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12.07.08 / Wir fahren nach Ajonken / Die Zeiten ändern sich – die Urlaubsziele auch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

Wir fahren nach Ajonken
Die Zeiten ändern sich – die Urlaubsziele auch
von Christel Bethke

Am Sonntag fliegen wir nach Amerika. Da gibt es eine echte Lewis schon für 50 Dollar.“ Oma denkt sich ihren Teil, rückt aber doch das Geld für die echten raus. Statt Dollar, 50 Euro. Aber dafür bis nach Amerika?! Na, sie will kein Spielverderber sein. Ist ja auch schön, daß die Jugend von heute was von der Welt zu sehen bekommt.

„Am Sonntag fahren wir nach Ajonken“, bestimmte die Großmutter zu ihrer Zeit, „und du kommst mit.“ Das Kind wird vor lauter Freude ganz rot und stumm. Einmal mußte das im Sommer sein und einmal im Winter Einmal mit der Kutsche und einmal mit dem Schlitten. Was schöner ist, konnte man nicht sagen.

Aber erst muß Großvater zu seinem Bruder Julius, der den elterlichen Hof bewirtschaftet, und sich Pferde und Wagen ausleihen. Ob er die beiden Braunen bekommt, fragt sich das Kind, das mit ist. Bekommt er, aber Onkel Julius kann es nicht lassen und mahnt: „Aber jag se n nich so bei der Hitze.“ „Aber wo werd ich se jagen“, wehrt Opa ab. Und die Kutsche gibt es, in der man sich hochherrschaftlich vorkommt. Oma und das Kind hinten und Großvater vorn, die Zügel in der Hand, mit der er die Braunen dirigiert.

Aber erst die Vorbereitungen. Großvater beim Waschen im Hof an der Pumpe, das Kind bedient den Schwengel je nach Bedarf. Wie der schnauft und prustet! Zum Fürchten. Überm Staketenzaun hat Oma ein frisches Hemd und neue Fußlappen gehängt.

Blau ist das Hemd, mit weißen Streifen, ohne Kragen, denn die kann er nicht vertragen. Deshalb haben seine Hemden nur einen ganz schmalen Stehkragen. Zimmermannshemden. Dazu die neue Manchesterhose und die mit Lederfett eingeschmierten Schnürschuhe. Großmutter hat sich das Haar schon am Vortage gewaschen, es mit dem Regenwasser aus der Tonne gespült, bis es knirscht und in der Sonne trocken gebürstet. Jetzt glänzt es und ist so weich, daß die Haarnadeln ständig aus dem dicken Haarknoten rutschen. Dauernd muß sie sich an den Dutt fassen und nachfühlen.

Gleich nach dem frühen Mittagessen geht es los. Sommerherrlichkeit. Sommerweg, rechts und links von der Chaussee unendliche Getreidefelder. In der Chaussee herrscht grünes Dämmerlicht. Schmetterlinge taumeln über den Weg.

Ab und zu stöbern sie einen auf, der neben ihnen aus dem Graben hoch kommt. Lerchengesang oben in der Luft. Wird es Regen geben? Es ist heiß, aber auch schwül? Nein, wird nicht, die Schwalben fliegen hoch über ihnen und machen den Lerchen Konkurrenz. Großmutter ist fast eingedöst und Opa hat sich sein großes Taschentuch mit Hilfe von vier großen Knoten zur Kopfbedeckung umfunktioniert.

Die Pferde müssen ab und zu auf Trab gebracht werden, sonst kommen sie ja ewig nicht an. Das Kind ist selig, wenn es sich auch ein wenig geniert wegen Opas „Mütze“. Bald aber kommt die Abzweigung, der Birkenweg nach Ajonken. Paar Häuserchen an der Straße, jedes eine Welt für sich.

Onkel Franz muß die Staubwolke gesehen haben, denn er steht schon am Tor und erwartet sie, hilft galant den Damen aus der Kutsche. Der Hof ganz auf Sonntag: Gefegt, aufgeräumt, am Misthaufen träges Geflügel. Sogar Prinz, der Hund, wedelt nur schwach zur Begrüßung mit dem Schwanz. Willkommen waren sie immer, auch ohne Anmeldung. Wie sollte das wohl auch gehen?

Während die Männer die Pferde zur Koppel führen, wird Tante Metha begrüßt. Fladen ist auch da und dazu bekommt das Kind Himbeersaft. Tante Metha holt welchen aus dem Keller, er ist kühl und wird mit Brunnenwasser gemischt.

Opa muß Onkel Franzens Selbstgebrannten probieren. Nicht übel, aber Opa muß sich bald ins Gras unter den Birnbaum legen und ein Nickerchen machen. Der Kuchen schmeckt wunderbar. Den könnte man immerzu essen.

Während die Frauen am Kaffetisch sitzen und plachandern, darf das Kind mit Onkel Julius zu den Tieren. Wieviel neue es gibt. Am niedlichsten sind die kleinen Fohlen. Ob das Kind mal reiten will? Nein, lieber nicht, aber eins von den kleinen Kaninchen darf es auf den Arm nehmen. Es ist fast schon dunkel, als es wieder nach Hause geht. Die Vögel sind verstummt, nur die Poggen machen ihr lautstarkes Konzert in den Tümpeln. Der Himmel wird tief und schwarz und ist übersät mit flirrenden glitzernden Sternen, die ihr Licht verdoppeln müssen, denn der Mond hat heute Feierabend, wie der Großvater behauptet.

Gott sei Dank ist keine Verkehrskontrolle zu befürchten, kein ins Röhrchen pusten. Die Pferde finden den Weg von ganz allein, und als sie bei sich ankommen, muß der Großvater das schlafende Kind ins Haus tragen. Auch die Großmutter ist eingeschlafen und hat doch nichts vom Selbstgebrannten zu sich genommen.

Sehr viel später wird das Kind als Erwachsene auf einer alten Landkarte nachsehen, wo Ajonken liegt. Gesucht und nicht gefunden. Wahrscheinlich erhielt es wie viele Dörfer einen neuen Namen in neuer Zeit. Ganz bestimmt. Oder war das alles nur ein Traum? Nein, es war keiner, denn da gab es dieses verdorbene Voilekleid mit den gestickten Blumenkränzen, weiß, verdorben durch die Kirschen, die es im Garten gegessen hatte. Und was natürlich eine Standpauke nach sich zog. Sicherlich wären für derartige Unternehmungen Lewis praktischer gewesen, oder?


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