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14.06.08 / Zuckerwerk und Totenschädel / Das Frankfurter Städel Museum zeigt eine Ausstellung mit Stilleben aus vier Jahrhunderten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-08 vom 14. Juni 2008

Zuckerwerk und Totenschädel
Das Frankfurter Städel Museum zeigt eine Ausstellung mit Stilleben aus vier Jahrhunderten

Tautropfen auf zarten Blütenblättern, Lichtreflexe auf kostbarem Silbergeschirr, kandiertes Zuckerwerk in blau-weißen chinesischen Porzellanschälchen, das weiche Gefieder eines toten Singvogels, der fahle Ton eines Totenschädels – Stilleben faszinieren bis heute durch den nahsichtigen Blick auf nicht lebende, doch keineswegs leblose Gegenstände, die mit malerischer Raffinesse wiedergegeben werden. Doch war die Stillebenmalerei alles andere als eine rein ästhetische Angelegenheit, als die sie der heutige Betrachter meist wahrnimmt: In ihr spiegelten sich nicht nur Vergänglichkeitsgefühl und Erlösungsbedürfnis, sondern auch die Freude an der bildlichen Darstellung von exotischen Handelswaren, mit denen etwa die niederländischen Kaufleute ihr Vermögen erworben hatten.

Die Ausstellung „Die Magie der Dinge. Stillebenmalerei 1500–1800“, welche die hochkarätigen Bestände des Städel Museums, des Hessischen Landesmuseums Darmstadt und des Kunstmuseums Basel vereint, spannt mit über 90 Meisterwerken von Jan Brueghel d. Ä. bis Hans Holbein den Bogen der Stillebenmalerei in den Niederlanden und in Deutschland vom späten 15. bis ins späte 18. Jahrhundert. Damit breitet sie ein Panorama der verschiedenen Spielarten des Stillebens aus, das die sachlich ausgerichteten Werke des frühen 17. Jahrhunderts ebenso umfaßt wie die späteren Prunkstilleben, „Mahlzeiten“ ebenso wie üppige Blumensträuße oder pittoreske Tierstilleben.

Seit seiner Emanzipation von der religiösen Malerei des Spätmittelalters, wo Gegenstände ihre Bedeutung in erster Linie als Symbole oder Attribute entfalteten, diente das Stilleben zunächst vor allem der Erfassung und Deutung der „stilliegenden“ Dinge aus der Alltagswelt des Betrachters. In ihnen spiegelten sich die Ordnung und Struktur der übergeordneten abstrakten Welt der Barockzeit: die Sinne oder das jeweilige Temperament des Menschen etwa, die Elemente oder die Jahreszeiten, die seine Welt prägten, oder die Vergänglichkeit und Erlösungsbedürftigkeit der sündigen Menschheit insgesamt.

 Doch schon im 17. Jahrhundert fand im Stilleben auch die wirtschaftliche Lebenswelt und Realität sowohl der Maler als auch der Sammler und Auftraggeber ihren Niederschlag: Dieselben Kaufherren und Investoren, die vor allem in den Niederlanden den Aufstieg ihres Landes zur Handelsweltmacht Nummer eins betrieben und exotische Handelswaren aus aller Herren Länder nach Europa importierten, bestellten auch Stilleben für die Dekoration ihrer Stadtpalais und Landhäuser, auf denen die Quellen ihres Reichtums wie exotische Gewürze, venezianisches Glas oder chinesisches Porzellan abgebildet waren.

Durch die Konzentration auf einige wenige, oft gleich bleibende Objekte konnte das Stilleben schließlich aber auch zum idealen Experimentierfeld künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten werden. Die anfangs so präsente inhaltliche Aufladung vieler Stillleben trat nun zugunsten der malerischen Gestaltung in den Hintergrund, ohne indes ganz fortzufallen. Gerade in der hierarchisch als niedrig eingestuften Gattung des Stillebens mußten sich die spezifischen Fähigkeiten des Künstlers zeigen, beruhten Reiz und Wert eines Werks entscheidend auf der Komposition, der sinnreichen Zusammenstellung der Gegenstände, dem überzeugenden Kolorit und dem gekonnten Pinselstrich. So legen die Gemälde auch Zeugnis ab von der Könnerschaft in der augentäuschenden Wiedergabe unterschiedlichster Materialien und Oberflächen. Verschiedenartige Beleuchtungen, von der gleichmäßigen Helligkeit des Tages bis zum schwachen Schein einer einzelnen Kerze, werden erprobt und für die Inszenierung mannigfaltiger Situationen und Stimmungen nutzbar gemacht.

Am Beginn der Ausstellung, deren Anlage dem Besucher die Entwicklungsgeschichte der Stillebenmalerei zwischen 1500 und 1800 vor Augen führt, ihn aber auch mit den wichtigsten Bildgegenständen und -typen vertraut macht, stehen die Vorformen des Stillebens an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. So illustriert die erste Abteilung den Prozess der Emanzipation des Stillebens vom symbolisch aufgeladenen Beiwerk religiöser Gemälde zu einem Sujet eigenen Rechts. Der folgende Abschnitt zum frühen autonomen Stilleben um 1600 mit Jan Brueghel und Georg Flegel als Hauptvertreter markiert durch eine Auswahl besonders hochkarätiger Werke einen ersten Höhepunkt der Ausstellung. Bankettstücke und Vanitas-Stilleben bilden die nächste Werkgruppe, die in die Symbolik der barocken Bilderwelt, in ihr ganz eigentümliches Changieren zwischen sinnlichem Reiz und Mahnung an die Vergänglichkeit des irdischen Seins einführt. Sichtbar wird die „Vanitas“, die Eitelkeit und Nichtigkeit der Dinge, in den Bildern durch markante Symbole wie den Totenschädel, die verlöschende Kerze oder die Uhr als Sinnbild der verrinnenden Zeit.

Dagegen veranschaulichen die folgenden Abteilungen zum Fisch- und Jagdstilleben sowie zu den Kartuschenbildern die hochgradige Spezialisierung der Maler des 17. Jahrhunderts auf bestimmte Gattungen, die ihnen, oft Monopolisten des jeweiligen Genres in ihrer Stadt, auf dem Kunstmarkt strategische Vorteile bot. Ganz der Prachtentfaltung, aber auch der Demonstration feinmalerischer Virtuosität dient wiederum das Prunkstilleben. Dem 18. Jahrhundert ist das letzte Kapitel der Ausstellung gewidmet, in dem vor allem die Werke Justus Junckers, der etwa eine Birne in monumentaler Größe gleich einem Denkmal auf einen Sockel hebt, das Thema der „Magie der Dinge“ besonders treffend zum Ausdruck bringen. Der große französische Stillebenmaler Jean Siméon Chardin ist gleich mit drei seiner Stilleben vertreten, die mit wenigen lakonischen Pinselstrichen den Objekten eine unglaubliche Präsenz verleihen und den glanzvollen Schlußpunkt der Ausstellung markieren.   pmst

Die Ausstellung ist im Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt, Dienstag sowie Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch und Donnerstag bis 21 Uhr zu sehen, Eintritt: 10 / 8 Euro, bis 17 August, anschließend vom 5. September bis 4. Januar 2009 im Kunstmuseum Basel.


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