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05.07.08 / Die Verteidigung Europas / Westeuropäische Union sieht Defizite im Vertrag von Lissabon

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-08 vom 05. Juli 2008

Die Verteidigung Europas
Westeuropäische Union sieht Defizite im Vertrag von Lissabon
von Pierre Campguilhem

Das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags ist derzeit noch in der Schwebe, in den Kreisen der Westeuropäischen Union (WEU) ist man deswegen nicht gerade betrübt, weil man diesen Vertrag mit einer gewissen Zurückhaltung betrachtet. Das betrifft die Abschnitte, die die Zusammenarbeit im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik unter den EU-Mitgliedstaaten festlegen.

Die WEU wurde durch die Pariser Verträge im Oktober 1954 als Ersatz für die zuvor vom französischen Parlament gestoppte Europäische Verteidigungsgemeinschaft gegründet. In seinem Artikel 5 sieht das WEU-Abkommen vor, daß im Falle eines Angriffs in Europa gegen eine der vertragsschließenden Parteien die anderen Staaten Hilfe und Beistand mit allen verfügbaren Mitteln leisten „werden“. Im Artikel 42 des Lissabonner Vertrages wird schlicht und einfach bestimmt, daß die EU-Mitgliedstaaten sich  „verpflichten“, sich gegenseitig zu helfen.

Sicherlich ist die WEU nun eine etwas vergessene Organisation. Ihr Generalsekretär ist der Hohe Vertreter für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, und unter den ausführenden Organen der WEU funktioniert die Parlamentarische Versammlung, die von Vertretern der nationalen Parlamente gebildet wird, ganz geräuschlos. Zudem hat sich die Zahl der WEU-Mitglieder durch die Erweiterungen des Gemeinsamen Markts so vergrößert, daß die WEU jetzt zum Brüsseler Gegenstück der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geworden ist. Die Parlamentarische Versammlung der WEU hat ihren Sitz in Paris und tagt zweimal pro Jahr.

Der Rat der WEU hat seinen Sitz in Brüssel und wird von den Botschaftern der EU-Mitgliedstaaten gebildet, die sich in einem ständigen Ausschuß versammeln. Alles in allem ist die WEU, besonders  seit dem Ende des Kalten Krieges, zu einem der ausführenden Organe der Brüsseler Kommission und des Rates der europäischen Staats- und Regierungschefs geworden.

Obwohl es gefährlich erscheinen kann, die Klausel der „kollektiven Sicherheit“ des Brüsseler Vertrags im Lissabonner Vertrag zu verwässern, haben offenkundig die Autoren der jetzt zur Diskussion stehenden Vertragsfassung das ris-kiert, um die 27 Signatarstaaten des Vertrags von Lissabon unter einen einzigen Hut zu bringen. Im Artikel 42 wird jetzt festgelegt, daß die Nato für die Staaten, die dort Mitglied sind, das Fundament der kollektiven Verteidigung ist und bleibt.

Wie der französische Senator Hubert Haenel – ein Mitglied des Konvents, der den Lissabonner Vertrag niederschrieb – anmerkte, gibt es im Artikel 42 auch eine auf alle Staaten anwendbare dehnbare Klausel, da für mehrere EU-Mitglieder die Union kein Militärbündnis ist und nicht sein darf. Insofern ist es nicht erstaunlich, daß bei etwaigen Beratungen über „ein Europa der Verteidigung“ unter den EU-Mitgliedstaaten des Lissabonner Vertrags auch in Zukunft prinzipiell Einstimmigkeit vorgesehen ist. Die Experten der Parlamentarischen Versammlung sind zwar der Ansicht, daß der Lissabonner Vertrag eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik möglich macht, die wirksamer sein dürfte als bisher. Doch es ist herauszuhören, wie diese Experten es bedauern, daß diese Politik keine klare Doktrin widerspiegelt. 

Freilich werden, mit oder ohne  Lissabonner Vertrag, Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen einzelnen Staaten im Sinne der WEU weiterbestehen. Und berücksichtigt man die Wünsche und Anregungen der WEU-Parlamentarier, so muß man ohnehin den Eindruck gewinnen, daß eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU noch in weiter Ferne liegt – allen Beteuerungen und Aussagen von führenden Politikern des alten Kontinents zum Trotz.


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