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19.07.08 / Rätsel um Bernstein / Landschaftsbeschreibungen retten krude Handlung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-08 vom 19. Juli 2008

Rätsel um Bernstein
Landschaftsbeschreibungen retten krude Handlung

Reizvolle, am Meer gelegene Schauplätze und ein mysteriöses Schmuckstück mit keltischer Ornamentik: Auf diesem Spielplatz der Ideen, der uns irgendwie bekannt vorkommt, hat die Britin Juliet Hall die Handlung ihres Unterhaltungsromans „Das Erbe der Töchter“ angesiedelt. Cari, eine junge Geschäftsfrau aus der südenglischen Seestadt Brighton, will nach dem Tod ihrer Mutter Tasmin endlich die düsteren Geheimnisse ihrer Familie lüften. Tasmin hatte ihr nie etwas über ihre Großeltern erzählt, selbst ihren Vater kennt Cari nicht. Im Nachlaß ihrer Mutter findet sie ein rätselhaftes Schmuckstück. Es ist ein Bernsteinanhänger auf einer Silberplatte, deren Rand mit einem dreifachen Spiralornament geschmückt ist, der sogenannten keltischen Triskele. Die Bedeutung dieses sehr alten Ornaments ist nicht geklärt, doch das ficht die Autorin nicht an. Die Triskele symbolisiere die drei Lebensalter einer Frau, auch die drei Geistesstufen bis zur Weisheit, läßt sie in einer Rückschau Hester, Caris Ururgroßmutter, ihrer neunjährigen Enkelin Aurelia mitteilen, als sie dieser das Schmuckstück kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs übergab. Mit dieser Deutung werden viele Leser, die sich mit sogenannten keltischen Traditionen befassen, kein Problem haben, auch nicht mit der Idealisierung starker, unabhängiger Frauen. Was liegt also näher, als solch ein Schmuckstück zum Dreh- und Angelpunkt eines Buches der Gattung „Mystische Romanze“ zu machen, das auf eine weibliche Leserschaft ausgerichtet ist? Übrigens scheint es in den britischen Werken von esoterischer Spielart ein Muß zu geben, den sagenhaften König Artus mindestens einmal zu erwähnen.

Was es mit diesem Bernsteinanhänger auf sich hat, darüber darf dann auf mehr als 400 Seiten weidlich spekuliert werden. Hatte Hester doch eine „Triade der  Frauen“ erwähnt, und es stellt sich die Frage: Wer ist wohl neben Hester und Aurelia die Dritte im Bunde?

Ein junger, gut aussehender Italiener namens Marco tritt in Caris Leben, der, man ahnt es sofort, über ihre Familiengeschichte Bescheid weiß. Doch auch Marco umgibt sich mit Verschwiegenheit – das Handlungskonzept dieses Romans basiert geradezu auf der nachhaltigen Geheimniskrämerei seiner Figuren gegenüber Freunden und Angehörigen. Cari will nun endlich selbst Nachforschungen anstellen. Sie reist nach Italien, nachdem sie erfahren hat, daß ihre Großmutter Aurelia 1974 Tochter und Mann verließ, um nach Lucca in die Toskana zu ziehen. In Lucca trifft sie Marco wieder – rein zufällig, wie ihr immer noch scheinen will –, der sie zu ihrer Großmutter bringt. Die 75jährige, eine Künstlerin, wohnt mit ihrem italienischen Partner in einer alten Villa in traumhafter Lage an der südlichen Küste Liguriens. Cari entdeckt ein Labyrinth aus Jasmin und Oleander, das zur Gartenanlage von Aurelias Villa gehört. Es hat, nicht allzu verwunderlich, die Form einer keltischen Triskele. Damit steht die Aufklärung des Rätsels allerdings immer noch in weiter Ferne.

In England gelang der Autorin, die eigentlich Jan Henley heißt und Schreibkurse in ihrer Heimatstadt in West Dorset gibt, mit ihrem ersten Roman der kalkulierte Erfolg. Ihre Landschaftsbeschreibungen der Cinque Terre, ihrer Dörfer und Städte mit den mittelalterlichen Bauten lösen garantiert Fernweh aus. „Träge schwamm Aurelia mit weit ausholenden Zügen in Richtung Tellaro. Die Fischerboote liefen mit ihrem Fang ein. Die bunt gestrichenen Häuser im Hafen und die Mauern der

Barockkirche leuchteten in der Sonne. Aurelia meinte, den Geruch nach Salz und Fisch, nach Netzen und glitschigen Schuppen wahrzunehmen. In der Ferne erhoben sich Byrons sanft terrassierte Hügel, die mit Olivenbäumen und Rebstöcken bepflanzt waren. In morgendlichen Dunst gehüllt, erwachten die silbriggrauen Olivenhaine zu einem weiteren sonnigen Frühlingstag.“      D. Jestrzemski

Juliet Hall: „Das Erbe der Töchter“, Lübbe 2007, geb., 492 Seiten, 16,95 Euro


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