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02.08.08 / Das Alter als Chance / Die Menschen leben länger, aber sie sind auch immer länger leistungsfähig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-08 vom 02. August 2008

Das Alter als Chance
Die Menschen leben länger, aber sie sind auch immer länger leistungsfähig
von Samuel Moser

Ein demographischer Doppeltrend fordert uns heraus: Wir werden immer älter, und es werden immer weniger Kinder geboren. Die Lebenserwartung steigt, und die Zahl der Geburten nimmt ab. Die Kinder, die wir für die Gestaltung der Zukunft dringend bräuchten, durften das Licht der Welt nicht erblicken. Es gibt Schätzungen, wonach Deutschland bis ums Jahr 2050 herum um zwölf bis 15 Millionen Menschen schrumpfen wird. Die Bevölkerung wird vom Sterben geprägt sein, nicht mehr von der Geburt. Viele Großeltern werden sich wenige Enkelkinder teilen müssen.

Der Eintritt der Babyboomer (Jahrgänge 1940–1965) in den dritten Lebensabschnitt wird einen gewaltigen Altersschub auslösen. Die erste Welle ist bereits angerollt. Die Boomer revolutionierten die Welt nicht durch Krieg, sondern durch ihr Dasein. „Diese Generation gräbt sich durch die Gesellschaft wie ein Trüffelschwein und verändert die Geschichte jeden Tag, den sie älter wird“, stellte die Anthropologin Helen Fischer fest. Die Boomer haben die Technologien und Finanzmärkte verändert, die Arbeitsplätze und Institutionen revolutioniert, menschliche Beziehungen, sexuelle Rollenbilder und Praktiken umgewandelt sowie Supermärkte, die Mode- und Autoindustrie transformiert. Sie, die unsere Jugendkultur geschaffen und das Antlitz des Planeten geprägt haben, gehen nun in Rente. Ein größeres Beben hat eingesetzt, ausgelöst durch die zu geringen Geburtenzahlen, den durch die Boomer ausgelösten Kulturwandel und die stetig steigende Lebenserwartung alter Menschen.

Die Sterblichkeit jenseits des 85. Lebensjahres verlangsamt sich. Die Zahl der über 100jährigen nimmt stetig zu. Frage: Nähern wir uns einer Lebenserwartung wie sie in 1. Mose 6.3 vorgegeben ist? „Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht immerdar im Menschen walten, denn auch der Mensch ist Fleisch. Ich will ihm als Lebenszeit geben 120 Jahre.“

Die Forscher des Alterns sind in ein noch weitgehend unerkundetes Terrain aufgebrochen. Die mechanistische Auffassung, der menschliche Organismus sei vergleichbar mit einem Auto und käme irgendwann einmal in die Phase der Materialermüdung und Reparaturen, ist ins Wanken geraten und hat der Erkenntnis Platz gemacht, die „Laufzeit“ des Menschen könne neu festgelegt werden.

Die Aussicht, bei guter Gesundheit ein hohes Alter zu erreichen, ist verlockend, aber wie steht es mit der Leistungsfähigkeit älterer Menschen? Die Unterstellung, daß ein Mensch mit 60 Jahren nicht mehr in der Lage sein soll, intellektuelle oder körperliche Leistungen zu erbringen, gehört zu den schleichenden Rassismen unserer Gesellschaft. Es gibt nur wenige Studien, die zum Ergebnis haben, daß Altern zur Verminderung der Arbeitsfähigkeit führt, und wenn, dann können das Wissenskapital und die Erfahrung allfällige körperliche Mängel problemlos ausgleichen. Forscher, die der Frage nachgingen. ob ältere Menschen schlechter, unkonzentrierter, ineffizienter oder unzuverlässiger arbeiten, fanden für diese Behauptung keine Anhaltspunkte. Der alternde Mensch stirbt zweimal: einmal durch die Vorurteile und Klischees, die über das Altern im Umlauf sind und ihn aus der Gesellschaft ausstoßen, und zum andern durch den Alterungsprozeß selber, der erst Jahre danach einsetzt und schließlich mit dem Tode endet. Keiner denkt schlechter über alte Leute als die Alten selber. Die Alten müssen intensiv an ihrem Eigenbild arbeiten. Falsche Vorstellungen über das Alter bei den Jungen und häßliche Karikaturen im Selbstbewußtsein der Alten vertreiben die Alten. Es ist höchste Zeit, daß ein Ruck durch unsere Köpfe geht und die Ideen über das Altern sich verändern. Wirklich alt ist man nach heutigen Erkenntnissen erst mit 80.

Alt sein ist ein Verhältnis zu sich selber und zum Leben insgesamt. Teilnehmer einer Altersstudie, Frauen und Männer zwischen 70 und 100 Jahren, haben übereinstimmend angegeben, sich um zwölf Jahre jünger zu fühlen und neun Jahre jünger auszusehen als in Wirklichkeit. Die Altersunterschätzungen nahmen mit dem Alter noch zu. Je älter, desto glücklicher? Die persönliche Zufriedenheit alter Menschen ist viel höher einzuschätzen als allgemein angenommen wird. Je älter Menschen sind, desto gesünder fühlen sie sich im Vergleich mit ihren Altersgenossen. Natürlich liegt auch da eine Selbsttäuschung vor, aber offenbar eine, die das Leben leichter macht. Jugend ist genial und schöpferisch, Alter aber stumpf und nur noch konsumierend – das ist das Klischee in den Köpfen.

Daß dem nicht so ist, zeigt Michelangelo Buonarrotti (1475–1564). „Die Welt hat viele Könige, aber nur einen Michelangelo“, so beschreibt man diesen Mann, den manche für den größten Künstler aller Zeiten halten. Die schöpferische Tätigkeit, die Michelangelo von seinen Jugendjahren bis ins Erwachsenenalter, also das ganze Leben lang, ausgeübt hat, nahm im Greisenalter nicht ab. Bis sechs Tage vor seinem Tod arbeitete er an der Pieta Rondanini. Die Skulptur war nicht fertig, als er sie verschenkte. Kunstkenner meinen, mit diesem letzten Werk habe der Künstler seiner innersten Vision Ausdruck geben wollen, die sich von der Renaissance-Ästhetik abwandte und Mut zum Unvollendeten zeigte.

Wenige Wochen vor seinem 90. Geburtstag starb er, kurz nachdem er seinen letzten Willen diktiert hatte: Die Seele an Gott, den Körper der Erde und die irdischen Güter an die Erben.         Idea

Foto: Strebt mit 72 Jahren Großes an: US-Präsidentschaftskandidat McCain

 

Zeitzeugen

Jeanne Calment – Die Französin kam 1875 in Arles zur Welt und starb dort 1997. Mit 122 Jahren, fünf Monaten und 14 Tagen erreichte sie die bis dato längste menschliche Lebensspanne, die durch wissenschaftliche Untersuchungen verifiziert werden konnte.

 

Selma Lagerlöf – Die erste Literaturnobelpreisträgerin kam 1858 auf Gut Mårbacka in der Gemeinde Östra Ämtervik, Värmland zur Welt. 1891 erschien mit „Gösta Berling“ ihr erster Roman. 1906 schrieb die Schwedin ihr bekanntestes Buch, „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“. Ihr letztes großes Romanprojekt war die 1925 bis 1928 veröffentlichte Trilogie „Die Löwenskölds“. 1932 erschien mit „Tagebuch der Selma Ottilia Lovisa Lagerlöf“, das letzte vollendete Werk der 1940 Verstorbenen.

 

Konrad Adenauer – Der Politiker kam 1876 in Köln zur Welt. 1945 gehörte er zu den Mitgründern der CDU, deren westdeutscher Parteivorsitzender er 1949 wurde. 1948 wurde er Vorsitzender des Parlamentarischen Rates. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 wurde er Mitglied ihres Bundestages und ihr erster Bundeskanzler. 1959 strebte er kurze Zeit einen Wechsel ins Bundespräsidialamt als Nachfolger von Theodor Heuss an, blieb dann aber bis 1963 Regierungschef. Als er 1967 mit 91 Jahren starb, war er immer noch Mitglied des Bundestages.

 

Pablo Ruiz Picasso – Der spanischer Maler, Graphiker und Bildhauer kam 1881 in Málaga zur Welt. Nicht nur, daß er bereits 91 Jahre alt war, als er 1973 im französischen Mougins starb. Er war auch schon 55 Jahre alt, als er im Mai / Juni 1937 mit „Guernica“ sein berühmtestes Werk schuf.

 

Ludwig van Beethoven – Der Komponist kam 1770 in Bonn zur Welt. Mit etwa 30 Jahren machten sich bei ihm erste Anzeichen einer Otosklerose, einer lokalisierten Erkrankung jenes Knochens, der das Innenohr umgibt (Labyrinthkapsel), bemerkbar, die sich unaufhaltsam verschlimmerte. Obwohl der Deutsche ab 1819 völlig ertaubt war, vollendete er 1824 sein wohl bedeutendstes Werk, seine 9. Sinfonie. Wenige Jahre später, 1827, starb er in Wien.


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