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26.07.08 / Am liebsten gar nichts / Projekt Mediaspree: Kiez-Nostalgiker blockieren Millioneninvestition in Berlins Mitte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Am liebsten gar nichts
Projekt Mediaspree: Kiez-Nostalgiker blockieren Millioneninvestition in Berlins Mitte
von Markus Schleusener

Die Oberbaumbrücke ist ein beliebtes Berlin-Motiv. Oben fährt die U-Bahn zwischen den Bahnhöfen Warschauer Straße und Schlesisches Tor. Unten quält sich der Autoverkehr von und nach Kreuzberg. Genau hier sollten verschiedene Büro-, Wohn- und Veranstaltungsgebäude entstehen. Ein „Ankerplatz mit Zukunft“ – so werben die Investoren auf ihren Hochglanzbroschüren. Doch daraus wird wohl nichts.

Friedrichshain-Kreuzberg ist zwar eine rot-grüne Hochburg, aber in gewisser Hinsicht einer der konservativsten Bezirke überhaupt. Die Bewohner des West-Ost-Doppelbezirks haben per Referendum einen Bebauungsplan für das Spreeufer östlich der Jannowitzbrücke gekippt.

Zwar hat dieser Bezirksentscheid nur beratenden Charakter – ähnlich wie der Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof im April. Jedoch: Die Bürger in Kreuzberg und Friedrichshain haben ihre ablehnende Haltung eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Es wird daher damit gerechnet, daß das Projekt Mediaspree nun nicht errichtet wird. Für den Bezirk bedeutet dies einen Verlust von vielen Millionen Euro an Investitionen. Zudem könnte eine Entschädigung der Investoren anstehen. Einer Berechnung zufolge geht es um eine Summe von bis zu 165 Millionen Euro.

Vordergründig ging es um einen Mindestabstand von 50 Metern zwischen Gebäuden und dem Spreeufer. Außerdem sollten die Häuser nicht höher als 22 Meter sein. In Wirklichkeit geht es aber um antikapitalistische Reflexe. Das Wort „Investor“ hat in Kreuzberg ungefähr einen so guten Klang wie die Berufsbezeichnung „Kriminalhauptkommissar“ in Ganovenkreisen.

Und obwohl die Investoren keine Fabrik mit rauchenden Schloten und erst recht keinen Schnellen Brüter errichten wollten, sondern moderne Bürokomplexe für die wachsende Medien-Industrie, war Friedrichshain-Kreuzberg fast einstimmig (87 Prozent) dagegen.

In vielen Ecken Berlins, besonders in Kreuzberg und auch im Szenebezirk Prenzlauer Berg, sind Sprüche wie „Yuppies raus“ zu lesen. In solchen Parolen äußert sich die Angst vieler Leute vor der sogenannten Gentrifikation. Hinter diesem Soziologen-Kampfbegriff verbirgt sich nichts anderes als die Aufwertung eines Stadtteils, die aber in der Regel steigende Mieten nach sich zieht. Und davor sitzt die Angst tief.

In anderen Metropolen wie Paris oder Mailand, New York oder London zahlen die Bewohner ein Vielfaches der in Berlin üblichen Mieten. Und es gibt wenige Fakten, die für ein Horrorszenario plötzlich explodierender Mieten an der Spree sprechen. Das Angebot an günstigen Wohnungen in Zentrumsnähe ist im Vergleich mit anderen Metropolen zu gewaltig. Aber wo die Furcht regiert, da sind der Vernunft Grenzen gesetzt.

Der militante Flügel der Bewegung gegen die angebliche Gentrifikation steckt dessen ungeachtet seit Monaten Autos in Brand, vorzugsweise Luxus­karossen oder Firmenwagen von Unternehmen, die irgendwie nach Globalisierung riechen. Der friedlichere Flügel dagegen suchte, angeführt von einem 43jährigen Hartz-IV-Empfänger, sein Heil in dem Referendum.

Eines haben die Gegner der Gentrifikation gemeinsam: Sie wollen ihren Multikulti-Bezirk so erhalten, wie er jetzt ist. Nur ja keine Veränderung. Lieber soll eine brachliegende Fläche eine brachliegende Fläche bleiben, auf der Punker abends grillen oder Autofahrer ihre Autos parken können (aber lieber keine Luxuskarossen), als daß ein Investor kommt und dort einen Bürokomplex hinstellt.

Nicht mal eine McDonalds-Filiale kann in diesem Teil Berlins gebaut werden, ohne daß der zuständige Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) eine Anti-Demo anführt. So geschehen in der Kreuzberger Wrangelstraße.

Klaus Wowereit (SPD) steckt deswegen in der Klemme. Der Regierende Bürgermeister und sein Senat brauchen positive Meldungen, keine Hiobsbotschaften. Zwei Prozent Wirtschaftswachstum gelten hierzulande schon als Riesenerfolg. Ein ansehnlicher Teil der Wowereit-Unterstützer aber kommt aus der Szene der Kreuzberger Mediaspree-Gegner.

Das jetzige Votum geht dem Regierungschef deswegen gehörig gegen den Strich. „Wir brauchen Investoren“, maulte er kurz und knapp. Und kündigte gleichzeitig an, den Bezirk mit den Schadenersatzforderungen der Investoren allein lassen zu wollen.

Das hat die Stimmung im Kiez für Klaus Wowereit nicht gerade befeuert. Es sieht so aus, als würde sich ein Teil des angestammten rot-grünen Spektrums gegen den SPD-Linke-Senat kehren.

Foto: Spreeufer heute: Grillplatz statt Großprojekt


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