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26.07.08 / Kirchenfürst »zum Anfassen« entmachtet / Serbien: Der schwerkranke Patriarch Pavle wurde abgesetzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Kirchenfürst »zum Anfassen« entmachtet
Serbien: Der schwerkranke Patriarch Pavle wurde abgesetzt
von Wolf Oschlies

Hat die Serbische Orthodoxe Kirche (SPC) seit dem 17. Mai noch einen Patriarchen oder nicht? Amtsinhaber Pavle liegt seit Ende 2007 krank in der Belgrader Militär-Medizinischen Akademie, und gestützt auf den Artikel 62 der Kirchenverfassung übernahm die Synode der höchsten SPC-Geistlichen „alle Macht, Verpflichtungen und Kompetenzen des serbischen Patriarchen“. Das war legal, jedoch in vieler Hinsicht unüberlegt. Die SPC ist laut Umfragen die „glaubwürdigste Institution Serbiens“, wozu Patriarch Pavle – geboren 1914, seit 1990 im Amt – sie gemacht hat. Dazu verhalf ihm nicht so sehr die Machtfülle des Oberhirten einer orthodoxen Nationalkirche, vielmehr seine Bescheidenheit und menschliche Direktheit.

Seit Monaten fehlt den Belgradern der „Patriarch per Pedomobil“, also Pavle, der frühmorgens zu Fuß und gestützt auf seinen Patriarchenstab Brötchen einkaufte. Sie haben im Bus oder Zug neben ihm gesessen, wenn er zu irgendeinem Treffen fuhr und mal wieder seinen Dienstwagen samt Chauffeur vergessen hatte, sich auf der Straße begeistert um ihn geschart, Studenten gar mit „Pavle-Pavle“-Sprechchören, wenn er zum x-ten Mal seine Begleitung verloren hatte, um mit seinen Belgradern zu reden. Bei diesen hat er ein Image, wie es auch beste PR-Berater nicht schaffen könnten – als Priester, der seine einfachen Speisen selber zubereitet, seine Wäsche besorgt und seine Schuhe selber besohlt, als Hausherr des prächtigen Patriarchatsgebäudes, in dem er notfalls Jalousien, defekte Schlösser oder sogar den Lift reparieren kann und nach Dienstende vergessene Lampen ausknipst: Die Liste seiner handwerklichen Fertigkeiten ist sagenhaft lang, alle erworben als junger Mönch in einsamen Klöstern, der sich im „Do it yourself“-Verfahren materielle und geistige Unabhängigkeit erarbeitete. Ein Kirchenfürst „zum Anfassen“, den niemand einfach entmachten sollte, dem es um die Stellung der Kirche im Volk zu tun ist.

Die SPC wurde 1219 von dem Heiligen Sava begründet, Pavle ist ihr 44. Patriarch. Das nationale Wesen der Kirche ist vor allem in ihrer Theologie vom Kreuz erfaßt: Die horizontale Achse bildet die „krsna slava“ (Kreuzesfeier), die ein einigendes Band um alle Serben schlingt – die vertikale Achse repräsentiert das „nebeski narod“ (himmlische Volk), das 1389 in der Schlacht auf dem Amselfeld sein irdisches Reich verlor und seither an ein Sonderverhältnis der Serben zu Gott glaubt.

Offizieller Sitz des serbischen Patriarchats ist das kosovarische Pec, was Pavle, von 1957 bis 1990 Bischof des Kosovo, auf eine eigenwillige Art, die der Verkehrspolizei Schrecken einjagt, ständig in Erinnerung ruft: Häufig bricht er nach der Frühliturgie in Belgrad auf, läßt sich über rund 600 Kilometer in halsbrecherischem Tempo nach Pec fahren, wo er rechtzeitig zur Spätliturgie eintrifft – meist direkt aus dem Auto zum Altar. Gerade bei ihm ist die Aussage „Kosovo – Wiege des Serbentums“ keine Phrase, und noch Ende April rief er zum orthodoxen Osterfest alle Gläubigen auf, die „Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien zu verteidigen“.

Eine orthodoxe Kirche wie die serbische ist stets von der „cäsaropapistischen“ Vereinnahmung durch weltliche Regime gefährdet – solange sie kein Oberhaupt wie Pavle hat. Zum 15. Jahrestag seines Patriarchats hat die junge Historikern Radmila Radic, die Milosevics Diktatur in Berlin überstand, 2005 eine umfangreiche Biographie Pavles veröffentlicht, die nochmals an dessen Männermut vor Herrscherthronen erinnerte.

Im Bürgerkrieg der 1990er Jahre durchlebten die SPC und ihr Patriarch eine schwere Zeit: Aus Bosnien und Kroatien wurden Hunderttausende Serben vertrieben, deren Priester kriegerische Vergeltung forderten. In Belgrad übte sich Milosevic in hemmungsloser Demagogie, der viele Serben anheimfielen. In Kroatien und Bosnien wüteten serbische Freischärler, die den Patriarchen als ihren „Oberbefehlshaber“ be-zeichneten. Anfangs wollte der Patriarch mit allen „im Dialog“ bleiben, aber Ende 1996 verdammte er in seinem Buch „Molitve i molbe“ (Gebete und Bitten) massiv die Betrügereien und militärischen Abenteuer Milosevics und stellte sich mit der gesamten SPC auf die Seite seiner Gegner. Das machte ihn zum Idol vieler Serben, die ihn 1999 gern als Staatsoberhaupt gesehen hätten. Am 23. Juli 1999 traf er in Pristina Bundeskanzler Schröder und machte ihn auf die bedrängte Lage der Serben im Kosovo aufmerksam. Schröder glaubte das nicht, rückte spontan aber eine größere Summe zum Wiederaufbau zerstörter serbischer Kirchen heraus.

Nach dem Sturz Milosevics Ende 2000 hätten die neuen demokratischen Machthaber es gern gesehen, wenn Pavle Papst Johannes Paul II. nach Serbien eingeladen hätte. Der Patriarch wollte nicht – in Erinnerung an die engen Beziehungen, die im Zweiten Weltkrieg das kroatische Ustascha-Regime zum Vatikan unterhalten hatte und die am Tod von 700000 Serben in Kroatien mitschuld gewesen seien.

Dieses Ressentiment hindert den Patriarchen freilich nicht, gute Kontakte zu katholischen Geistlichen in Kroatien und Bosnien zu suchen und den siegreichen Oppositionspolitikern in Serbien volle Unterstützung zu erweisen. Deren charismatischen Führer, den in Deutschland ausgebildeten Zoran Djindjic, nannte er „ein unschätzbares Geschenk für das am Boden liegende Serbien“ und dankte ihm für seine Leistungen für die SPC, vor allem die Vollendung der „Gedenkkathedrale Heiliger Sava“ im Belgrader Stadtteil Vracar.

Djindjic wurde im März 2003 ermordet, in der Kathedrale „Heiliger Sava“ faßten die Kirchenfürsten am 17. Mai den Beschluß zur Entmachtung Pavles. Als Nachfolger bieten sich Amfilohije und Artemije an, Metropoliten in Montenegro und im Kosovo. Aber Pavle will nicht zurücktreten, und Serbien braucht ihn in schweren Zeiten wie den jetzigen. In solchen Momenten erinnern sich die Serben, mehrheitlich eher „laue“ Christen, an ihre Kirche und fragen sich, ob diese nach der Entmachtung Pavles der allserbische Rückhalt bleiben kann.     


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