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26.07.08 / Gehaßt, verehrt und historisiert / Schwankend ist das Bild Otto von Bismarcks in der Geschichtsschreibung und der Geschichtspolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Gehaßt, verehrt und historisiert
Schwankend ist das Bild Otto von Bismarcks in der Geschichtsschreibung und der Geschichtspolitik
von Manfred Müller

Wie vorzeiten die alten Sachsen und Normannen über den Leibern ihrer gefallenen Recken schmucklose Felsensäulen auftürmten, deren Spitzen Feuerfanale trugen, so wollen wir unserem Bismarck zu Ehren auf allen Höhen unserer Heimat … gewaltige granitene Feuerträger errichten. Überall soll, ein Sinnbild der deutschen Einheit, das gleiche Zeichen entstehen in ragender Größe, aber einfach und prunklos, in schlichter Form auf massivem Unterbau, nur mit dem Wappen oder Wahlspruch des Kanzlers geschmückt.“ So hieß es in einem Aufruf, den die deutsche Studentenschaft im Todesjahr Bismarcks erließ.

Als Otto von Bismarck am 30. Juli 1898 starb, war er bereits für viele Deutsche zu einer Kultfigur geworden. In früheren Jahrzehnten hatte er die Deutschen stark polarisiert. Am 7. Mai 1866 verübte ein Student in Berlin auf offener Straße ein Revolverattentat auf den preußischen Ministerpräsidenten Bismarck. Der „Stuttgarter Beobachter“ kommentierte dies mit einer offenen Sympathie­erklärung für den Attentäter. Niemand könne diesen jungen Mann, der sein Leben riskiert habe, „um das Vaterland von einem Unhold zu befreien“, für einen schlechten Menschen halten.

In der Tat haßten damals viele Deutsche Bismarck, weil er die Liberalen im preußischen Verfassungskonflikt niederkämpfte und in der preußischen Außenpolitik das Risiko eines deutschen Bruderkrieges bewußt in Kauf nahm. Nach der Reichsgründung waren es vor allem Sozialdemokraten und Zentrumsanhänger, die den Reichskanzler wegen dessen harter Politik gegen die sogenannten Reichsfeinde verabscheuten.

Aber Bismarcks erfolgreich-geniale Politik führte letztlich dazu, daß die Heroisierung seiner Figur stärker wurde als die Dämonisierung. Als Kaiser Wilhelm II. Bismarck 1890 in brüskierender Weise entließ, trug das dazu bei, daß der Reichsgründer auf seinem Alterssitz Schloß Friedrichsruh zum „Alten im Sachsenwald“ und zum „treuen Eckart der Deutschen“ wurde. Erste Ehrungen Bismarcks hatten bereits Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Nun, nach Bismarcks Rückzug in den Sachsenwald, kamen Studenten, Schützenvereine und Bürgerdeputationen mit Sonderzügen, um den Altkanzler zu sehen und zu hören.

Zu seinem 80. Geburtstag verliehen 450 Städte Bismarck die Ehrenbürgerschaft. Das Postamt in Friedrichsruh mußte 23 zusätzliche Mitarbeiter anfordern, damit es in einer Woche etwa 10000 Glückwunschtelegramme und 450000 Postsendungen an den „Eisernen Kanzler“ zustellen konnte. Bis zu Bismarcks Tod hatten bereits zahlreiche Gemeinden, Vereine und Privatleute Bismarck-Büsten und Bismarck-Denkmäler in Auftrag gegeben. Dies nahm nun noch zu. Rund 700 Bismarck-Monumente wurden geplant, davon rund 500 verwirklicht: von Tafeln und Gedenksteinen (oft zusätzlich mit einer Bismarck-Eiche) über herkömmliche Figurendenkmäler bis zu Bismarck-Säulen, -Türmen und -Warten. Abgerundet wurden diese Akte der Bismarck-Verehrung durch Bismarck-Straßen und -Plätze, Bismarck-Schulen, Bismarck-Medaillen und -Postkarten. In der Bismarck-Verehrung verband sich die Vorstellung vom Nationalhelden – oszillierend vom besonnen Realpolitiker bis zu einer fast religiösen Erlösergestalt – mit der einer mythisch aufgeladenen Verkörperung des Deutschtums. Damit verband sich zu Lebzeiten Wilhelms II. oft so etwas wie eine Protesthaltung gegenüber der Person dieses Kaisers: „O Bismarck, steig vom Himmel nieder, ergreif des Reiches Steuer wieder!“

In der Weimarer Ära kam, bedingt durch die wirtschaftlichen und politischen Zeitverhältnisse, die aufwendige Errichtung weiterer Bismarck-Monumente zum Erliegen. Doch die Bismarck-Verehrung blieb in weiten Kreisen des deutschen Volkes erhalten und nahm Spitzen gegen die Republik von Weimar an. Die Nationalsozialisten stellten den Bismarck-Kult stark in den Dienst ihrer Bewegung. Hitler war ihnen der „gottgesandte Reichsschmied unserer Tage“. Bei einer Bismarck-Huldigungsfeier am 1. April 1933 im Berliner Lustgarten bemühte sich Joseph Goebbels, die nationalsozialistische Neuformung von Bismarcks Werk auf eine knappe Formel zu bringen. Vor den Augen der Deutschen vollziehe sich ein historisches Wunder: „Bismarck einig­te die Länder und gab dem Reich die Form. Wir einigten die Klassen und gaben der Nation einen neuen Inhalt. Wir führten das Volk wieder zum Staatsgedanken zurück. Bismarck war der große staatspolitische Revolutionär des 19. Jahrhunderts, Hitler ist der große staatspolitische Revolutionär des 20. Jahrhunderts.“

Die deutsche Geschichtskata­strophe von 1945 riß auch den Bismarck-Kult mit in den Abgrund. Unübersehbar waren nun die grundlegenden Unterschiede zwischen Bismarck und Hitler, ihrer Persönlichkeit und ihrer Politik. Dies bewahrte Bismarck aber nicht davor, zum Gegenstand einer kontroversen Geschichtspolitik zu werden, bei der seine Schattenseiten stark betont wurden. Diese Historisierung einer früher zum Mythos gewordenen Gestalt hätte durchaus zur inneren Festigung der Bundesrepublik Deutschland beitragen können. Die Kleinmütigkeit der politischen Eliten verhinderte das. Zum 100. Todestag Bismarcks stellte der Sozialhistoriker Jürgen Kocka fest: „… nach äußerer Erstreckung, politischer Orientierung, innerer Verfassung, sozialem Inhalt und demokratischer Kultur ist die heutige Bundesrepublik viel stärker das Produkt einer jahrzehntelangen Abwendung vom Bismarckreich als seine Fortsetzung.“ Eine simple Fortsetzung konnte niemand, der etwas von Geschichte versteht, fordern. Aber es wäre gut gewesen, wenn der Ratschlag, den Kocka 1998 zum Umgang mit Bismarck formulierte, schon früher ausgesprochen worden wäre und Beachtung gefunden hätte: „Er ist Teil unserer Geschichte, mit Distanz zu betrachten, differenziert zu erkennen und so zu beurteilen, wie andere große historische Gestalten auch: mit Interesse, Faszination und Respekt …“ Ein solcher Umgang mit Bismarck könnte auch die vielen Bismarck-Monumente, Zeugen der Bismarck-Verehrung unserer Vorfahren, aus dem Abseits hervortreten lassen. Dies wäre eine von zahlreichen Möglichkeiten, uns unserer nationalen Identität zu vergewissern.


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