19.04.2024

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05.07.08 / Klunkermus / Alte Bande reißen nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-08 vom 05. Juli 2008

Klunkermus
Alte Bande reißen nicht
von Christel Bethke

Telefon. Ob ich die und die bin. Ja, bin ich. „Wir wohnten zwei Häuser von euch entfernt. Zwischen uns wohnten Preuß, weißt?“ Weiß ich? Gleicher Jahrgang, aber unterschiedliche Wahrnehmung vergangener Zeiten. Während ich nichts, fast gar nichts vorkramen kann, rollt am anderen Ende der Leitung unsere Kinderzeit wie von einer Spule. Ob wir uns mal treffen können. Aber natürlich können wir das. Doch bis auf spärliche Telefonate unterbleiben Besuche. Mit fast 80 hat man genug mit der Gegenwart zu tun, da ruschelt das Vergangene nur auf.

Dann aber, mit einem Ruck, soll die Sache werden. Es ist nicht weit, nur eine dreiviertel Stunde mit dem Rad. Leider fängt es unterwegs an zu regnen und der aufkommende Wind gibt mir den Rest. Ziemlich zerpliesert läute ich an der Tür. Natürlich werde ich schon erwartet: Festlich gedeckter Tisch mit einer riesigen Erdbeertorte und ganz viel geschlagener Sahne. Rosen in der Vase. Sekt natürlich. Als ob die verlorene Tochter heimgekehrt ist, so werde ich empfangen. Gegenseitiges Abtasten mit Blicken, Suchen nach Bekanntem. Nichts davon. Irrtum aber ausgeschlossen, beim Erzählen wird das deutlich. Kennst du den, kennst du die? Erinnerst du dich an Preuß, die mit den vielen Kindern? Weißt? Vielleicht.

Jedenfalls gab es da immer Milchsuppe. Klunkermus. Alle vor ihren Emailletellern mit Blechlöffeln. Diese Suppe! Frau Preuß zum verwöhnten Einzelkind, dessen verlangende Augen sehend: „Willst auch?“ Und schon sitzt es mittenmang am Tisch und bekommt auch einen Teller eingeschöppt. Wie das schmeckte. Zu Hause zur Mutter: „Kannst nicht auch mal Klunkermus kochen?“ Natürlich kann das die Mutter, aber große Enttäuschung, sie ist längst nicht so gut wie die bei der Nachbarsfamilie.

Mir erging es ähnlich, auch mir schmeckte es anderswo viel besser, selbst wenn statt Butter nur Margarine auf dem Brot war. Wir fragen uns beim zweiten Stück Torte, woran das gelegen haben mag. „Sicherlich war da mehr Wasser in der Suppe“, lachen wir. Wir überlegen und kommen zu dem Schluß, es muß an der großen Familie gelegen haben: Oma, irgendeine Tante war auch immer da, und die vielen Kinder gaben Wärme und man fühlte sich behaglich.

Auch wir werden miteinander vertrauter und sprechen über Dinge, die wir längst vergessen wähnten. Und dann nochmal: die Flucht, die Rückkehr, Vertreibung, Verlust von Großmutter und Tante. Ähnliche Geschichten wie bei mir. Meine Tasse wird zum viertenmal gefüllt. Ich sitze wie angeschweißt, höre vertraute Laute, die kleine zerstörte Heimatstadt wird lebendig, füllt sich mit Emailletellern voller Klunkermus.

„Soll ich paar Schnittchen machen“, fragt mich die neue alte Vertraute. Ja, bin ich denn noch zu retten!? Der erste Besuch und ich sitze vier Stunden anstatt nach einer zu gehen, wie es der Anstand erfordert. Das gilt aber nicht, nicht wenn man zu Gast bei einer Ostpreußin ist. Da fühlt man sich wie als Kind bei Preuß, geborgen und sehr gut aufgehoben.


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