM hin, „und der kann nur Gregor Gysi gewesen sein“, so Birthler laut „Frankfurter Allgemeine“.

Es geht dabei auch um einen damaligen Schüler, der behauptet, von Gysi nach einem Gespräch bei Havemann im Auto mitgenommen worden zu sein. Während der Fahrt habe er Gysi seine (ablehnende) Haltung zur DDR gebeichtet. Diese Äußerungen seien später in seiner Stasi-Akte aufgetaucht, wohin sie nur durch Gysi selbst hätten gelangen können.

Die Auseinandersetzungen um den schillernden Demagogen Gysi dürften anhalten. Ein historisches Phänomen ersten Ranges ist er ohnehin: Niemand sonst hat sich so bruchlos über die Revolution hinweg aus der Führungselite der DDR hinübergerettet in die Spitze der politischen Klasse der Bundesrepublik.

Foto: Die Vergangenheit von Gregor Gysi ist Hort vieler Spekulationen.

 

Zeitzeugen

Günter Schabowski – Das ehemalige Mitglied des Politbüros des ZK der SED äußerte sich rückblickend wie folgt: „Am meisten bedrückt mich, daß ich ein verantwortlicher Vertreter eines Systems war, unter dem Menschen gelitten haben …“

 

Karl Wienand – Am 26. Juni 1996 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf den von 1947 bis 2002 der SPD angehörende Politiker wegen Spionage zugunsten der DDR zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Million D-Mark Geldstrafe. Mit Urteil vom 28. November 1997 verwarf der Bundesgerichtshof die von Wienand eingelegte Revision, wodurch das Urteil rechtskräftig wurde. 1999 wurde der Spion durch den Bundespräsidenten begnadigt, die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

 

Manfred Stolpe – Während seiner hauptamtlichen Verwaltungstätigkeit in der „Kirche im Sozialismus“ hatte der Sozialdemokrat regelmäßige Kontakte zur Stasi.  Laut der Birthler-Behörde ist der Sozialdemokrat unabhängig von der Frage, ob er je als Mitarbeiter rekrutiert worden ist, als IM „Sekretär“ und über 20 Jahre hinweg als „ein wichtiger IM im Bereich der evangelischen Kirche der DDR“ in den Akten des MfS geführt worden. Spätere Aktenfunde, zuletzt 2003, hätten diese Bewertung weiter untermauert. 1978 wurde ihm die Verdienstmedaille der DDR verliehen.

 

Wolfgang Vogel – Der Vertraute Erich Honeckers organisierte den ersten Agentenaustausch des Kalten Krieges. Diesem Gesellenstück folgte die Organisation weiterer Austausche. Zudem wurde der Jurist zu dem Ansprechpartner der Bundesregierung beim Freikauf von DDR-Häftlingen.

 

Lothar de Maizière – Nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl vom 2. Dezember 1990 veröffentlichte der „Spiegel“ das Ergebnis von Recherchen, wonach der Christdemokrat bei der Stasi als inoffizieller Mitarbeiter unter dem Decknamen „Czerni“ geführt worden sei. Daraufhin trat er am 17. Dezember 1990 von seinem Amt als Bundesminister für besondere Aufgaben zurück. Heute ist er Vorsitzender der Stiftung Denkmalschutz Berlin.


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