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21.06.08 / Ost-Deutsch (71): Schacht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-08 vom 21. Juni 2008

Ost-Deutsch (71):
Schacht
von Wolf Oschlies

Erfinden kann man so etwas nicht: Die Abwässerverwaltung im mazedonischen Skopje weiß auch ohne Kalender, wann muslimische Feiertage sind. Dann verstopfen in einigen Stadtvierteln die Reste von Festmählern die „sahti“ oder „sahtni“. Gemeint sind Abwässerschächte, eine von zwei Bedeutungen, in denen der deutsche „Schacht“ von unseren östlichen Nachbarn gegraben wird.

Das mittelhochdeutsche „schaht“ war ursprünglich ein Flächenmaß und avancierte im 13. Jahrhundert zur Bezeichnung einer senkrechten Grube. Die Bergbauterminologie war das erste Einfallstor für die deutsche Sprache bei Slawen, wo sie bis heute zum Beispiel im Fußball lebt: Wenn man gegen einen östlichen Klub  „Schachtjor“ (russisch) oder „schachtar“ (ukrainisch) spielen muß, dann sind das immer Vereine aus Bergbaugebieten. Ihr Name bedeutet „Bergmann“, abgeleitet von „schachta“, wie ein Bergwerk bei Russen und Ukrainern heißt. Auch bei Tschechen: „Skoncila posledni sachta pred ctyrmi lety“ (vor vier Jahren machte das letzte Bergwerk zu). Bei den benachbarten Slowaken trifft man auf die andere Wortbedeutung, etwa bei „odpadová sahta“, wörtlich Abfallschacht, also Müllschlucker. Bei Kroaten findet man beide Bedeutungen, grammatisch streng geschieden: „Zvonik je kao saht u kojem se spustalo u jame“ (der Glockenturm ist wie ein Schacht, in dem man in die Grube fährt), wobei „saht“ ein Mas-kulinum ist. Wie es auch bei Bulgaren die Norm ist: „stalbi tip sacht“ (ein Schacht in Säulenform). Dann kroatisch als Femininum: „Automobilom naletjela na otvorenu sahtu“ (mit dem Auto brauste sie in einen offenen Schacht). In dieser Form überwiegt das Wort, „jer su Hrvati uvijek rovali po kanalima i sahtama“ (denn Kroaten sind immer durch Kanäle und Schächte gekrochen). Identisch ist mazedonischer Wortgebrauch: „Ukradenite dnevnici najdeni vo sahta“ (Gestohlene Schulakten in einem Schacht gefunden). Und anders die Montenegriner, wie ich einer Karikatur ihrer Wochenzeitung „Monitor“ entnehme. Zwei gehen auf der Straße und halten sich die Nasen zu. Der eine: „Otvoren saht?“ (Ist der Abwasserschacht offen). Der andere: „Ne, dosijci!“ (Nein, die Dossiers wurden geöffnet).


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