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05.07.08 / Die fremde Schule / Das Klassenzimmer war gefüllt mit vielen Flüchtlingskinder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-08 vom 05. Juli 2008

Die fremde Schule
Das Klassenzimmer war gefüllt mit vielen Flüchtlingskinder
von Margot Gehrmann

Es war einfach wunderbar. Der Unterricht in der fremden Schule fiel nie aus, war jetzt täglich. Morgen für morgen mußte sie pünktlich aufstehen, ihre Schultasche packen, was, wegen der kaum vorhandenen Schulsachen, mehr als schnell ging. Eine komische Schule war es schon – von der ersten bis zur letzten Klasse saßen alle Kinder in einem Raum, kaum „einheimische“ Kinder, viele Flüchtlinge. Und nur ein einziger Lehrer stand vorn vor einer richtigen Wandtafel und hinter einem seltsamen Tisch. Die Schulbänke paßten nicht gut zusammen, hatten Tintenfässer ohne Tinte, Bleistiftrillen ohne Bleistifte oder Federhalter, und auf den Tischen lagen selten Bücher, Hefte, nicht einmal einzelne Blätter Papier und wenn, dann konnte man daran sofort die „einheimischen“ Kinder erkennen. Auch waren die ,,Einheimischen“ anders, weil hübscher gekleidet. Die Mädchen hatten fast alle einen wunderschönen roten Trägerrock, eine weiße Bluse und manchmal auch ein kleines schwarzes Schürzchen. Margot beneidete sie glühend, aber „was nicht ist, ist nicht“, sagte die Mutter immer wieder.

Der Unterricht war zweigeteilt – Ober- und Unterstufe. Margot, als große Schwester war sofort in die vierte Klasse (Oberstufe!) gekommen – eben weil sie groß war, nicht, weil sie viel Gelegenheit gehabt hatte zu lernen in ihrem vergangenen Schulleben im leider jetzt so fernen Johannisburg.

Im Laufe der Wochen und Monate lichtete sich die Schülerschar – einige Kinder kamen auf andere Schulen und wieder andere gingen zu nebulösen Prüfungen für einen „Aufbauzug“ ins Nachbardorf, wo es in Kürze so etwas wie eine „Mittelschule“ geben sollte, die aber nicht so hieß, sondern eben Aufbauzug. Das wollte sie im ,,Auge behalten“, sie wollte mit der Mutter darüber sprechen, obwohl sie nicht wußte, wie sie es anstellen sollte. Jetzt konzentrierte sie sich erst einmal auf den Unterricht, der immer wieder von den Kleinen der Unterstufe gestört wurde, weil sie ständig schwätzten, obwohl sie Rechenaufgaben bewältigen oder auch von kleinen Zetteln etwas abschreiben sollten.

Eines Tages saß Margot auf der Schulbank nicht nur neben einem Einheimischen, sondern auch noch einem Jungen. Werner hatte einen Vater im Gegensatz zu ihr, einen Vater, der Verwalter war, Verwalter für einen großen Besitz eines echten Grafen, was aber nicht das Interessante war, sondern der Karpfenteich, der zu diesem Besitz gehörte. In den Pausen kam Werner immer wieder auf sie zu, erzählte ihr aus seinem Leben und war überhaupt nicht eingebildet, was man von anderen Einheimischen nicht sagen konnte. Eines Tages fragte er sie sogar, ob sie nicht am Nachmittag mit ihm im Karpfenteich schwimmen wolle, sein Vater habe nichts dagegen. – Jetzt hatte er sie erwischt! Schwimmen konnte sie nicht. Und ins Wasser gehen wollte sie auch nicht, nie. Panische Angst erfaßte sie, nicht nur vor tiefem Wasser, sondern auch, daß er nicht mehr mit ihr sprechen würde.

Völlig bedrückt ging sie aus der Schule. Die Mutter merkte es wie immer sofort, daß etwas passiert war und fragte. Unter Tränen erzählte sie ihr von ihrem Unglück. Mit Hilfe von tröstlichen Worten und einem ,,Kodder“ zum Abwischen der Tränen beruhigte die Mutter sie. „Wenn er dich nicht versteht, ist er es nicht Wert, dein Freund zu sein“, sagte sie, und Margot war sich gar nicht im klaren, ob Werner überhaupt wußte, daß er ihr Freund war. Getröstet war sie nicht, aber unternehmen mußte sie etwas. Und je schneller, desto besser. Nur wie?

Mit klopfendem Herzen und rotem Gesicht überstand sie am nächsten Tag die erste Unterrichtsstunde. Und sie ging in der ersten Pause auf Werner zu und erzählte ihm von ihrer Angst vor tiefem Wasser und nicht vorhandenen Schwimmkünsten. Er sah sie völlig fassungslos an und in ihren Ohren rauschte es. „Gibt es Kinder, die nicht schwimmen können? Muß wohl so sein. Dann üben wir eben, und du gehst von Tag zu Tag immer ein bißchen in tieferes Wasser.“ Mehr nicht, kein böses Wort, kein häßliches Lachen, keine Schadenfreude, nichts. Er entwickelte sofort eine Strategie, wie und wann. ,,Das schaffst du schon, hat doch bisher jeder.“ In den Pausen unterhielt er sich weiter mit ihr, außer er spielte mit anderen Jungen Fußball, denn einen Ball hatte er auch. Mit dem Schwimmen hat es dann doch nicht geklappt – bis heute geht sie nur so weit ins Wasser, daß man noch ein bißchen von ihren Schultern sieht.

Ein wunderschöner Schultag ging zu Ende, der Tag wurde sogar noch schöner, weil Margot auf dem Nachhauseweg den Postboten traf, der ihr einen schwarz geränderten Brief für Ihre Mutter mitgab, der zwar nichts Gutes bedeuten konnte, aber eindeutig in der Schrift ihrer Tante Anna geschrieben war, ganz eindeutig, obwohl sie einen anderen Nachnamen hatte.

„Tante Anna hat geschrieben, Tante Anna hat geschrieben“, schrie sie und nahm zwei Stufen auf einmal. „Sie ist wieder da! Sie ist wieder da, heißt aber nicht mehr Tante Anna.“ Die Mutter hatte die Tür schon geöffnet, bevor Margot sie aufreißen konnte. „Wo ist sie“, fragte sie, kalkweiß im Gesicht und mit Tränen in den Augen. Sie nahm den Brief, setzte sich auf den einzigen Stuhl, den sie inzwischen hatten, und weinte. Öffnen mochte sie ihn nicht wegen des schwarzen Randes. „Ach was, das ist Annas Handschrift, also lebt sie“, sagte sie, trocknete die Tränen und machte den Umschlag ganz vorsichtig auf. ,,Liebe Truda, liebe Kinder“, schrieb die Tante. „Mir geht es gut. Ich habe geheiratet. Ihr habt hoffentlich keinen Schreck bekommen. Leider hatte ich keinen Umschlag und diesen hat mir eine Nachbarin geschenkt.“ Die Mutter ließ den Brief sinken, guckte Margot an. „Ja, ja, Beziehungen sind eben alles“, sagte sie und las den Brief zu Ende.


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