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12.07.08 / »Antifaschist« mit braunen Flecken / Erwin Strittmatters geschönter Lebenslauf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

»Antifaschist« mit braunen Flecken
Erwin Strittmatters geschönter Lebenslauf
von Jörg B. Bilke

Bis zum 8. Juni 2008 konnte der im SED-Staat bekannte und berühmte Volksschriftsteller Erwin Strittmatter (1912–1994) einen einwandfrei proletarischen Lebenslauf vorweisen. Zwei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs als „Sohn eines Bäckers und Kleinbauern“, wie in DDR-Lexika lobend vermerkt wird, in der Niederlausitz geboren, besuchte er bis zur Mittleren Reife das Realgymnasium in Spremberg und arbeitete in den Jahren 1930/34 als Bäcker im väterlichen Betrieb. Danach wurde er, als Mitglied der inzwischen verbotenen „Sozialistischen Arbeiterjugend“, wegen kommunistischer Umtriebe in der märkischen Stadt Döbern vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen und arbeitete dann in den verschiedensten Berufen: als Tierpfleger, als Kellner, Chauffeur, Landarbeiter und zuletzt als Hilfsarbeiter. Im Jahr des „Rußlandfeldzugs“ 1941 wurde er eingezogen und, so gibt das DDR-Schriftsteller-Lexikon von 1974 verkürzt Auskunft, „desertierte als Soldat der Hitlerwehrmacht gegen Ende des Krieges“. Auch nach 1945 setzte Erwin Strittmatter sein unstetes Leben fort: Er arbeitete auf einem Obstgut, war Bäcker bei seinem Vater, versorgte die angegliederte Landwirtschaft als Kleinbauer und bekam durch die Bodenreform ein Stück Land zugewiesen, das er als „Neusiedler“ bewirtschaftete. Zugleich aber war er Amtsvorsteher für sieben Gemeinden, „Volkskorrespondent“ und später Lokalredakteur einer Zeitung. Im Jahr 1947 trat er der SED bei und besuchte die Kreisparteischule. In seiner Freizeit aber schrieb er an seinem ersten Roman, der 1950 unter dem Titel „Ochsenkutscher“ erscheinen sollte.

Der proletarische Nachwuchsautor war schließlich 38 Jahre alt, als sein Aufstieg in die angeblich „herrschende Klasse“ der Arbeiter und Bauern nicht mehr aufzuhalten war. Der damals noch lebende Stückeschreiber Bertolt Brecht (1898–1956) vom Ost-Berliner „Theater am Schiffbauerdamm“, der den jungen Kollegen nach Kräften förderte, sagte damals voller Stolz über Erwin Strittmatter, er wäre „nicht aus dem Proletariat aufgestiegen, sondern mit dem Proletariat!“ So bekam er für sein erstes Theaterstück „Katzgraben“ (1953) im selben Jahr den „Nationalpreis“ verliehen, einen zweiten 1955 für den Jugendroman „Tinko“ (1954). Wenig bekannt ist, daß in einigen Kapiteln auch das Schick-sal von Flüchtlingen und Vertriebenen auf dem Land berührt wurde. Der dritte „Nationalpreis“ kam 1964 und galt dem von der Partei diskutierten und fast verbotenen Roman „Ole Bienkopp“ (1963). In der Gestalt des Ole Hansen agierte dort ein eigensinniger Bauer, der als Aufrührer auftrat und, noch bevor die Kollektivierung der Landwirtschaft in Ost-Berlin beschlossen war, die „neue Bauerngemeinschaft“ gegründet hatte.

Mit den beiden Romantrilogien „Der Wundertäter“ (1957 / 1973 / 1980) und „Der Laden“ (1983 / 1987 / 1992) hat sich Erwin Strittmatter einen festen Platz in der DDR-Literatur erschrieben und wurde dafür mit Preisen und Auszeichnungen belohnt. Als er am 31. Januar 1994 im Alter von 81 Jahren starb, war er ein hochangesehener Schriftsteller, dessen Romane den Untergang des DDR-Sozialismus 1989/90 überlebt hatten. Noch 1996 wurde das Spremberger Gymnasium, das er bis 1929 besucht hatte, nach ihm benannt.

Wären da nicht einige ungeklärte Punkte in seinem offiziellen Lebenslauf gewesen, so wäre Genosse Erwin Strittmatter als einer der bedeutendsten Vertreter der DDR-Literatur in die Geschichte eingegangen, der über sich selbst sagen konnte, ohne die DDR „wäre ich nicht nur nicht der Schriftsteller geworden, der ich bin, sondern überhaupt kein Schriftsteller“. Aber jedem aufmerksamen Beobachter mußte auffallen, daß schon im DDR-Schriftsteller-Lexikon von 1974, was die Jahre 1934 bis 1945 betraf, eine erhebliche Lücke in der Biographie klaffte. Wo war er als Soldat der „Wehrmacht“ eingesetzt, bevor er, wie man heute weiß, im Februar 1945 Fahnenflucht beging? Im Jahr 2000 konnte man im West-Lexikon „Wer war wer in der DDR?“ Näheres erfahren. Danach wurde der spätere Sozialist 1941 zur „Schutzpolizei“ einberufen und arbeitete als Oberwachtmeister in der Schreibstube. Das „Reserve-Polizei-Bataillon 325“, dem er diente, war in Slowenien, Österreich, Finnland und Griechenland eingesetzt. Drei Jahre später, 1944, arbeitete er in der Reichshauptstadt Berlin in der Film- und Bildstelle der „Ordnungspolizei“, die er nach einem Bombenangriff verließ, um unterzutauchen. Was waren „Schutzpolizei“ und „Ordnungspolizei“ und welche Aufgaben hatten sie im Krieg zu verrichten?

Den Berliner Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Werner Liersch (1932) haben diese mageren Angaben im Lebenslauf eines Kollegen nicht ruhen lassen. So ist er, Aufklärer aus DDR-Erfahrung, in mehreren Archiven fündig geworden und hat seine Forschungsergebnisse am 8. Juni in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ veröffentlicht. So wurde Erwin Strittmatter im April 1941 nicht zur „Schutzpolizei“, sondern zur „Ordnungspolizei“ einberufen. Diese Polizeitruppe, der er angehörte, wurde im Spätherbst 1941 zur Objektbewachung in Slowenien und 1942 zum Schutz des Hinterlandes an der Karelischen Front in Finnland eingesetzt, bevor er im Sommer 1942, auf Befehl Heinrich Himmlers, des „Reichsführers SS“, noch einmal nach Slowenien abkommandiert wurde zur „Bandenbekämpfung“. Hier soll es zum „Massaker von Bistrica“ gekommen sein, an welchem der Regimentsschreiber Erwin Strittmatter nicht unmittelbar beteiligt war, das er aber, wie andere Kriegsereignisse auch, säuberlich aufzuzeichnen hatte.

Im Dezember 1942 wurde die Einheit nach Griechenland verlegt und ab dem 24. Februar 1943 als „SS-Polizeiregiment“ geführt, das im Juni 1944 zu „Säuberungsaktionen“ auf die Halbinsel Peloponnes befohlen wurde. SS-Mann Erwin Strittmatter, der in seiner Erzählung „Grüner Juni“ (1985) diese Vorfälle verschweigt, hatte Kenntnisse ungeheuren Ausmaßes über die von seiner Einheit begangenen Verbrechen, ohne daß er sich in einem Schreibakt, wenn auch nur in fiktiver Form, davon befreit hätte. Aber dadurch war er erpreßbar geworden, da anzunehmen ist, daß die „Zentrale Partei-Kontroll-Kommission“ wie auch die „Staatssicherheit“ über sein unterschlagenes Vorleben im Krieg informiert waren. So wurde er am 11. Juni 1959, nachdem es vorher bereits mehrere Treffen mit MfS-Leutnant Benno Paroch gegeben hatte, unter dem Decknamen „Dollgow“ als „Geheimer Informator“ angeworben, der bis 1964 allerlei Wissenswertes über Kollegen aus Vorstand und Mitgliedschaft des Schriftstel-lerverbands berichten konnte.

Foto: Das Andenken bewahren: Historischer Tresen in der Erwin-Strittmatter-Gedenkstätte „Der Laden" in Bohsdorf südlich von Cottbus


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