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14.06.08 / Die Wurzeln ruhen in Preußen / Vor 125 Jahren beschloß der Reichstag das erste Sozialversicherungsgesetz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-08 vom 14. Juni 2008

Die Wurzeln ruhen in Preußen
Vor 125 Jahren beschloß der Reichstag das erste Sozialversicherungsgesetz
von Hans Lody

Eigentlich gilt die Verkündigung der – von Bismarck verfaßten – kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 als der Startschuß für unseren Sozialstaat. Dort heißt es unter anderem: „Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Ueberzeugung aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von neuem ans Herz zu legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen.“  

Aber was versprechen Politiker nicht alles?! Ganz aktuell sei da an Frau Merkel und ihre Steuerpläne vor der letzten Bundestagswahl gedacht. Damals jedoch begannen knapp zwei Jahre später den Worten Taten zu folgen. Am 15. Juni 1883 – also vor 125 Jahren – beschloß der Deutsche Reichstag das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter. Es trat zum 1. Dezember 1884 in Kraft. Die Leistungen unterschieden sich nicht wesentlich von dem, was heute gilt. Die Krankenkasse übernahm die Kosten für ärztliche Behandlung, Arznei, Hilfsmittel und Krankenhausbehandlung. Arbeitsunfähige bekamen ab dem dritten Krankheitstag längstens für 26 Wochen ein Krankengeld in Höhe von 50 Prozent des Lohnes. Wöchnerinnen erhielten ein Mutterschaftsgeld gezahlt. Das kommt uns alles sehr bekannt vor. Anders als heute gab es ein Sterbegeld, um für die Kosten einer angemessenen und würdigen Bestattung Sorge zu tragen.

Die Beiträge wurden nur zu einem Drittel vom Arbeitgeber getragen – den Rest mußte der Arbeitnehmer beisteuern. In rascher Folge kamen die Unfallversicherung (Reichstagsbeschluß vom 6. Juli 1884) und die Rentenversicherung der Arbeiter (Reichstagsbeschluß vom 22. Juni 1889) hinzu. Die dann eintretende Pause hing möglicherweise mit der Entlassung Bismarcks durch Kaiser Wilhelm II. zusammen, der innen – wie außenpolitisch keine glückliche Hand hatte.

Erst 1911 (Rentenversicherung der Angestellten) und 1927 (Arbeitslosenversicherung) wurde das soziale Reformwerk Bis­marcks zum Abschluß gebracht. Ab 1941 wurden alle Rentner Mitglieder der Krankenversicherung und waren beitragsfrei versichert. Bismarcks Werk ersparte Deutschland soziale Verwerfungen wie in Großbritannien und den USA, wenn auch Marktradikale dem System vorwerfen, es sei eine soziale Hängematte.

Von einer Überversorgung (Viagra auf Krankenschein) war damals allerdings noch nicht die Rede. Vielmehr wollte der Landwirt und Gutsbesitzer Bismarck, der im Gegensatz zu den Bürokraten und Höflingen die Menschen und ihre Sorgen kannte und ernst nahm, diese vor den Wechselfällen des Lebens schützen. Um sein Werk zu schmälern, haben später Kritiker behauptet, Bismarck habe seine Sozialgesetze nur unter dem Druck der Sozialisten geschaffen. Dem ist aber nicht so. Preußen war auch schon vor Bismarck Vorbild für die Welt, wenn es um die soziale Fürsorge ging.

Noch zu einer Zeit, als beispielsweise in England Kriegskrüppel und Waisen die Wahl zwischen Hungertod und Arbeitshaus hatten, schuf August Herrmann Francke (1663–1727) die Franckeschen Stiftungen – eine Internatsschule für Waisenkinder, die bald zu einem pädagogischen Großunternehmen zur Schaffung von Bildungseliten ausgebaut wurde. Francke war es dann auch, der Friedrich Wilhelm I. davon überzeugte, daß Bildung allen Landeskindern zuteil werden sollte. So wurde 1717 die allgemeine Schulpflicht eingeführt.

Mit dem Beginn der Industrialisierung machte sich Ernst Ludwig von Gerlach Gedanken über die soziale Frage: „Nur in Verbindung mit den darauf haftenden Pflichten ist das Eigentum heilig, als bloßes Mittel des Genusses ist es nicht heilig, sondern schmutzig.“ Von Gerlach forderte 1853 in der „Kreuzzeitung“ eine Verpflegung für das Alter und die Krankheit, absolute Sonntagsruhe, Verbot von Kinderarbeit und geregelte Freizeit für die Arbeiterschaft während der Woche. Das war – unschwer zu erkennen – lange, teilweise sehr lange vor Bismarck. Professor Hans Joachim Schoeps und Erhardt Bödecker haben den Pietismus als Quelle dieser sozialen Verantwortung Preußens in ihren Büchern ausgemacht.

Nach 1945 wurde die deutsche Sozialversicherung ein sehr begehrter politischer Exportartikel. Sogar außerhalb Europas übernahm nun der Staat die Organisation der sozialen Sicherheit.

Ab 1983 mußten die Rentner schrittweise die Beitragslast für ihre Krankenversicherung übernehmen. In den letzten Jahren sind immer mehr Leistungen gestrichen oder minimiert worden und gleichzeitig die Beiträge gestiegen. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Eine steigende Zahl von Asylbewerbern und Sozialhilfeempfängern nimmt Leistungen der Kassen in Anspruch, ohne daß diesen Ausgaben Beitragseinnahmen gegenüberstehen. Anderseits steigen die Kosten für Medikamente, ohne daß eine wirksame Preiskontrolle stattfindet. Deutschland hat – im europäischen Vergleich – die höchsten Preise für Arzneimittel. Es fehlt am politischen Willen, gegenüber der Pharmaindustrie marktübliche Preise durchzusetzen. Eine auswuchernde Gerätemedizin verursacht immer höhere Ausgaben, die nicht mehr bezahlbar sind.


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