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26.07.08 / Herzlich willkommen, Tante Erna

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Herzlich willkommen, Tante Erna
von Werner Hassler

Heinrich hantierte im Wohnzimmer, als Sabine herein geschwirrt kam und ihm einen Brief unter die Nase hielt. „Stell dir vor, Tante Erna aus Hamburg hat uns geschrieben“, berichtete sie ihrem Mann. „Hm“, war Heinrichs einziger Kommentar. Doch sein Gesichtsausdruck sprach Bände.

Als seine Frau nun den Briefinhalt laut vorlas, mußte Heinrich erfahren, daß Tante Erna doch tatsächlich die Absicht hatte, sie für eine Woche zu besuchen. Schließlich hätte man sich das letzte Mal bei der Hochzeit vor fast zehn Jahren gesehen.

„Tante Erna – sie, sie will zu uns kommen – uns besuchen?“ rief Heinrich entsetzt. „Mein Gott, die hat uns gerade noch gefehlt!“ Seiner Meinung nach gehörte die Tante nämlich zu der Sorte Mensch, die man lieber gehen als kommen sieht.

„Wir müssen ihr trotzdem antworten“, warf Sabine zaghaft ein und machte ein nachdenkliches Gesicht. Schließlich sollte man zu Verwandten freundlich sein.

Deshalb meinte sie: „Schreib ihr irgend etwas, nicht zu herzlich, aber auch nicht zu unhöflich. Na, dir werden schon die passenden Worte einfallen!“ „Wieso mir?“ meckerte Heinrich. „Sie ist doch schließlich deine Tante! Schreib du doch gefälligst!“ „Aber du kannst das besser als ich“, antwortete Sabine. „Dir geht es leichter von der Hand!“

Mißmutig kramte Heinrich Briefbogen und Kugelschreiber hervor, und nach zwei Stunden harter Arbeit konnte er seiner Frau verkünden: „Der Brief ist fertig!“ „Erzähl“, bat Sabine, die gerade beim Geschirrspülen war. „Was hast du geschrieben?“ „Nun, daß wir uns auf ihren Besuch freuen. Kein einziges böses Wort“, versicherte er mit treuherziger Miene. „Besonders unser Sohn Daniel freue sich über ihr Kommen. Dann könne er ihr auch mal seine Springmäuse und seine Kröte zeigen, die er so liebevoll pflegt. Unsere Elke habe zur Zeit Masern. Deshalb sei sie augenblicklich ziemlich quengelig. Außerdem habe ich geschrieben, daß es im Moment bei uns sehr aufregend sei. Die Straße müsse erneuert werden, und gestern seien wir alle für Stunden evakuiert worden, weil der Bagger auf eine Bombe aus dem letzten Krieg gestoßen sei. Schon in aller Herrgottsfrühe ratterten Bagger, Lastwagen und Baumaschinen. Mit der sonst so friedlichen Ruhe in der Straße sei es vorbei. Aber sie könne hautnah miterleben, was man heute mit modernen Baumaschinen so alles anstellen kann. Bei Regen verwandele sich die Straße in eine einzige Schlammwüste, was natürlich Daniel ausnütze, um nach Herzenslust darin zu toben. Schließlich seien wir gerade dabei, unseren Garten anzulegen. Sie könne uns dabei unterstützen ...“

„Meinst du nicht, du hast etwas zu dick aufgetragen?“ Sabine blickte skeptisch. „Für Einwände ist es zu spät“, frohlockte Heinrich. „Der Brief ist längst im Kasten.“

Bereits drei Tage später flatterte Tante Ernas Antwort ins Haus. Und es ging Heinrich gar nicht schnell genug, als er den Brief öffnete. Aber rasch wich sein triumphierendes Grinsen einer Grimasse.

Tante Erna schrieb: „Ihr Lieben! Ich habe mich riesig über Eure herzliche Einladung gefreut. Wie schön, daß Daniel so tierliebend ist, Kröten sind wirklich nützliche Gesellen. Und Baumaschinen haben mich schon als kleines Mädchen interessiert. Wenn es so aufregend nach gekochtem Teer roch ... Gartenarbeit ist für mich eine willkommene Abwechslung, die Betätigung an der frischen Luft so gesund! Ich denke, bei all dem Drunter und Drüber, das bei Euch herrscht, könnt Ihr eine tatkräftige Stütze nur zu gut gebrauchen. Bis Donnerstag dann, Eure Tante Erna.“

Heinrich ließ sich fassungslos in den nächstbesten Sessel plumpsen. „Was sollen wir jetzt bloß tun?“ Die Brille war ihm auf die Nasenspitze gerutscht. Er bot ein Bild des Jammers. Sabine konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Lachend meinte sie: „Das mit den Springmäusen und der Kröte könnten wir ja noch hinkriegen. Aber das Straßenbauamt wirst du kaum dazu bewegen können, unsere Straße in den nächsten Tagen aufzureißen. Mein Lieber, da wirst du dir etwas einfallen lassen müssen!“

Foto: Lästige Verwandte: Während sich alte Leute auf den Besuch bei ihrer Familie freuen, würde die junge Generation häufig gerne um diesen herumkommen.


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