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05.07.08 / Zehn Gebote der sozialistischen Moral / Vor 50 Jahren erstellte die SED auf ihrem V. Parteitag ein atheistisches Pendant zu Moses Forderungskatalog

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-08 vom 05. Juli 2008

Zehn Gebote der sozialistischen Moral
Vor 50 Jahren erstellte die SED auf ihrem V. Parteitag ein atheistisches Pendant zu Moses Forderungskatalog
von Manfred Müller

Mit sächselnder Fistelstimme verkündete SED-Generalsekretär Walter Ulbricht auf dem V. Parteitag vom 10. bis 16. Juli 1958 die „Zehn Gebote der sozialistischen Moral“ und erhielt dafür stürmischen, lang anhaltenden Beifall der Delegierten. Dem Generalsekretär schwebte eine sozialistisch-atheistische Kultur als Ersatz der bürgerlich geprägten, weithin schon säkularisierten christlich-abendländischen Kultur vor Augen. Eines der Kernstücke dieser neuen Kultur sollte eine dem marxistisch-leninistischen Menschen- und Weltbild verpflichtete Moral sein. Nach marxistisch-leninistischer Auffassung ist Moral Ausdruck von Klasseninteressen. Demzufolge hatten die traditionellen sittlichen Auffassungen der deutschen Gesellschaft die Funktion, die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung zu ermöglichen und zu erhalten. Der Klassenkämpfer Lenin hatte daraus die Folgerung gezogen: „Alles, was notwendig ist, um die alte Gesellschaftsordnung der Ausbeutung zu vernichten und die Vereinigung des Proletariats herbeizuführen, ist moralisch.“ Ul-bricht und die SED hatten dementsprechend eine auf den Klassenkampf bezogene Auffassung von Sittlichkeit: „Nur der handelt sittlich, der sich aktiv für den Sieg des Sozialismus einsetzt.“

Karikaturisten des 19. Jahrhunderts stellten gelegentlich Karl Marx als einen neuen Moses (mit den Gesetzestafeln des Klassenkampfes) dar. In der Rolle eines neuen Moses sah sich wohl auch Walter Ulbricht, als er, deutlich auf die Zehn Gebote anspielend, die neue Moral in zehn Punkten darlegte. Zwar jubelten ihm die eingefleischten kommunistischen Delegierten zu. Aber wer draußen im Lande die Rundfunkübertragung hörte und nicht zu den 100prozentig überzeugten Genossen gehörte, konnte nur schwerlich von der Jubelstimmung erfaßt werden. Zum einen war da die negative Ausstrahlung Ulbrichts, der wegen seines Auftretens, seines Aussehens und seiner Stimme immer etwas von einer politischen Witzfigur an sich hatte, zu der die erhaben klingenden neuen Gebote nicht so recht passen wollten. Zum anderen war da die Diskrepanz zwischen den moralischen Postulaten und der oft erbärmlichen Wirklichkeit von Lebensführung und Politik der politischen Kaste der DDR.

Ulbrichts Zehn Gebote waren entsprechend der SED-Ideologie stark politisiert. Der echte Sozialist (Kommunist) soll aus proletarischer Vaterlandsliebe und gemäß der internationalen Solidarität (zu den sozialistischen Ländern und den nationalen, kommunistisch inspirierten Befreiungsbewegungen) handeln (Gebot 1, 2, 10). Er soll uneigennützig, diszipliniert, leistungsorientiert gute Taten für den Aufbau des Sozialismus erbringen (Gebot 2, 4, 5), wobei insbesondere das Volkseigentum zu schützen und zu mehren ist. War früher die Zerstörung der bürgerlichen Familie ein Kampfziel der Kommunisten, so ist die Familie im Aufbau des Sozialismus ein schützenswertes Gut: „Du sollst deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen.“ (Gebot 8). Und: „Du sollst sauber und anständig leben und deine Familie achten.“

Diese „Normen der sozialistischen Moral und Ethik“ spiegeln, so deutete die SED-Exegese es aus, die „neuen Beziehungen zwischen den Menschen sowohl in der Produktion als auch im gesamten gesellschaftlichen Leben“. Die neuen Zehn Gebote seien dem, was die christlichen Kirchen verkündeten, klar überlegen. Die kirchlichen Zehn Gebote seien dazu geschaffen, Sklavenhalter und Feudalherren, Kapitalisten und Imperialisten zu unterstützen, und hätten zu erbarmungsloser Ausbeutung, Unterjochung, Ausplünderung geführt. Die Gebote der sozialistischen Moral aber würden die Menschen glück-lich und frei machen.

Mit dieser Polemik verstieß die SED gegen die eigenen Grundsätze für die Kirchenpolitik, die das Politbüro im März 1954 formuliert hatte. Danach sollten die dem Christentum noch nicht entfremdeten Bürger nicht in ihren religiösen Gefühlen verletzt werden. Die entscheidende Passage lautete damals: „Unter den Anhängern aller Religionsgemeinschaften muß eine feste Massenbasis für den Kampf um die Erhaltung und Sicherung des Friedens, gegen die amerikanische und Bonner Kriegspolitik, für die demokratische Wiedervereinigung Deutschlands, für die aktive Teilnahme an der friedlichen Aufbauarbeit in der Deutschen Demokratischen Republik und für die Stärkung der Freundschaft mit allen friedliebenden Völkern, vor allem den Völkern der Sowjetunion, geschaffen werden. Dieser Kampf entspricht den Interessen der christlichen Menschen. Er muß so geführt werden, daß er in keiner Weise die religiösen Gefühle und Empfindungen dieser Menschen verletzt.“

Aus solchen taktischen Überlegungen hatte man in der DDR darauf verzichtet, die primitiv-aggressiven Formen kommunistischer Gottlosenpropaganda aus der Zeit der Weimarer Republik wieder aufleben zu lassen – Propaganda etwa folgender Machart: „Beten, Singen, Weihrauchdünste, / Frommer Zauber, heil’ge Lehren! / Alles eitel Priesterkünste, / Die Proleten zu betören! / Raus, Prolet, heraus / Aus dem Gotteshaus! / Schmeißt die Pfaffen raus! / Raus, Prolet, heraus! …“

Aber die religiösen Gefühle von Christen wurden verletzt, wenn im Jahr der Verkündigung der neuen Moral (die keinerlei Rück-bindung an Gott kannte) die SED- Broschüren in Massenauflage verbreiten ließ wie etwa „Der Sputnik und der liebe Gott“. Darin wurde dargelegt, bei den Flügen in den Weltraum seien keinerlei Anzeichen für die Existenz des lieben Gottes gefunden worden. Alle Bildungsinstitutionen und die SED-gesteuerten Massenmedien atmeten diesen Geist des Atheismus. Christen mußten sich da wie Deppen und Hinterwäldler vorkommen.

Anhänger der neuen Moral konnten nun bei Schandtaten des SED-Regimes ein gutes Gewissen haben, dienten sie doch dem Aufbau des Sozialismus. Christen hingegen sahen sich beispielsweise bei der Haßpropaganda gegen den Westen im Konflikt mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe.

Letztlich erreichte die SED nicht ihr Ziel, die DDR-Bevölkerung mit Hilfe der neuen Zehn Gebote zu einem Verhalten zu erziehen, das sich völlig am Kollektiv orientierte. Die Niedergangsphase und der Untergang des DDR-Systems machten dies überdeutlich.

 

Die zehn Gebote

(1) Du sollst dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen. (2) Du sollst dein Vaterland lieben und stets bereit sein, deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen. (3) Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen. (4) Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen. (5) Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen. (6) Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren. (7) Du sollst stets nach Verbesserung deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festigen. (8) Du sollst deine Kinder im Geiste des Friedens und Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen. (9) Du sollst sauber und anständig leben und deine Familie achten. (10) Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.


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