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19.07.08 / Arm trotz Studium / Neues Prekariat? Vor allem Juristen haben es auf dem Arbeitsmarkt immer schwerer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-08 vom 19. Juli 2008

Arm trotz Studium
Neues Prekariat? Vor allem Juristen haben es auf dem Arbeitsmarkt immer schwerer
von Michael Böhm

Es ist die Gesellschaft“, ruft Robert mit gespielter Entrüstung, „sie läßt mir keine andere Wahl“! Der 36jährige sitzt lachend in seiner Berliner Wohnung. Übermütig deutet er mit dem rechten Daumen hinter sich zu seinem Schreibtisch: Dort, auf seinem Laptop seien seine einzigen Verdienstmöglichkeiten gespeichert: „Manuskripte für Seminararbeiten und Dissertationen – allesamt katastrophal, allesamt aus dem juristischen Bereich. Bei der Hochschulpolitik habe ich hier einen Wachstumsmarkt!“

Robert meint das ernst, denn obgleich er ein typischer Vertreter der „Generation Praktikum“ ist, bildet er darin einen Sonderfall: Robert ist akademischer Ghostwriter – „Textdoktor“ wie er sich nennt. „Den Webauftritt hat mir ein Freund erstellt“, sagt er, indem er umständlich seinen Laptop einschaltet. „Da habe ich was für ihn tun können. Er ist Graphiker, seit langem arbeitslos und hat sich damit 500 Euro verdient.“ Die Internetseite war wahrscheinlich „der“ Einfall von Robert in den vergangenen Jahren. „Die letzte Hoffnung, mich beruflich zu etablieren“, lächelt er. Unter „Lobermann-Consulting.de“ können solvente Jurastudenten von Robert ihre Seminararbeiten schreiben lassen und – ginge es nach ihm – „sogar gänzlich aufhören nachzudenken“. Auf der in seriösem Grau gehaltenen Internetseite bietet der „Textdoktor“ „Hilfestellungen“ bei rechtswissenschaftlichen Hausarbeiten an, „fachkompetent“, „zuverlässig“ und vor allem „diskret“. „Meistens fangen die Studenten zu schreiben an und wissen später nicht mehr weiter“, erklärt er. „Die kopieren dann ihre Texte und schicken sie her.“ Der Preis ist Verhandlungssache, je nach Art und Umfang wird er nach Seiten berechnet: 40 Euro bei einer einfachen Hausarbeit, mindestens 100 Euro bei einer Dissertation. Die Kunden zahlen die Hälfte im voraus, den Rest nach Lieferung – damit es „keine Schwierigkeiten“ gibt. Natürlich sei der Verdienst unsicher, aber während der Semesterferien habe er Hochkonjunktur, dann seien es monatlich zwischen „fünf und sechs Riesen“. 5000 bis 6000 Euro – diese Summe gedachte Robert einmal auf „normalem“ Wege zu verdienen, als Jurist in einem Unternehmen – deshalb hatte er Rechtswissenschaften studiert: Aus einer Familie kommend, die „öfter knapp bei Kasse war“ und „an allem interessiert aber ohne Leidenschaft“, erschien ihm der Anwaltsberuf als „eine sichere Bank“ – Robert wollte später einfach Geld verdienen. Das Studium sei nicht einfach gewesen, sagt er, er habe hart gearbeitet und sich nach dem Ende des Referendariats immer wieder beworben, Praktika gemacht und Fortbildungen besucht, doch erfolglos. Mit seinem eher durchschnittlichen Abschluß konnte er sich nur als „Einzelanwalt“ niederlassen, in einer Bürogemeinschaft mit anderen Kollegen. Dort aber sei „nie wirklich etwas rumgekommen“. Aber: Er wisse von Fällen, wo junge Anwälte die Hälfte der Woche als Krankenpfleger arbeiten oder in einer Kneipe bedienen. Ist die Anwaltschaft heute also von Prekariat und Armut bedroht? Tatsächlich scheint der Nimbus eines krisenfesten, bürgerlichen Berufes mit auskömmlichem Gehalt verblaßt zu sein – vor allem weil der Wettbewerb größer geworden ist: Wie aus einer Studie des Essener Soldan-Instituts für Anwaltsmanagement hervorgeht, hat sich die Zahl der Anwälte seit 1955 versiebenfacht: Während es in jenem Jahr noch 17000 in Deutschland zugelassene Anwälte gegeben hatte, waren es 2006 schon fast 139000. Dementsprechend seien die erzielten Jahresumsätze zwar kontinuierlich gewachsen, aber das damit verbundene Pro-Kopf-Einkommen entsprechend rückläufig. Von „Marktsättigung“ ist die Rede und davon, daß 18 Prozent der jungen Anwälte ihre Tätigkeit mit Nebenbeschäftigungen kombinieren müssen. Aber auch anderweitig läßt sich dieser Trend ablesen: So heißt es etwa aus dem Berliner Anwaltsversorgungswerk – der berufständischen Sozialversicherung der Anwaltschaft – daß der durchschnittliche Beitragsatz „kontinuierlich sinkt“, Vollstreckungen „spürbar“ zunehmen und zuweilen Hartz IV bezogen wird. Dagegen betont die Studie des Soldan-Instituts die neuen Voraussetzungen, um heute als Anwalt zu reüssieren: Spezialisierung als Fachanwalt, kaufmännisches und strategisches Talent sowie überdurchschnittliche Examensergebnisse und möglichst Promotion. Offenkundig fühlen sich viele Junganwälte diesen Herausforderungen nicht gewachsen: Die Zahl derjenigen, die im Alter von 27 bis 39 Jahren ihre Zulassung zurückgaben, sei doppelt so hoch wie die der über 60jährigen, so die Studie des Soldan-Instituts. „Es ist schwer geworden, eine Kanzlei am Markt durchzusetzen“ meint ein Berliner Anwalt. „Wer heute denkt, er braucht nur ein Schild an seine Tür zu hängen, wird scheitern.“ Robert hatte nach drei Jahren genug – bis zu dem Zeitpunkt, als ein Freund ihm diesen Taiwanesen vorstellte: „Der brauchte dringend eine Seminararbeit im öffentlichen Recht.“ Nach dem Geschäft mit dem Taiwanesen hatte Robert unzählige Ghostwriter im Internet gefunden und für sie gearbeitet, später beschloß er, sich damit auf eigene Füße zu stellen. „Nachfrage und Angebot sind in den vergangenen Jahren gewachsen“, sagt er, „angehende und ausgebildete Juristen stehen heute unter großem Druck: die Studiengebühren, die härter gewordene Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.“ Die Anonymität des Internets lasse auf beiden Seiten die Hemmungen fallen. Rechtliche Probleme sieht Robert nicht. Er hebt entwaffnend die Hände und erklärt in fast dozierendem Ton: „Der Gesetzgeber läßt es zu.“

Foto: Lohn: Wer Jura studiert, hofft, später als Richter oder Anwalt gutes Geld zu verdienen (ddp)


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