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26.07.08 / Der bestellte Alarm / Abgeordnetenhaus: Fraktion und Senatorin der Linkspartei spielen sich die Wahlkampfmunition zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Der bestellte Alarm
Abgeordnetenhaus: Fraktion und Senatorin der Linkspartei spielen sich die Wahlkampfmunition zu
von Patrick O’brian

Wie hoch ist die Zahl der Sozialfälle in Berlin? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wer sich durch das Dickicht der Sozialstaatsbürokratie und der amtlichen Statistiken arbeitet, kann schnell verzweifeln, vor allem, wenn er auch noch versucht, die Zahlen mit der Zeit vor der Hartz-Reform zu vergleichen.

Die offiziell verfügbaren Daten des Statistikamtes stammen von 2006, sind also nicht mehr ganz taufrisch. Vor einem Jahr – im Juli 2007 – gab die „Berliner Morgenpost“ allein die Zahl der Hartz-IV-Empfänger (ohne Sozialhilfebezieher) mit 446000 an. Zusammen mit ihren Angehörigen (überwiegend Kinder) lebten damals insgesamt 623000 Menschen vom Arbeitslosengeld II. Das ist jeder sechste in Berlin. Eine Zahl, die sich in den vergangenen Jahren trotz guter Konjunktur leider nicht verbessert hat.

Obwohl sich an diesen Daten nicht viel geändert hat, gelingt es der Linkspartei immer wieder, aus der Hartz-IV-Reform propagandistischen Nutzen zu ziehen. Vor einer Woche schockte folgende Pressemeldung viele Berliner: „Mehr als jeder dritte Minderjährige lebt von Hartz IV.“

Aus dem Bericht geht hervor, daß die Eltern von insgesamt 176724 Kindern und Jugendlichen Hartz-IV-Empfänger sind oder Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen. Dies entspricht einem Anteil von etwa 35 Prozent, da in Berlin rund 500000 Kinder und Jugendliche leben.

Die höchsten Anteile von als arm geltenden Jugendlichen leben in den bekannten Brennpunktbezirken: Mitte (26192), Neukölln (25722), Friedrichshain-Kreuzberg (19221). Die wenigsten sind in bürgerlichen Randbezirken wie Steglitz-Zehlendorf (6799) oder Treptow-Köpenick (7939) zuhause.

Schockierend zwar, aber nicht neu. Dennoch fanden die Zahlen erneut eine lautes Medienecho, nachdem die Linkspartei eine Kleine Anfrage gestellt hatte im Berliner Abgeordnetenhaus, genauer: bei der zuständigen Sozialsenatorin. Und wer ist Sozialsenatorin? Heidi Knake-Werner, früher DKP-Mitglied, jetzt in der Linkspartei.

So spielt man sich Bälle zu. Die Zahlen waren der Linkspartei nämlich längst bekannt, bevor die Genossen ihre Anfrage stellten. In einer Broschüre ihrer Fraktion vom Februar 2008 heißt es wörtlich: „Jedes dritte Kind unter 18 Jahren wächst in Berlin in Armut auf. Das sind 178000 Kinder.“ Die neuerliche Überraschung der Partei über die scheinbar plötzlich grassierende Kinderarmut war also nur gespielt.

Indes: Derlei Schauspiel hat sich bislang für die PDS/Linkspartei bezahlt gemacht. Um endlich etwas gegen die ausufernde Arbeitslosigkeit zu tun, beauftragte Gerhard Schröder 2002 den inzwischen vom VW-Skandal geschädigten Manager Peter Hartz mit der Ausarbeitung von Reformvorschlägen für den Arbeitsmarkt. Feierlich übergab der VW-Personalchef dem Kanzler vor sechs Jahren sein Papier.

2003 stelle Schröder dann seine Agenda 2010 vor. Kernstück: „Fordern und Fördern“. Im Klartext: Arbeitslose sollten stärker als bisher angehalten werden, sich um Arbeit zu bemühen. Je näher der Termin der Einführung von Hartz IV rückte, desto heftiger wurde der Protest. Vor allem in den neuen Bundesländern, wo viele die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II fürchteten. Die am Boden liegende PDS schöpfte indes wieder Hoffnung und startete die Kampagne „Hartz IV ist Armut per Gesetz“.

Als Linkspartei gelang den SED/PDS-Altgenossen 2005, dem Jahr der Einführung von Hartz IV, auf diese Weise das größte Comeback der deutschen Parteiengeschichte. Schließlich war die Partei 2002 aus dem Bundestag geflogen und galt schon als erledigt.

Was aber können wir aus den Zahlen wirklich ablesen? Daß Kinder ein Armutsrisiko darstellen, wie manchmal behauptet wird? Wohl kaum. Niemand wird plötzlich arm, weil er oder sie Kinder bekommt. Eher ist es so, daß in einkommensschwachen Familien mehr Kinder geboren werden als in jungen Aufsteigerhaushalten.

Die alleinerziehende Hartz-IV-Mutti – insgesamt gibt es rund 100000 Alleinerziehende in Berlin – freut sich über die 208 Euro (ab dem 14. Lebensjahr 278 Euro) zusätzlich vom Sozialamt für ein Kind, während viele Frauen aus der Mittel- und Oberschicht aus Karrieregründen auf Kinder verzichten oder die Geburt zumindest lange hinausschieben. So kommen die meisten armen Kinder bereits als Sozialfall zur Welt. Von einem dramatischen Abstieg Tausender Kinder, wie ihn die alarmistischen Reaktionen der Linken auf die bestellte Senatoren-Antwort signalisieren wollen, kann keine Rede sein.


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