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26.07.08 / Große Hungersnot in der Kornkammer / Kiew nimmt es Moskau übel, daß es den Völkermord Stalins an den Ukrainern 1932/1933 leugnet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Große Hungersnot in der Kornkammer
Kiew nimmt es Moskau übel, daß es den Völkermord Stalins an den Ukrainern 1932/1933 leugnet
von Klaus J. Groth

Die Angst vor dem Hungertod ist tief eingebrannt in das kollektive Gedächtnis der Menschen in der Ukraine. In dem Land, in dem der Boden von sprichwörtlicher Fruchtbarkeit ist, starben in den Jahren 1932/1933 sechs Millionen Menschen den Hungertod. Als „Golodomor“ bezeichnen die Ukrainer diesen Genozid. Sie sind überzeugt, daß dieser millionenfache Hungertod willentlicher Völkermord Stalins war. Präsident Viktor Juschtschenko  brachte einen Gesetzentwurf ein, nach dem die große Hungersnot als Genozid am ukrainischen Volk anerkannt wird. Doch als jetzt vor einer Woche das Thema zum 75. Jahrestag auf die Tagesordnung der 62. UN-Vollversammlung gesetzt werden sollte, da scheiterten die Antragsteller am Einspruch des russischen UN-Botschafters.

Nach dem Polnisch-Ukrainischen Krieg wurde die Ukraine zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt, 1922 offiziell mit ihrem mittleren und östlichen Teil der Sowjetunion einverleibt. Nach der Zwangskollektivierung wurden die Bauern verpflichtet, einen vorgegebenen Prozentsatz ihrer Ernte an den Staat zu liefern. Anfangs betrug diese Quote 30 Prozent, 1931 wurde sie bei Getreide auf 40 Prozent erhöht. Teilweise lagen die Quoten auch deutlich höher. Die Bauern, denen unter diesen Umständen kaum die Saat für das kommende Jahr, das Futter für das Vieh und das Mehl für das eigene Brot blieb, widersetzten sich. Sie versuchten einen Teil ihrer Ernte zu verstecken. Kommunistische Stoßbrigaden zogen über das Land und requirierten mit Härte. Nach dem 1932 erlassenen „Ährengesetz“ konnte „Diebstahl oder Verschwendung sozialistischen Eigentums“ mit zehn Jahren Gefängnis und auch mit der Todesstrafe geahndet werden. In eineinhalb Jahren wurden 125000 Menschen nach diesem Gesetz verurteilt, meist, weil sie Weizen- oder Korn-ähren von den Feldern gestohlen hatten. 5400 Todesurteile wurden ausgesprochen. Trotz dieser drakonischen Maßnahmen blieb der Einzug von Getreide weit hinter dem Plan zurück. Eine vom Kreml in die Ukraine entsandte Sonderkommission versuchte mit einer Verhaftungswelle den Widerstand zu brechen. Gleichzeitig wurden der Landbevölkerung lebensnotwendige Güter entzogen. Auf dem Land von der Versorgung abgeschnitten, versuchten die Menschen in die Städte zu fliehen. Als Reaktion wurden ein Inlandpaß und eine Meldepflicht für die Städte eingeführt. Menschen, denen die Flucht in eine Stadt gelungen war, wurden aufgegriffen und wieder auf das Land deportiert. In ihrer Not hatten Eltern Tausende von Kindern in die Städte gebracht. Sondereinheiten machten Jagd auf solche Kinder und setzten die verhungernden Kinder zum Sterben auf freiem Feld aus.

Zur gleichen Zeit exportierte die Sowjetunion 1,8 Millionen Tonnen Getreide. Das Ausland wußte zwar um die Not in der Ukraine, kümmerte sich aber wenig darum. Oder ließ sich täuschen, wie der französische Abgeordnete Édouard Herriot, der 1933 schwärmte: „Ich habe die Ukraine durchquert und kann nur bestätigen, daß ich sie wie einen Garten mit vollem Ertrag erlebt habe.“ Seine Gastgeber hatten ihn auf eine Route mit Musterkolchosen geschickt.

Für die Ukrainer aber ist das Sterben während der Hungersnot heute noch wie erlebte Vergangenheit. Und Grund, den Preis für Getreide staatlich festzulegen.


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