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21.06.08 / Mit ihm starb der letzte Zar / Noch vor dem Tod von Nikolaus II. wurde sein Nachfolger Michail II. »auf der Flucht erschossen«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-08 vom 21. Juni 2008

Mit ihm starb der letzte Zar
Noch vor dem Tod von Nikolaus II. wurde sein Nachfolger Michail II. »auf der Flucht erschossen«
von Wolfgang Reith

Wenn in diesem Jahr des 90. Todestages des russischen Zaren Nikolaus II. gedacht wird, der am 17. Juli 1918 zusammen mit seiner Familie kaltblütig erschossen wurde, dann spricht man bezüglich Nikolaus gemeinhin vom letzten Herrscher des alten russischen Kaiserreiches. Tatsächlich aber hatte Nikolaus am 2. März 1917 zugunsten seines Bruders Michail abgedankt, der dann für einen Tag Zar wurde, bevor auch er dem Thron entsagte und ebenso wie Nikolaus im Jahr darauf einem sowjetischen Mordkommando zum Opfer fiel.

Michail Alexandrowitsch Romanow wurde am 22. November 1878 als jüngster Sohn Zar Alexanders III. und seiner Gemahlin Maria Fjodorowna in St. Petersburg geboren. Als 1899 sein älterer Bruder Georgi bei einem Motorradunfall stirbt, wird Michail zum Zarewitsch (Kronprinz), da das Kaiserpaar – Michails ältester Bruder Nikolaus regiert inzwischen seit 1894 – bisher nur Töchter hat, die von der Thronfolge ausgeschlossen sind. Das ändert sich dann 1904, als mit Alexej endlich der ersehnte Erbe geboren wird. Weil sich aber bald herausstellt, daß dieser an der Bluterkrankheit leidet, bleibt Michail weiterhin präsumtiver Thronfolger oder auch Regent, falls der Zar vor der Volljährigkeit seines Sohnes (im Alter von 16 Jahren und damit 1920) sterben sollte.

1902 lernte Michail die britische Prinzessin Beatrice Leopoldine Victoria kennen. Beide verliebten sich ineinander und wollten auch heiraten, doch weil sie Cousin und Cousine ersten Grades waren, durften sie nach den Statuten der russisch-orthodoxen Kirche keine Ehe eingehen, und so verweigerte Zar Nikolaus II. seine Zustimmung.

Seit seinem 20. Geburtstag diente Michail als Offizier in der Armee, zunächst bei der Artillerie, dann bei der Kavallerie, in der er 1902 bei den Blauen Kürassieren (Leibgarde-Kürassiere Ihrer Majestät – im Gegensatz zu den Leibgarde-Kürassieren Seiner Majestät, den Gelben Kürassieren) Regimentskommandeur wurde.

Nachdem er bereits 1906 eine Bürgerliche hatte heiraten wollen, was ihm sein Bruder allerdings untersagte, verliebte er sich 1908 erneut in eine Nichtadlige, die dazu noch in zweiter Ehe verheiratet (und zuvor geschieden) war und deren Ehemann als Offizier in Michails Regiment diente. Als der Zar von der Beziehung erfuhr, ordnete er Michails Strafversetzung nach Orel, südlich von Moskau und damit über 1000 Kilometer vom bisherigen Standort entfernt, an. Doch diesmal gab der Großfürst nicht nach – so überwältigt war er von seiner Liebe zu jener Frau, die ihre Gefühle in demselben Maße erwiderte, daß beide trotz der erzwungenen Trennung die Beziehung aufrechterhielten.

Bei der neuen Frau, die Michails künftiges Leben bestimmen sollte, handelte es sich um Nathalie (genannt „Natascha“) Sergejewna. Geboren am 27. Juni 1880 in Perowo bei Moskau, heiratete sie 1902 Sergej Mamontow; aus der Ehe ging eine Tochter, Nathalie (genannt „Tata“) hervor. Bereits 1907 erfolgte die Scheidung, und noch im selben Jahr heiratete sie erneut, und zwar Wladimir Wulfert, Leutnant im Regiment der Blauen Kürassiere in Gatschina bei St. Petersburg. Dessen Kommandeur war Großfürst Michail und deshalb lernte sie diesen auch schon bald darauf kennen. Es entwickelte sich eine leidenschaftliche Verbindung, die zum Bruch ihrer zweiten Ehe führte. Aber noch vor der offiziellen Scheidung wurde am 24. Juli 1910 Michails und Nathalies unehelicher Sohn Georgi geboren. Auf Drängen des Großfürsten wurde der Scheidungstermin später vordatiert. Seit dem 1. September 1912 führte Nathalie endlich den Namen Madame Brasowa (nach Michails Gut Brasowo), der Sohn hieß amtlich Georgi Michailowitsch Brasow.

Obwohl der Zar seinem Bruder untersagte, die Mutter des gemeinsamen Sohnes zu heiraten, und er auch alles daran setzte, dies zu verhindern – er ließ das Paar auf allen seinen Reisen durch die Geheimpolizei bespitzeln –, gelang es Michail und Nathalie dennoch, am 16. Oktober 1912 in einer orthodoxen Kirche in Wien heimlich den Bund der Ehe zu schließen. Damit aber hatten sie dem Willen des Zaren zuwidergehandelt, der die Hochzeit trotz ihres offiziellen Charakters (nach orthodoxem Ritus) nicht anerkannte, und so kam eine Rückkehr nach Rußland denn auch nicht mehr in Betracht. Außerdem wurde Michail von einer möglichen Regentschaft ausgeschlossen.

Von 1912 bis 1913 lebte das Paar mit dem gemeinsamen Sohn sowie Nathalies Tochter aus erster Ehe im Exil in Frankreich, dann siedelten sie nach Großbritannien über. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 gestattete der Zar seinem Bruder und dessen Familie die Rückkehr nach Rußland. Er erkannte die Liaison als morganatische Ehe an, und Nathalie erhielt den Titel einer Gräfin Brasowa. Am 26. März 1915 wurde schließlich auch Sohn Georgi als Graf Brasow der Status der Legitimität verliehen.

Michail wurde wieder in die Armee aufgenommen und befehligte als Generalmajor die „Wilde Division“, die sich aus muslimischen Reitern der Kaukasusregion zusammensetzte und an der österreichisch-ungarischen Front kämpfte. Bei seinen Soldaten war der Großfürst sehr beliebt, gab er sich doch stets kontaktfreudig und volksnah.

Am 2. März 1917 dankte Zar Nikolaus II. für sich selbst sowie für seinen Sohn Alexej, von dem er wegen dessen Krankheit nicht getrennt werden wollte, zugunsten seines Bruders, Großfürst Michail Alexandrowitsch, ab, dem er in der diesbezüglichen Urkunde „… Unseren Segen für seine Thronbesteigung im russischen Staat …“ erteilte und der damit ausdrück­lich nicht nur Regent, sondern „Seine Majestät Michail II., Kaiser von ganz Rußland, König von Polen und Großfürst von Finnland …“ war. Die Neuigkeit sprach sich wie ein Lauffeuer herum, und am nächsten Tag leistete ein großer Teil der Armee bereits den Treueid auf den neuen Zaren.

Aber das Parlament, die Duma, und die Provisorische Regierung sahen im Fortbestand der Romanow-Dynastie mehrheitlich die Gefahr eines Bürgerkrieges heraufziehen. Nach dem Motto „Er oder wir“ faßte man deshalb den Beschluß, auch Zar Michail zur Abdankung zu überreden. Eine Abordnung der Duma unter deren Präsidenten, Michail Rodsjanko, sowie der Provisorischen Regierung unter Ministerpräsident Fürst Grigorij Lwow fuhr deshalb zur Wohnung Michails in der Millionaja Straße in St. Petersburg, um ihn zur Entscheidung zu drängen. Sie machten ihm unmißverständlich klar, daß, wenn er sein Amt ausübe, die Regierung zu­rück­treten werde, er folglich ein Zar ohne Regierung sein werde, womit ein Bürgerkrieg programmiert sei. Die Alternative bestehe darin, daß er abdanke, und die Provisorische Regierung anschließend mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die öffentliche Ordnung im Lande wiederherstellen werde. Weil Michail aber nicht endgültig dem Thron entsagen, sondern die letzte Entscheidung über die zukünftige Staatsform einer vom Volk bestimmten Nationalversammlung überlassen wollte, wählte er in seinem Manifest vom 3. März 1917 eine Formulierung, die alles offen ließ:

„Durch den Willen meines Bruders ist mir eine schwere Bürde auferlegt worden. Er hat mir den Kaiserthron von Rußland in einer Zeit beispielloser kriegerischer Auseinandersetzungen und Unruhen im Volk übergeben.

Getragen von dem gleichen Gedanken wie das ganze Volk, daß das Wichtigste das Wohl des Landes ist, habe ich den festen Entschluß gefaßt, die höchste Gewalt nur dann anzunehmen, wenn dies der Wille unseres großen Volkes ist. Es ist sein Recht, die Regierungsform und die neuen Grundgesetze des russischen Staates durch allgemeine Wahlen mittels seiner Vertreter in der konstituierenden Nationalversammlung zu bestimmen.

Daher erbitte ich Gottes Segen und ersuche alle Bürger Rußlands, der Provisorischen Regierung zu gehorchen. Sie ist auf Initiative der Duma entstanden und mit aller Machtfülle ausgestattet, bis die konstituierende Nationalversammlung, die so rasch wie möglich durch unmittelbare, gleiche und geheime Wahlen einzuberufen ist, dem Willen des Volkes durch ihre Entscheidung über die Regierungsform Ausdruck verleihen wird. Unterzeichnet: Michail.“

Dadurch war klargestellt, daß der neue Souverän die Macht im Staat vorerst auf die Provisorische Regierung übertragen hatte, die sich ihrerseits durch ihn legitimiert fühlen durfte; zugleich hielt er sich aber offen, sein kaiserliches Amt wieder auszuüben, sofern die zu wählende Nationalversammlung sich für die Beibehaltung der Monarchie entscheiden und Michail erneut mit der Führung der Geschicke des Landes betrauen würde. Durch diese Interimslösung blieb Rußland zunächst eine Monarchie, wenn auch ohne einen Monarchen. Erst als Ministerpräsident Alexander Kerenski, der Nachfolger von Fürst Lwow, am 1. September 1917 Rußland zu einer demokratischen Republik erklärte, war auch das verfassungsrechtliche Ende der Zarenherrschaft gekommen.

Nach seiner vorläufigen Abdankung lebte Michail mit seiner Familie in Gatschina bei St. Petersburg, bis er Anfang September 1917 auf Anordnung von Ministerpräsident Kerenski unter Hausarrest gestellt wurde. Nach der Machtübernahme der Bolschewisten spielte er zeitweilig in Gedanken Fluchtpläne durch, blieb dann aber doch. Für die kommunistische Regierung war er fortan „Bürger Michail Romanow“.

Am 7. März 1918 wurde der Ex-Zar zusammen mit seinem Sekretär Nichols Johnson verhaftet und nach Perm in den Ural deportiert, wo man sie in einem Hotel unterbrachte. Hierher kam Nathalie nach, die vorher ihre Kinder nach Dänemark hatte bringen lassen, doch als sich die Bürgerkriegssituation im Lande verschärfte, reiste sie im Mai wieder ab und gelangte auf abenteuerlichen Wegen ins Ausland.

Michail aber, der letzte Zar, war dann der erste Romanow, der ermordet wurde, nachdem die Bolschewisten unter Führung Lenins und Swerdlows in Moskau beschlossen hatten, die Mitglieder des ehemaligen Herrscherhauses umbringen zu lassen. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1918 wurden Michail und sein Sekretär aus ihrer Unterkunft abgeholt und in einen nahegelegenen Wald gebracht, wo man sie kurzerhand erschoß. Als Motiv wurde später angeführt, beide hätten sich bei dieser angeblichen Überführungsfahrt absetzen wollen und seien dann auf der Flucht erschossen worden. Ihre sterblichen Überreste wurden bis heute nicht gefunden.

1996 stellte eine Gruppe von Ortsbewohnern auf Privatinitiative hin in dem Waldgrundstück, wo die Tat geschah, ein schlichtes Holzkreuz auf – im Gedenken an Rußlands letzten Zaren, Michail II.

Foto: Zar Michail II.: Er saß nur einen Tag auf dem russischen Thron.


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