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28.06.08 / Wenn der süße Spatz zur Zicke wird / Pubertierende brauchen flexible Regeln – Eltern sollten eigene Bedürfnisse anmelden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

Wenn der süße Spatz zur Zicke wird
Pubertierende brauchen flexible Regeln – Eltern sollten eigene Bedürfnisse anmelden
von Maria Hilt

Auch die schönste Kindheit ist irgendwann zu Ende. Manche Kinder machen sich schon mit neun Jahren auf den Weg ins Erwachsenenleben. Auch wenn es die Eltern noch so sehr schmerzt, daß ihr Küken langsam flügge wird – die Pubertät läßt sich weder durch geschenkte Puppen noch durch strenge Regeln aufhalten. „Die körperlichen und psychischen Veränderungen im Jugendalter werden durch hormonelle Abläufe eingeläutet. Eltern können das nicht beeinflussen“, sagt Sybille Herold, Autorin von „300 Fragen zur Pubertät“. Es hilft also nichts: Die ganze Familie muß sich der Pubertät stellen.

Erziehungsberaterin Claudia König hebt als solide Basis für diesen oft nervenaufreibenden Entwicklungsschritt die Eltern-Kind-Beziehung besonders hervor. „Mit der Pflege dieser Verbindung sollte man bereits lange vor der Pubertät beginnen. Eine gleichwertige, gewaltfreie Kommunikation mit Kindern und Problemlösungskompetenz in Konflikten von Seiten der Eltern prägen eine positive Familienatmosphäre und helfen durch die schwierige Umbruchzeit im Jugendalter“, sagt König. Dafür sollen sich Eltern fit machen und sich gegebenenfalls kompetente Unterstützung holen.

Denn wenn die Pubertät erst einmal da ist, kommt es meist zu regelmäßigen Auseinandersetzungen zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern. Streitthemen wie Kleidung, Ausgehen oder Zimmer aufräumen können den Familienfrieden beständig stören. „Es gehört zur Pubertät dazu, daß die Jugendlichen ihre Grenzen austesten. Dabei lernen sie, für ihre Meinung einzustehen und Kompromisse zu finden“, erklärt Sybille Herold. Eltern sollten jedoch darauf achten, daß die Streitigkeiten nicht überhand nehmen. „Wenn über alles diskutiert wird, haben die Jugendlichen das Gefühl, nur noch gegängelt zu werden. Das führt zu Frust und schlechter Stimmung“, warnt Sybille Herold. Bevor das Zuhause zum Kriegsschauplatz ausartet, sollte man sich also überlegen, welche Prioritäten man setzen möchte. Ist beispielsweise die Unordnung im Jugendzimmer ein dauerndes Reizthema, stellt sich die Frage, ob man seine Forderungen auf ein Minimum herunterfahren könnte. „Auf diese Weise kann man Streßfaktoren verringern und der Eltern-Kind-Beziehung die Gelegenheit geben, sich zu erholen“, sagt die Diplom-Psychologin.

Auch Claudia König rät Eltern, in festgefahrenen Diskussionen mit Pubertierenden erstmal die Notbremse zu ziehen. „Man kann versuchen, ein bestimmtes Reizthema ganz bewußt für zwei, drei Wochen ruhen zu lassen und es nicht mehr anzusprechen“, sagt die Erzieherin. Diese Auszeit gibt Eltern die Möglichkeit, Abstand zu gewinnen und die Situation neu zu bewerten. „Gleichzeitig kann dann auch das Kind aus seiner Kampfposition aussteigen, weil der permanente Gegendruck aufhört“, sagt König. Nach so einer Pause könnten beide Parteien dann meist wieder entspannter und sachlicher über ein Thema sprechen.

Im Leben eines Pubertierenden nimmt die eigene Familie meist eine eher untergeordnete Rolle ein. „Der Freundeskreis ist in diesem Alter besonders wichtig und interessant. An Familienunternehmungen teilzunehmen, scheint den Jugendlichen dagegen langweilig“, sagt Sybille Herold. Eltern sollten jedoch trotzdem darauf achten, in regelmäßigen Abständen schöne Familienmomente zu schaffen. „Man sollte den Kindern klar machen, daß man selbst auch Bedürfnisse hat. Für Taschengeld, Wäsche waschen und Kochen kann man schließlich auch ein bißchen Familienzeit einfordern“, sagt Sybille Herold.

Gleichzeitig sei es jedoch wichtig, auch Verständnis für die neuen Interessen der Jugendlichen aufzubringen und den wöchentlichen Spieleabend nicht auf die Haupt-Ausgehzeiten Freitag oder Sonnabend zu legen.

Bei den pubertären Machtkämpfen müssen Eltern oft eine Menge einstecken. Ihre kleinen Lieblinge fahren plötzlich auch verbal schwere Geschütze auf, kränken und entwerten ihre bisherigen „Erziehungsberechtigten“, um sich abzugrenzen. „Eltern sollten sich bei solchen Attacken immer bewußt machen, daß diese Aufmüpfigkeit normal ist und keine böse Absicht dahinter steckt“, rät Sybille Herold. Es sei aber auch wichtig, daß die Jugendlichen die Konsequenzen ihrer Ausraster spürten. „Wenn man sich verletzt fühlt, sollte man das auch deutlich ansprechen“, sagt die Erziehungsexpertin. Man könne beispielsweise sagen: „Ich bin traurig und fühle mich mißachtet, wenn du so mit mir umgehst. Ich möchte, daß du das änderst.“ Auch der Entzug von Gefälligkeiten sei ein legitimes Mittel der Eltern-Selbstverteidigung. „Man kann seinem Sproß durchaus klar machen, daß sein Benehmen unangebracht war und man die Chauffeurdienste zum Sportkurs deshalb in der nächsten Woche ausfallen läßt. So lernen die Jugendlichen, daß jeder Mensch seine Grenzen hat“, sagt Sybille Herold.

„Der Umbruch, der in der Pubertät geschieht, wirkt sich auch maßgeblich auf die Eltern aus“, sagt Sybille Herold. Die Erfahrung, daß ihr Kind sie immer weniger braucht, sei für viele schwer zu verdauen.

„Für diejenigen, für die das Kind bislang der Lebensinhalt war, bricht eine schwierige Zeit an. Ich rate Eltern daher immer, sich bewußt andere Beschäftigungsfelder zu suchen, sei es ein wiederentdecktes Hobby oder ein Ehrenamt“, sagt Sybille Herold. Die Ablenkung des eigenen Tatendrangs mache es einfacher, das Kind in die Unabhängigkeit ziehen zu lassen. „Wenn die Eltern fähig sind, sich auf andere Dinge zu konzentrieren, können die Kinder sich freier entwickeln.“

Man sollte trotz aller Anstrengungen allerdings nicht erwarten, daß man die pubertäre Phase völlig unbehindert durchgleiten wird. „Egal, wie sehr man sich anstrengt: Man kann von einem Pubertierenden nicht immer ein sonniges Gemüt erwarten“, stellt Sybille Herold klar.


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