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14.06.08 / Königsstädte und Kamele / Acht Tage Frühling im Herzen Marokkos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-08 vom 14. Juni 2008

Königsstädte und Kamele
Acht Tage Frühling im Herzen Marokkos
von Thomas Winzker

Idealerweise starten wir die Rundreise in Marrakesch, sicher die bekannteste der Königsstädte und per Charter- oder Linienflug von den dreien am einfachsten zu erreichen. Am berühmten Hauptplatz, dem Jemaa el Fna, am Rande der gigantischen Souks (der typisch orientalischen Märkte), pulsiert das Leben: Schlangenbeschwörer, Wahrsager, fliegende Händler, Feuerschlucker: Nichts, was es hier nicht gibt. Also hinein in den brodelnden Bazar, immer den Augen, Nase und Ohren folgend. Ein Kaleidoskop von Farben, Gerüchen und Geräuschen empfängt uns, als wir uns durch das Wirrwarr von kleinen Ständen und Geschäften schlängeln. 

Der krönende Abschluß unserer erschöpfenden Souk-Tour erwartet uns wieder draußen auf dem Jemaa el Fna. Auf der erhöht liegenden Terrasse des „Grand Balcon du Café Glacier“ sind wir nach Stunden hautnahen Kontakts froh, im erholsamen Abstand zur Menschenmenge einen Absacker zu genießen. Wieder bei Kräften, besuchen wir die reich ornamentierten Gräber der Saadier, einem marokkanischen Königsgeschlecht aus dem 16. Jahrhundert. Die wundervoll filigranen Kunstwerke, für die Ewigkeit aus Stein geschnitzt, liegen im kleinen Friedhof gleich nebenan – eine Oase der Stille und Balsam für die Seele.

Im eigenen Mietwagen – es ist ein Renault 4, der an alte Studententage erinnert – geht es zur nächsten Reisestation, nach Fes, der zweiten Königsstadt. Früh aufstehen heißt es, denn knapp 500 Kilometer Landstraße gilt es zu überwinden. Doch keine Angst vor der langen Strecke, die Straßen sind meist gut ausgebaut, auch wenn mancher Eselkarren zur Geduld zwingt. Unterwegs erfreuen wir uns dafür um so mehr an der unerwartet üppigen Frühjahrsblüte: bunte Teppiche von orangeroten und zitronengelben Ringelblumen im wirkungsvollen Kontrast zur tonroten Erde säumen die Straßen, so weit das Auge reicht. Ob dieses Blumenmeer wohl Anregung zu den farbenfrohen marokkanischen Kelime gab?

Erschöpft in Fes angekommen, freuen wir uns, im orientalischen Garten des ehrwürdigen Palais Jamai, einem Palasthotel aus Kolonialzeit mit verblaßtem Glanz, eine Erfrischung zu uns zu nehmen, bevor wir auf der Terrasse dinieren. Französisch oder Arabisch? Ganz wie wir wünschen, sagt man uns stolz.

Am nächsten Tag beweist uns die Stadt ihre Einzigartigkeit in der arabischen Welt: Die verschlungenen Souks von Fes zählen zu den größten der Welt, und sie sind sicher mit die aufregendsten und authentischsten. Unbedingt empfehlenswert ist es, einen der sich als Fremdenführer anpreisenden kleinen Jungen zu engagieren, um sich für ein paar Dirham durch den Irrgarten schmaler Gassen und Gäßchen führen zu lassen. Sonst kommt man nicht weit – und sicher nie wieder hinaus aus dem Moloch der Souks.

Alleine schon der Besuch des ungemein pittoresken Färber- und Gerberviertels mit seinen verschiedenfarbigen Laugenmulden ist eine Reise wert. Geruchs-empfindlich allerdings darf man an diesem Ort nicht sein, denn die Laugen stinken wahrlich zum Himmel.

Meknes, die kleinste Schwester der Königsstädte, besichtigt man am besten von Fes aus. Es ist ein Tagesausflug, und man erspart es sich, für eine Nacht umzuziehen. Auch in Meknes ist es ratsam, sich einem der kleinen Reiseführer anzuvertrauen, und sei es nur, um nicht Belästigungen seiner Kollegen, die einen sonst unermüdlich verfolgen würden, ausgesetzt zu sein. In dieser Stadt faszinieren vor allem das Bab el Mansour am Hadim-Platz, das aufwendig ornamentierte, prächtigste Stadttor des Landes,  und das Mausoleum des Moulay Ismail, ein Bau mit bunten Kacheln und Ziegeln, der große Harmonie ausstrahlt. Auf dem Weg zurück nach Fes bietet sich ein Abstecher zu Marokkos „weißem Ort“ an: Moulay Idriss, malerisch auf einem Bergkamm gelegen. Daß wir privat bei einer Großfamilie eingeladen sind, haben wir einem jungen Anhalter namens Amahd – der „Lobenswerte“, wie sein Name übersetzt heißt – zu verdanken, der sich auf diese Weise für den kostenlosen Transport erkenntlich zeigt. Ein Erlebnis der ganz eigenen Art, von Vater, Mutter, Tanten und Cousinen genau beäugt zu werden, während wir die dargereichte Cola trinken.

In Ouarzazate, wo es wegen der blühenden Filmindustrie reichlich Auswahl an Hotels gibt, packen wir die Gelegenheit beim Schopfe und machen einen Abstecher in das Draa-Tal Richtung Zagora, der Stadt, die fast am Ende der bewohnten Welt liegt. Unsere staubige Fahrt durch die Landschaft grotesk mäandernder Felsschluchten wird bald belohnt. Anzeichen dafür sind Kinder, die mit gut gefüllten Körben am Straßenrand stehen und ihre frischen Datteln anpreisen. Dann endlich die Oase, genauer gesagt, eine ausgedehnte Fluß-Oase, die dicht und bis zum Horizont mit hohen Dattelnpalmen bewachsen ist. Hat man dieses üppig grüne Palmenband staunend hinter sich gelassen, tauchen erste Kamelherden am Fuße goldgelber Sanddünen auf, die sich gleich hinter Zagora, der Wüstenstadt mit dem legendären Karawanenwegweiser „52 Tage nach Timbuktu“, auftürmen. Darauf einen thè du menthe – im Garten des „Café Sahara“, serviert von Hassin, einem stolzen Tuareg.

Als wir den Tizi-n-Tichka-Paß erreichen, staunen wir, wie sich das Landschaftsbild mit einem Mal verändert. Auf der Wetterseite des über 4000 Meter hohen Schneemassivs wird die unwirtlich steinige Wüste durch häufigeren Regen mehr und mehr zum fruchtbaren Agrarland. Die Flächen roter Tonerde werden immer öfter von grünen Viehweiden und Feldern unterbrochen, bis talabwärts dann die ersten Olivenhaine auftauchen. Marrakesch hat uns wieder! Jetzt schnell den R 4, der uns geduldig und treu über Höhen und Tiefen geleitet hat, abgegeben. Und dann nichts wie auf die Terrasse des „Grand Balcon du Café Glacier“ und „Play it again, Sam“ singen wie in „Casa-blanca“ – um 1000 und eine Erfahrung reicher.

Foto: Orient: Farben und Gerüche, alles ist besonders intensiv.


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