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28.06.08 / Bissige Seitenhiebe / Veröffentlichung des letzten Tagebuches vom verstorbenen Walter Kempowski

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

Bissige Seitenhiebe
Veröffentlichung des letzten Tagebuches vom verstorbenen Walter Kempowski

Seit mehr als 15 Jahren erscheinen die Tagebücher Walter Kempowskis in unregelmäßiger Folge. Mit „Somnia“, seinem Tagebuch aus dem Jahr 1991, ist nun der letzte, von ihm selbst redigierte Band dieser Werkgruppe veröffentlicht worden.

Walter Kempowski, geboren am 29. April 1929 in Rostock, starb nach langem Leiden am 5. Oktober 2007 in Rotenburg / Wümme. Bis zuletzt hatte er an „Somnia“ und am letzten Band des „Echolot“ mitgewirkt.

Der Verfasser der Romanreihe „Deutsche Chronik“ und des zehnbändigen Kriegstagebuchs „Echolot“ nimmt mit seinem Gesamtwerk eine einzigartige Stellung in der jüngeren deutschen Literaturgeschichte bis zur Gegenwart ein, die eines literarischen Chronisten und Wächters des Zeitgeschehens. Sein umfassendes Biografiearchiv ist 2005 von der Stiftung „Archiv der Berliner Akademie der Künste“ übernommen worden. Folgerichtig gehörte das Tagebuchschreiben und -publizieren zu seinem selbst gewählten Aufgabenkreis. Den Lesern gewährte er mit erstaunlicher Offenheit Einblick in seinen gedanklichen Kosmos und sein privates Leben.

„Somnia“ enthält ein kaleidos-kopartiges Nebeneinander – ganz im  Sinne des von ihm bevorzugten Stilmittels der Collage – von Notaten aus dem weit gefächerten gesellschaftspolitischen Bereich, untermischt mit Bemerkungen aus dem Lebensalltag des Autors in Nartum, Landkreis Rotenburg, sowie Reiseerlebnisse. Auch über seine gerade entstehenden Bücher berichtete Kempowski detailliert. Zitate bekannter Persönlichkeiten sowie literarische Reminiszenzen finden sich häufig, und etliche Einträge von 1991 wurden 2007 durch Zusätze ergänzt, all dies in seiner eigenwilligen, dem Zeitgeist fernen Tonlage. Der emsige Tagebuchverfasser, dem das Herz blutete, wenn er Zeuge von Tierquälereien wurde, dessen Bemerkungen entweder eine tragikomische, eine melancholische, (selbst)ironische oder eine satirische Note haben oder einfach von schierer Verwunderung getragen sind, der bissige Seitenhiebe gegen Künstler und Politiker austeilte, hatte insbesondere den Osten des wiederverei-nigten Deutschlands im Blick. Aber nicht nur deshalb ist die Bedeutung dieses Tagebuchs aus dem Jahr zwei nach der deutschen Wiedervereinigung hoch einzuschätzen, auch in Hinsicht auf die zukünftige Sozial- und Geschichtsforschung.

Zwar zählt Kempowski längst zu den wichtigsten deutschen Autoren der Gegenwart, doch die Rezeption seines Schaffens bleibt ein schwieriges Kapitel. Seit Anfang der 90er Jahre wurde ihm zunehmend größere Anerkennung zuteil, er wurde später mit Preisen und Ehrungen geradezu überhäuft. Doch lange war ihm die gebührende Anerkennung versagt geblieben, die er für sich schon wesentlich früher erhofft hatte.

Sein Tagebuch reflektiert diesen Umstand vielfach. So bemerkte der Autor am 10. Juni 1991 fassungslos: „Meine Bücher werden in der Universitätsbuchhandlung (von Oldenburg) nicht geführt, obwohl ich seit zehn Jahren dort lehre.“ Dann am 13. Juni während der Rede anläßlich der Verleihung des Erich-Maria-Remarque-Preises an Lew Kopelew: „Irgendwie scheine ich, obwohl mit Bedenken, in den deutschen Olymp aufgenommen worden zu sein.“ An anderer Stelle findet sich der kommentarlose Zusatz: „Der Bundespräsident bezeichnete mich als Volksschriftsteller.“

Walter Kempowski hatte sich ebenfalls damit abzufinden, daß ihm die Bundesrepublik Deutschland, trotz seiner Bautzener Haft von 1948 bis 1956, lange Jahre die Anerkennung als politischer Flüchtling verweigerte. Seine täglichen akribischen Beobachtungen des Weltgeschehens, insbesondere der Entwicklung in Deutschland, ebenso wie sein unermüdliches Schaffen halfen ihm einigermaßen darüber hinweg. Aber die Gefühlslage der Vereinzelung hatte sich verfestigt. Daran litt er, obwohl sein Leben an Abwechslungen und Anregungen sehr reich war, nicht zuletzt durch die von ihm geleiteten Literaturseminare in seinem Haus Kreienhoop: „Da kennt man Tausende, und niemand, den man rufen könnte“ (2. Juni 1991). „Somnia“ liest man nicht nur deshalb durchgehend interessiert, weil das Buch in soziokultureller Hinsicht einmalig lehrreich ist. D. Jestrzemski

Walter Kempowski: „Somnia – Tagebuch 1991“, Knaus Verlag, München 2008, geb., 557 Seiten, 24,95 Euro


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