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12.07.08 / Von Gewalt geschockt / Weder Regierung noch Opposition vermuteten so viel Unmut bei den Mongolen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

Von Gewalt geschockt
Weder Regierung noch Opposition vermuteten so viel Unmut bei den Mongolen
von Albrecht Rothacher

Es kommt nicht alle Tage vor, daß eine Parteizentrale der Wendekommunisten verwüstet und angezündet wird. So geschehen in Ulan Bator am 1. Juli. Doch war die Aktion völlig ungeplant. Es ist auch nicht der Auftakt zu einer Farbenrevolution gegen die Herrschaft der exkommunistischen Mongolischen Revolutionären Volkspartei (MRVP). Begonnen hatte alles als friedlicher Protestzug der bürgerlich-liberalen Demokratischen Partei (DP) gegen Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Parlamentswahl vom 29. Mai in zwei Bezirken der Stadt. Ihr Vorsitzender Elbegdorj warf der Regierungspartei Wahlfälschung und Wahlbetrug vor. In den Umfragen hatten beide Parteien – so wie schon bei der letzten Wahl 2004 – Kopf an Kopf gelegen. Jetzt errang die MRVP mit 47 von 76 Sitzen im Großen Hural plötzlich einen Erdrutschsieg, während die DP mit nur 26 Mandaten einflußlos wurde. Am Wahltag selbst war alles ruhig gewesen. Die 80 internationalen Beobachter hatten keinerlei Unregelmäßigkeiten bemerkt, sieht man einmal von 111000 Namen ab, die in den Wählerlisten im Vergleich zu den Einwohnermelderegistern zuviel auftauchten.

Den Parteiaktivisten schlossen sich auf dem Marsch zum zentralen Platz der Innenstadt viele Bewohner der Vorstadtslums an. Dort wohnen in endlosen Jurtensiedlungen Bauern, die ihre Herden verloren haben, städtische Tagelöhner und Arbeitslose. Viele der Jugendlichen sind betrunken und auf der Suche nach einem Nervenkitzel. Die Menge wächst bald auf 8000 an. So gerät die Demonstration, bei der sich die Miliz zunächst sehr zurückhält, schnell außer Kontrolle. Der Volkszorn auf die korrupten, betrügerischen Ex-Kommunisten, die gerade in der Hauptstadt besonders unbeliebt sind, wo ihre großen Geländewagen und neuen Villenviertel unübersehbar sind, entlädt sich in Steinewürfen auf das Parteigebäude. Der Außenzaun wird niedergerissen. Wagen gehen in Flammen auf. Brandsätze werden ins Innere der fünfstöckigen Parteizentrale geworfen, die schließlich völlig ausbrennt. Als die Miliz mit Schlagstöcken, Gummigeschossen und Tränengas eingreift, weichen die Demonstranten aus und plündern die Läden der Innenstadt, aber auch die Nationalgalerie, das Philharmonische Orchester, den Kulturpalast, die Einwanderungsbehörde und das Haus der Architekten, die auch teilweise schwere Brandschäden davontragen. Es bleiben fünf Tote, 329 Verletzte, darunter 108 Polizisten, und 700 Verhaftete.

Präsident Enbakhbayar (MRVP) rief darauf einen viertägigen Ausnahmezustand aus, mit nächtlichen Ausgangsperren, Alkoholverbot, Verkehrssperren in der Hauptstadt und einem Sendeverbot aller Privatsender. Über alle Ereignisse berichtet nur noch das Staatsfernsehen. Panzerwagen riegeln die Hauptstraßen ab. Es herrscht wieder Ruhe.

Geschockt von dem plötzlichen Ausbruch der Gewalt riefen sowohl Regierung wie Opposition zur Ruhe und zu friedlichen Verhandlungen auf. Eine Farbenrevolution sieht anders aus. Ohnehin hat sich in der Mongolei trotz aller Unzulänglichkeiten seit dem Sturz der 70jährigen kommunistischen Herrschaft 1991 ein demokratisches System mit wechselnden Regierungen und einer freien Presse etabliert. Allerdings sind die sozialen Spannungen zwischen der verarmten Bevölkerungsmehrheit und den wenigen Profiteuren des Rohstoffbooms enorm.

So schlummern unter dem mongolischen Steppenboden gewaltige, meist unerschlossene Reserven an Kupfer, Gold, Uran, Kohle, Molybdän, Eisenerz, Phosphor und Zink. Die Kohle- und Kupfervorkommen zählen mit geschätzten 150 beziehungsweise 30 Millionen Tonnen zu den größten der Welt. Schon jetzt wird 50 Prozent der mongolischen Wirtschaftsleistung von dem riesigen Kupferwerk Erdenet erzeugt. Doch blockieren Begehrlichkeiten der Politiker und die Angst der Bevölkerung vor dem Ausverkauf ihrer Bodenschätze mit ständig sich ändernden Beteiligungsforderungen und Steuersätzen die Erschließung jenes Reichtums, die von Planungssicherheit für den Großinvestor abhängt. So verhandeln die kanadischen Ivanhoe Mines und die argentinische Rio Tinto seit vier Jahren über die Beteiligungsbedingungen ihrer geplanten drei Milliarden US-Dollar teuren Erschließung der Kupfer- und Goldvorkommen von Oyu Tolgoi, des Türkis-Berges in der Wüste Gobi. Sein Betrieb allein würde das Volkseinkommen der Mongolei um ein Drittel steigern. Die Investoren sind bereit, dem Staat 34 Prozent der Anteile abzutreten. Die MRVP ist einverstanden. Die Opposition will mehr. Seit den Wahlen steigen deshalb die Aktien der Betreiber. Über eine klare Regierungsmehrheit freuen sich auch BHP Billiton und Peabody Energy, die ein zwei Milliarden US-Dollar teures Kohlebergwerk erschließen wollen, sowie der Rest jener Handvoll hartgesottener internationaler Bergbaugesellschaften, die in der Mongolei prospektieren. Für sie brachten die Scherben Glück.

Foto: Zerstörte Parteizentrale: Mongolische Revolutionäre Volkspartei im Visier

 

Zeitzeugen

Dschingis Khan – Der unumstitten berühmteste Mongole der Geschichte einte als erster Großkhan (1206–1227) die verfeindeten Stämme und schuf ein Reich, das größer war als das heutige Rußland. Er erließ ein schriftliches Gesetzeswerk, seine Heere stießen im Osten über Peking bis ans Japanische Meer, im Westen bis in die Ukraine vor. Dschingis gründete die Stadt Karakorum.

 

Kublai Khan – Dschingis’ Enkel Kublai (1215–1294) setzte sich als Großkhan durch und wurde 1271 auch Kaiser von China, was er bis zum Tode blieb. Er führte den Buddhismus als Staatsreligion der Mongolen ein, unter ihm wurde das Reich zum größten der Weltgeschichte. Seine Regentschaft war geprägt vom Zwist zwischen Traditionalisten und Reformern wie Kublai, der sich der zivilisatorisch überlegenen Kultur Chinas öffnete. In seine Zeit fällt die legendäre Expedition von Marco Polo.

 

Damdin Süchbaatar – Süchbaatar (1893–1923) gilt als Anführer der „mongolischen Revolution“, die aus dem Land eine bolschewistische Diktatur machte. Er vertrieb mit sowjetrussischer Hilfe Chinesen und den Weißgardisten-Offizier Robert von Ungern-Sternberg, der 1921 einen unabhängigen mogolischen Staat ausgerufen hatte.

 

Galsan Tschinag – Der 1944 geborene Literat aus der West-Mongolei studierte von 1962 bis 1968 Germanistik in Leipzig. Zurück in der Heimat machte er sich weltweit einen Namen als deutschsprachiger Schriftsteller. Seine Zulassung als Deutschlehrer nahmen ihm die regierenden mongolischen Kommunisten 1976 wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ weg.

 

Charles Bronson – Der US-Schauspieler (1921–2003), der eigentlich Charles Dennis Buchinsky hieß, wurde ab den späten 60er Jahren als Action-Darsteller berühmt. Bronson stammt von den sogenannten „Lipka-Tataren“ ab, einem muslimischen Volk von Turko-Mongolen, das im 14. Jahrhundert mit der Goldenen Horde nach Litauen (tatarisch: Lipka) und Polen gelangt war und dort seßhaft wurde. Heute gibt es hier  noch etwa 5000 Lipka-Tataren.


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