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14.06.08 / Zweimal hingeschaut / Roman über eine ungewöhnliche Freundschaft zweier Außenseiterinnen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-08 vom 14. Juni 2008

Zweimal hingeschaut
Roman über eine ungewöhnliche Freundschaft zweier Außenseiterinnen

„Ich heiße Reneé. Ich bin 54 Jahre alt. Seit 27 Jahren bin ich Concierge in der Rue de Grenelle 7, einem schönen herrschaftlichen Stadthaus mit Innenhof und Innengarten, aufgeteilt in acht exquisite Luxuswohnungen, alle bewohnt, alle gigantisch. Ich bin Witwe, klein, häßlich, mollig, ich habe Hühneraugen und, gewissen Morgenstunden zufolge, einen Mundgeruch wie ein Mammut. Ich hab nicht studiert, ich war immer arm ... und unbedeutend. Ich lebe allein mit meiner Katze,  ....“

In „Die Eleganz des Igels“ erzählt die französische Schriftstellerin Muriel Barbery auf der einen Seite die Geschichte der Concierge Reneé Michel, die stets versucht, das Bild der durchschnittlich intelligenten, unauffälligen Concierge aufrechtzuerhalten, insgeheim aber sehr anspruchsvolle Literatur bevorzugt und ein sehr facettenreiches Wesen besitzt. Ihr gegenüber stellt die Autorin die Geschichte der zwölfjährigen Paloma, die bei ihren Eltern in einer der Luxuswohnungen lebt und wie Reneé bemüht ist, nicht sonderlich aufzufallen, das oberflächliche Leben ihrer Familie verabscheut und krampfhaft ihren überdurchschnittlich hohen IQ zu verbergen sucht.

Lange Zeit nehmen Paloma und Reneé einander kaum wahr, bis eines Tages der Japaner Monsieur Ozu eine der Wohnungen der Rue de Grenelle 7 bezieht. Und plötzlich erscheint für Paloma, die eigentlich für ihren 13. Geburtstag ihren Selbstmord geplant hatte, die Welt wieder einen Tick schöner und lebenswerter zu sein. Den nötigen Hinweis erhält Paloma von Monsieur Ozu. Und auf einmal beginnen die Puzzleteilchen in ihrem Kopf ein Bild zu ergeben.

„Ich interessiere mich sehr für unsere Concierge, Madame Michel. Ich möchte deine Meinung hören ... Ich glaube, sie ist nicht die, für die man sie hält ... Wie soll ich sagen? Sie strömt Intelligenz aus. Dabei gibt sie sich alle Mühe, also man sieht richtig, daß sie ihr möglichstes tut, um die Concierge zu spielen und um schwachsinnig zu erscheinen ... Madame Michel besitzt die Eleganz des Igels: Außen ist sie mit Stacheln gepanzert, eine echte Festung, aber ich ahne vage, daß sie innen auf genauso einfache Art raffiniert ist wie die Igel, diese kleinen Tiere, die nur scheinbar träge, entschieden ungesellig und schrecklich elegant sind.“

„Die Eleganz des Igels“ ist ein Roman, dessen Handlung sehr viel Ruhe ausstrahlt – traurig, melancholisch und dann wieder überraschend schön wie das Leben selbst. Philosophisch und tiefgründig bringt Muriel Barbery den Leser zum Nachdenken.

Die Geschichte von Paloma und Reneé zeigt, wie wichtig es in unserer Welt ist, wie ein Monsieur Ozu die Augen offenzuhalten, die Menschen nicht immer so zu nehmen, wie sie sich nach außen hin geben, sondern lieber zweimal hinzuschauen.             A. Ney

Muriel Barbery: „Die Eleganz des Igels“, dtv, München 2008, broschiert, 360 Seiten, 14,90 Euro


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