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05.07.08 / »Mama, my knee tut weh!« / Mehrsprachige Erziehung sollte locker angegangen werden – Emotionale Bindung wichtig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-08 vom 05. Juli 2008

»Mama, my knee tut weh!«
Mehrsprachige Erziehung sollte locker angegangen werden – Emotionale Bindung wichtig
von Maria Hilt

Fremdsprachenkenntnisse sind in Zeiten der Globalisierung die Basis einer ordentlichen Karriere. Immer mehr Eltern möchten ihre Kinder deshalb so früh wie möglich zum „Global-Player“ erziehen. So werden die Sprößlinge vom spanischen Au-Pair-Mädchen in die deutsch-polnische Kindertagesstätte gefahren, um abends noch mit Mami englische Kinderlieder zu trällern.

Aus entwicklungspsychologischer Sicht bringt die Mehrsprachigkeit im Kindesalter tatsächlich einige Vorteile mit sich: „Multilingual erzogene Kinder lernen später auch andere Fremdsprachen leichter, weil sie schon früh ein Gefühl für die Systematik hinter einer Sprache entwickeln“, sagt Nicola Küpelikilinc, Psychologin und Fachreferentin für Sprachförderung bei der Stadt Hanau.

Außerdem falle es ihnen leichter, einen anderen Blickwinkel auf Sachverhalte zu bekommen und kreativ auf ihren Alltag zu reagieren.

Auch die kommunikative Kompetenz ist laut der Psychologin  Küpelikilinc bei mehrsprachig erzogenen Kindern meist ausgeprägter.

Doch nicht jeder Sprachimpuls in der Kindheit fällt auch auf fruchtbaren Boden.

Die gebürtige Britin Küpelikilinc hat ihre eigenen Kinder dreisprachig erzogen. Sie ist sich sicher: „Die mehrsprachige Erziehung funktioniert nur dann, wenn das Kind eine emotionale Bindung zu der Sprache aufbauen kann.“

Sie rät daher Eltern, die diese Erziehungsmethode wagen wollen, sich im Vorfeld erst einmal damit zu beschäftigen, welche Sprache ihnen selbst am ehesten liegt. Denn wer sich in der Fremdsprache nicht wohlfühle, könne sie nicht authentisch weitervermitteln.

Die Expertin ist daher skeptisch, wenn Eltern ihre Kinder aus rein intellektuellen Gründen mehrsprachig erziehen möchten. „Schulische Erfolge sollten nicht der Hauptbeweggrund für die Multilingualität sein. Es ist viel wichtiger, daß die Sprache für das Kind emotional und sozial relevant ist.“ Beispielsweise die Herkunft der Eltern, eine Tante in Frankreich oder eine fremdsprachige Erzieherin könnten eine Basis bilden, durch die die Kinder auch kulturell den Bezug zu der Fremdsprache finden.

Der Kontakt mit der neuen Sprache muß laut Küpelikilinc nicht unbedingt schon im Babyalter erfolgen. Man kann mit der mehrsprachigen Erziehung auch erst im Kindergartenalter beginnen.

„Das Zeitfenster, in dem ein Kind eine Sprache noch durch bilinguale Erziehung erlernen kann, ist nicht genau festgelegt. Aber ungefähr bis zum zehnten Lebensjahr stehen die Chancen sehr gut“, sagt die Psychologin.

Auch Sabine Devich-Henningsen, Leiterin der deutsch-englischen Kindertagesstätte in Altenholz bei Kiel, sieht den Einstieg in die Multilingualität entspannt.

In Altenholz gibt es in jeder Gruppe einen deutschen und einen englischen Muttersprachler unter den Erziehern, und jeder wendet seine Sprache ganz selbstverständlich im Umgang mit den Kindern an. „Die meisten unserer Kinder nehmen die neue Sprache sehr gut an, weil sie eine starke emotionale Bindung zu den Erziehern haben“, sagt Devich-Henningsen.

Sie rät Eltern, die mehrsprachige Erziehung ihrer Kinder ebenfalls wie selbstverständlich in den Alltag zu integrieren.

„Es bringt nichts, wenn man zu Kindern sagt ,Wiederhol das mal‘ oder ,Schau, der Stuhl heißt auf Englisch chair‘. Auch der Erwerb der Muttersprache funktioniert ja nicht auf diese Art“, gibt Devich-Henningsen zu bedenken.

Nicola Küpelikilinc hält auch andere Methoden für sinnvoll. „Jeder muß da sein eigenes System entwickeln“, sagt die Psychologin. Es sei auch denkbar, daß beispielsweise die spanische Mutter mit ihrem Kind zu Hause immer nur Spanisch spreche, unterwegs aber auf Deutsch umspringe. „Wichtig ist, daß eine Regelmäßigkeit für das Kind und für die Eltern erkennbar ist“, sagt Küpelikilinc.

Die Psychologin warnt vor allzu großen Erwartungen an die mehrsprachige Erziehung. Manchmal reagierten die Kinder zwar schon nach kurzer Zeit auf die neue Sprache, weigerten sich aber, sie selbst aktiv anzuwenden.

Eine Sprachverwirrung durch die Multilingualität oder gar eine Verzögerung in der Entwicklung des Kindes müssen Eltern nicht befürchten, sagt Küpelikilinc. „Auch wenn der Kontakt mit der Fremdsprache nur sporadisch, in Early-English-Kursen oder durch fremdsprachige Kindersendungen stattfindet, wird das Kind keinen Schaden nehmen. Auch diese kleinen Impulse können zumindest das Interesse für andere Sprachen fördern.“ Bedenklich sei nur, wenn das Kind unter Druck gesetzt werde.


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