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26.07.08 / Hartz-IV-Rolle rückwärts / Statt nach Bundesverfassungsgerichtsurteil umzudenken, will Schwarz-Rot lieber Grundgesetz ändern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Hartz-IV-Rolle rückwärts
Statt nach Bundesverfassungsgerichtsurteil umzudenken, will Schwarz-Rot lieber Grundgesetz ändern
von Mariano Albrecht

Was nicht paßt, wird passend gemacht, darauf scheinen sich die Sozialminister der Länder auf ihrer Sonderkonferenz in Berlin geeinigt zu haben.

Es geht um die Organisation der Betreuung von rund fünf Millionen Empfängern von Arbeitslosengeld II (ALG II / Hartz IV). Bisher werden Hartz-IV-Empfänger von Arbeitsgemeinschaften (Arge) aus Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Kommunen betreut. Diese Mischverwaltung ist unzulässig, das entschied das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr.

Die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und BA hatte Agenturchef Frank-Jürgen Weise gerade noch als „Katastrophe“ bezeichnet.

Eine Studie der BA attestiert nicht nur eine katastrophale Zusammenarbeit, sondern ein Versagen auf der ganzen Linie. Man glaubt es kaum: Obwohl Hartz-IV-Empfänger durch die Zusammenlegung von Sozialämtern und regionalen Arbeitsagenturen zu Jobcentern nur eine Anlaufstelle hatten, bleibt das Konzept „Hilfe aus einer Hand“ nur ein Wunschtraum. Rund 45 Prozent Fehlerquote bei Bescheiden, 136000 Klagen vor den Sozialgerichten und 2747 Bundessozialgerichtsverfahren sprechen eine deutliche Sprache.

Aus der Studie der BA geht hervor, daß gerade einmal 3,4 Prozent der erwerbsfähigen ALG-II-Bezieher jeden Monat den Sprung in eine nicht von Staat finanzierte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schaffen.

Mit der Zusammenlegung von Sozialämtern mit Bereichen der Arbeitsagentur ist ein bürokratisches Monster geschaffen worden. Verwaltungsfachangestellte werden mit Aufgabenbereichen betraut, die sie offensichtlich überfordern, Arbeitsvermittler werden in Bereichen eingesetzt, die ihre Qualifikation nicht hergibt, und Sozialarbeiter müssen Aufgaben erfüllen, die weit von ihrem Stellenprofil entfernt sind. Gängige Praxis ist es, daß vielerorts Bezüge gezahlt oder gestrichen werden, in den seltensten Fällen jedoch Arbeit vermittelt wird. Bestenfalls werden ALG-II-Empfänger an freie Träger zur Ausübung von Ein-Euro-Jobs weitergereicht. Die wenigsten landen in festen Anstellungen.

Mit der Föderalismusreform ist den Ländern die Umsetzung von Bundesgesetzen auferlegt worden. Doch sträubten sich diese aus finanziellen Gründen, die komplette Betreuung von ALG-II-Empfängern zu übernehmen. Die Lösung war eine Mischverwaltung in Form der Arbeitsgemeinschaften: Die Bundesarbeitsagentur übernimmt die Zahlung der Leistungen zum Lebensunterhalt und die Arbeitsvermittlung, während die Kommunen die Finanzierung des Wohnraumes für Bedürftige sicherstellen müssen. Was von der Politik als „Hilfe aus einer Hand“ gepriesen wird, ist in Wirklichkeit für den Bürger ein Spießrutenlauf aus Offenbarung seiner finanziellen Verhältnisse, der Darlegung der Lebensverhältnisse – zum Beispiel Ehe, Lebens- oder Wohngemeinschaft, für die unterschiedliche Berechnungsgrundlagen angewendet werden, die von den Sachbearbeitern in unzähligen Fällen falsch interpretiert werden – und dem Nachweis, sich um Arbeit zu bemühen. Immer noch sind die Regelungen unklar, so entschied jüngst ein Gericht, daß die Ausübung eines Ein-Euro-Jobs nur an 30 Stunden in der Woche zulässig ist, damit sich der Arbeitslose in der übrigen Zeit um die Arbeitssuche kümmern kann.

Können Betroffene nach dem Veto des Verfassungsgerichtes mit Verbesserungen in der Betreuung und Vermittlung rechnen? Monatelang hatten die Sozialminister gestritten, ob die Kommunen nun die Aufgaben in eigener Regie übernehmen sollen oder ob man eine Körperschaft des öffentlichen Rechts konstruieren solle, um dem Artikel 83 des Grundgesetzes gerecht zu werden, der besagt, daß die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen müssen. Statt nun die Möglichkeit einer echten Reform zu nutzen, haben sich die Minister jedoch für eine Aushebelung der Föderalismusreform entschieden.

Eine Verfassungsänderung soll nun den Fortbestand der Arbeitsgemeinschaften und Jobcenter wie bisher möglich machen. Bis zum September will Arbeitsminister Scholz alle dafür notwendigen Gesetzestexte vorlegen.

Allerdings benötigen SPD und Union für eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat die Stimmen der kleineren Parteien.

Ob diese sich das Wahlkampfthema Hartz IV mit einem Ja zur Verfassungsänderung so leicht vom Tisch nehmen lassen, ist allerdings fraglich.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Kornelia Möller, stellt dazu fest: „Die einstimmige Entscheidung der Arbeits- und Sozialminister offenbart geballte politische Ignoranz gegenüber der vielfältigen Kritik von Wissenschaftlern und dem Bundesrechnungshof an den Ergebnissen der Hartz-Gesetzgebung.“

Dieser Feststellung bleibt eigentlich nur noch hinzuzufügen, daß die Länderminister aus Union und SPD mit dem, was Olaf Scholz als „großen Durchbruch“ bezeichnet hatte, der Linkspartei einmal mehr in die Hände spielen.

Foto: Betreuung aus einer Hand: Die Arbeitsgemeinschaft aus der bundeseigenen Agentur für Arbeit und den Kommunen sollte auch die Vermittlung von Arbeitslosen effektiver machen.


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