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12.07.08 / Das Recht zu sterben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

»Moment mal!«
Das Recht zu sterben
von Klaus Rainer Röhl

Mit Angst kann man Geld verdienen, das weiß jeder Puppenspieler. In meiner Studienzeit bin ich mit einem Kasperle-Theater über die Dörfer gezogen. Wir spielten meistens in Schulklassen. Künstlerisch wertvoll war unser Stück, bescheinigte uns der Schulrat des Landkreises Stade. Anderthalb Stunden Spieldauer. Aber am größten war die Aufmerksamkeit des Publikums, wenn Kasperle in Gefahr war, wenn der Zauberer ihn in eine Maus verwandeln oder die Hexe ihn vergiften wollte, mit einem Zaubertrank. Aus giftigen Kräutern. „Kasperle!!“ schrien 200 Kinder wie am Spieß, „paß auf, die Hexe will dich vergiften!“ Oder das Krokodil. Da hatten alle Angst.

Zum Glück kam am Ende immer der Kasperle und gab den Bösewichtern unter dem Jubel des Publikums eins mit seiner Keule. Immer mit der Latte auf die Platte. zehn Pfennig kostete der Eintritt und deshalb ließen wir die Kinder ruhig ein bißchen Angst haben. Wir brauchten ja das Geld für unser Studium.

Die Kasperle-Spieler von heute sind die Zeitungen und die Fernsehmagazine. Die brauchen das Geld ebenfalls, und deshalb versetzen sie ihr Publikum täglich in Ängste, eine immer gruseliger als die andere.

Wir haben damals bei unserem spannenden Kasperle-Theater natürlich selber keine Angst gehabt. Wir glaubten ja nicht an das Krokodil und die Hexe und den giftigen Zaubertrank. Aber die Generation, die heute Fernsehmagazine moderiert und Zeitungen vollschreibt, glaubt wirklich an den Atomtod und den Elektrosmog und die vergiftete Schokolade aus „genverseuchten“ Sojabohnen, genmanipuliert wie Dr. Frankensteins Geschöpfe. Die Generation der heutigen Journalisten, diese von 68er Lehrern und Hochschullehrern gewaltfrei, angstfrei, repressionsfrei, oft auch frei von Lernstoff erzogenen, unheimlich coolen Kids, aufgewachsen ohne schwarzen Mann oder Weih-nachtsmann, Struwwelpeter und Bleisoldaten, tun nicht nur so, als ob wir alle Angst haben müßten, die stecken selber voller Ängste.

Es ist eine Generation, die ständig in Angst lebt. Die bestimmen, was in die Medien kommt. In „Bild“, „taz“ und „FAZ“ und in den vielen anderen Tageszeitungen, die heute fast einheitlich Angst verbreiten. Eine Apokalypse, die sich unaufhaltsam und sich ständig vergrößernd wie ein Ozonloch über die Erde ausbreitet. Wie ein Leichentuch. Alles wird teurer. Inflation, kein Benzin mehr im Tank, kein Gemüse mehr bezahlbar. Und Überbevölkerung und Alzheimer. Rolf, ich und Alzheimer. Auch schon mal Brille vergessen? Namen nicht behalten von einem SPD-Politiker? Auch Sie haben Alzheimer! Wenn nicht mit 80, dann eben mit 90. Haben Sie mal ruhig Angst. Alle haben Angst.

Überall, hämmern uns die Genossen Journalisten ein, lauert der Tod. Atomtod, Strahlentod, Sevesotod, Klimatod, Kältetod, Hitzetod, Seuchentod. Nahrungsmitteltod, Energietod. Kohlekraftwerke: Klimatod, Treibhauseffekt, Klimakatastrophe, Atomkraftwerke: alle tot. Siehe Tschernobyl. Die ganze Welt verstrahlt für rund 2000 Jahre. Ungefähr. Ohne Gewähr.

Dann kommt das Sterben. Waldsterben. Walsterben. Robbensterben. Aalsterben. Seehundsterben. Möwensterben. Schildkrötensterben. Krötensterben. Igelsterben. Elefantensterben. Regenwald: fast gestorben. Artenvielfalt: gestorben. Klimaerhitzung: Polkappen schmelzen, Gletscher kommen ins Rutschen. 1990 Klimaabkühlung. Neue Eiszeit. Kältekatastrophe. New York im Eis. Toller Film. 2008: Wärmekatastrophe. Wasserspiegel steigt (zwei Zentimeter bis zum Jahr 2030). Bildung von Hochfluten. Flußüberschwemmungen. Ausbleiben von Flußüberschwemmungen. Flüsse

trocknen aus. Wasserspiegel sinkt (Baikalsee). Bildung von Wüsten. Bildung von Gletschern. Schmelzen von Gletschern. Lawinen. Berg schlägt zurück.

Zuwenig Ozon (Ozonloch). Zuviel Ozon (Ozonwerte am Boden). Falsches Sitzen. Falsche Stühle. Falsche Tische. Falsche Betten. Falsch stehende Betten (Wünschelrute). Falsche Schuhe. Falsche Kleidung. Gift.

Vorsicht, Kasperle, die Konzerne wollen dich vergiften!

So, nun kommen Sie. Würden Sie unter diesen Umständen nicht auch Angst kriegen und in Panik geraten? Mich wundert es, daß wir, die Leser der PAZ und die anderen Oldies, immer noch so fröhlich sind. Wenn das man nicht verdächtig ist. Haben die meisten von uns nicht unter Hitler gelebt? Also hört man in Deutschland und Österreich, alle Alten seien Nazis gewesen. Wer heute 78 Jahre ist, war damals 16 und also Flakhelfer, Blitzmädchen oder bereits Soldat. „Du Nazischwein, du alter Sack!“ schreien die Antifa-Demonstranten, wenn sie eine Mülltonne in Brand stecken und jemand von uns sie davon abbringen möchte. Aber nicht nur die antideutschen und gewalttätigen Jugendlichen in der U-Bahn sind altenfeindlich.

Die Diskriminierung der Alten beginnt bereits bei den Parteien. Da schlug ein Vorsitzender der Jungen Union der CDU in einem Interview vor, die 80jährigen müßten nicht unbedingt eine teure Prothese von der Krankenkasse bekommen, eine einfache Gehhilfe (sprich Krückstock) täte es auch. Das war ein Ausrutscher, sicher. Aber er kam aus dem Kopf des CDU-Mitglieds! Die Partei und die Öffentlichkeit distanzierten sich natürlich. Nicht ohne hinter vorgehaltener Hand zu erörtern: „Na ja, ist ja auch ein Problem, man kann es so oder so sehen: Da wird für 3200 Euro ein ultrakleines, kaum sichtbares  Hörgerät angeschafft, zwei Monate später stirbt der Mann, und sein kostbares Gerät ist hin. Ebenso wie die Zahnbrücke mit Platinspange für 5000 Euro.“ Sie vergessen nur eins, meine Herren Reformer: Der 80jährige Patient hat sein Hörgerät und die Platinbrücke selber bezahlt, auch wenn es die Krankenkasse ihm gnädig „bewilligt“. Für diese Kasse mit modernem, glasverspiegeltem Wolkenkratzer für 20 Millionen hat er jahrzehntelang, seit seiner frühen Jugend, Beiträge einbezahlt. Er muß sich für die Gehhilfe, die Spange und den „Ohrwurm“ nicht bedanken. Es war sein Geld, mit dem sie bezahlt wurde.

Gibt es das – Altenfeindlichkeit? „Frauenfeindlich“ kann nahezu jeder Mann sein, den frau dafür erklärt. Es genügt, zu sagen: „Sie sehen heute aber gut aus!“ Das ist eine Geschichte für sich, die wir schon einmal an anderer Stelle erzählt haben. „Behindertenfeindlich“ kann schon ein Hauseingang ohne Rollstuhlzufahrt sein oder ein Arbeitgeber, der einen lernbehinderten Lehrling nicht einstellt.

Was aber ist mit unserem Gesetzgeber, der seit einigen Jahren die im Gesetz garantierte Anpassung der Rentenerhöhung an die Löhne ablehnt und sie in diesem Jahr auf ein Prozent reduziert hat?

Es gibt Altenfeindlichkeit in Deutschland und zwar als Norm. Während in anderen Ländern wie zum Beispiel in Estland und Griechenland, auch in China und Japan, alte Menschen respektvoll und höflich behandelt werden, gelten in unseren Großstädten grobe Behandlung oder sogar Anrempeleien, wie „He, Alter, geh mal aus dem Weg“ von einem über die Fußgängerwege rasenden Fahrradfahrer als „gewandelte Mentalität“.

Einem sichtbar älteren Autofahrer kann es beim Einparken passieren, von ungeduldigen Fahrern angemotzt zu werden, „He, Alter, gib bloß deinen Führerschein ab!“ Fahren Alte vorsichtig, vielleicht etwas langsamer, werden sie brutal angehupt. „He, Alter, verpiß dich!“ soll das heißen.

Nicht böse gemeint? Arbeitslos? Schlechte Kindheit gehabt? Trotzdem empfiehlt es sich, in Berlin-Neukölln oder am Kölner Eigelstein keine Gegenrede zu riskieren. Es ist Rassismus.

Ob Seniorenteller oder Seniorentreff, die Rassentrennung wird deutlich gemacht.

Eine kaum kaschierte Frechheit und Anzüglichkeit der Veranstalter bestimmt Kaffeefahrten mit Rheumadecken ebenso wie Kreuzfahrten für die Reichen, herrscht in Behörden wie Krankenhäusern: „Na, wie haben wir denn heute geschlafen?“ Davor schützt auch keine Privatkasse und kein Einzelzimmer. Nur sterben dürfen die Alten nicht.

Die letzte Entscheidung, am Ende seines Lebens nach der ewigen Diskussion über Alzheimer und den Horror-Reportagen aus den Krankenhäusern und Pflegeheimen den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen, soll in diesem Land verboten werden. Die passive Sterbehilfe. Dabei geht es nicht um die Tötung auf Verlangen, sondern um die Hilfe, seinen letzten Willen selbst zu vollstrecken. Ein Gesetzentwurf der Mehrheit der Bundestagsparteien will den Alten verbieten zu sterben. Als ob das möglich wäre.

Foto: Fremdbestimmung oder helfende Hände? Die Jungen geben vor, was Alte zu tun oder zu lassen haben.


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