19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.08.08 / Rom greift durch / Berlusconi-Regierung verhängt nationalen Notstand – Neue Maßnahmen sollen Zuwanderer abschrecken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-08 vom 02. August 2008

Rom greift durch
Berlusconi-Regierung verhängt nationalen Notstand – Neue Maßnahmen sollen Zuwanderer abschrecken
von Sophia E. Gerber

Vergangene Woche verhängte die italienische Regierung unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi den nationalen Notstand. Grund: die starke Zunahme illegaler Einwanderer im Süden des Landes. Die meist aus Afrika stammenden Flüchtlinge wollen der heimatlichen Armut und Kriegen entkommen. Sie träumen von einer besseren Zukunft in Italien oder im restlichen Europa. Dafür wagen sie sogar die hochgefährliche Passage übers Mittelmeer auf kaum seetauglichen Booten. Tage- oder wochenlang harren sie im Laderaum der Seelenverkäufer aus, um dann nicht selten weit vor der Küste ausgesetzt zu werden und zum Strand schwimmen zu müssen. Für einige wird der Traum allerdings zum Albtraum – sie kommen nie an. So berichtete kürzlich ein Nigerianer nach seiner Ankunft auf Sizilien, daß während der Überfahrt von Libyen aus seine vierjährige Tochter und sein zweijähriger Sohn gestorben seien.

Nach Angaben des Innenministeriums hat sich die Zahl der Immigranten im ersten Halbjahr 2008 im Vergleich zur Vorjahresperiode von 5000 auf etwa 10000 verdoppelt. Angesichts dieser Lage hat das italienische Parlament jetzt einem Gesetz mit verschärften Maßnahmen gegen illegale Immigration und Kriminalität zugestimmt. Demnach können illegal Eingereiste künftig bis zu 18 Monaten statt wie bisher 60 Tage lang in Auffanglagern festgehalten werden. Wenn sie kein Recht auf Asyl haben, sollen die Behörden sie abschieben. Das Sicherheitspaket erhöht außerdem die Gefängnisstrafen krimineller Ausländer, erleichtert deren Ausweisung und führt eine Datenbank mit DNA-Informationen von Straffälligen ein. Ausländische Prostituierte sollen des Landes verwiesen werden. Gegebenenfalls können illegale Immigranten auch aufgefordert werden, das Land freiwillig zu verlassen. Folgen die Betroffenen dieser Anweisung nicht und werden erneut aufgegriffen, müssen sie mit einem Freiheitsentzug von bis zu vier Jahren rechnen. Schließlich macht sich jeder strafbar, der illegalen Einwanderern eine Wohnung vermietet.

Berlusconi rief darüber hinaus den landesweiten Notstand aus. Er räumte der Polizei und den örtlichen Behörden Sonderbefugnisse ein, um den andauernden und außergewöhnlichen Zuzug zu bewältigen. Vor einigen Jahren fragte Umberto Bossi von der Lega Nord noch, warum Italien denn eine Kriegsmarine habe, wenn dann nicht auf Einwandererboote geschossen würde. Heute dagegen kündigte sein Parteifreund und Innenminister Roberto Maroni an, neue Aufnahmezentren in allen Landesteilen einrichten zu wollen.

Die Opposition griff die Initiative der Regierung heftig an, nannte sie „verabscheuungswürdige Propaganda“ und sprach von einem „Polizeistaat“. Massimo Donadi von der liberalen Partei „Italien der Werte“ warf Berlusconi vor, das Thema Immigration zu instrumentalisieren, um von der koalitionsinternen Zerstrittenheit abzulenken. Der christdemokratische Abgeordnete Rocco Buttiglione sagte der Turiner Tageszeitung „La Stampa“, Italien brauche keine unmenschlichen und außerordentlichen Maßnahmen. Ähnlich äußerte sich die katholische Hilfsorganisation Comunità di Sant`Egidio. Sie befürchtet hinter dem Dekret einen Freibrief zur Abschiebung von Ausländern und weist auf die nationale Verantwortung hin, politische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. Selbst der Vatikan schaltete sich ein und forderte, trotz des Notstands „die Menschenrechte einzuhalten“. Maroni wehrt sich gegen die oppositionellen Einwände: „Wann immer von Immigration die Rede ist, macht die Linke einen Aufstand, ohne den Anstand zu haben dazu zu sagen, daß die Regierung Prodi 2007 genau dieselbe Maßnahme getroffen hat.“ Tatsächlich hatte die Mitte-Links-Regierung den erstmals 2002 erklärten landesweiten Notstand wegen der Flüchtlingswellen 2007 abermals verlängert. Erst als im Februar 2008 die Aufnahmelager als ausreichend erschienen, beschränkte Prodi – gerade noch im Amt – den Notstand auf die Südprovinzen Sizilien, Apulien und Kalabrien.

Das Immigrationsproblem als ausschließliche Frage der inneren Sicherheit zu behandeln, zeigt wieder einmal, daß Italien den Wandel vom klassischen Auswanderungsland zum Einwanderungsland noch längst nicht akzeptiert hat. Statt die Zuwanderung als Chance zur Lösung nationaler Probleme, wie dem geringen Wirtschaftswachstum und dem Bevölkerungsrückgang, zu begreifen, schürt Berlusconi durch die offizielle Notstandsverkündung unnötige Ängste und rassistische Ressentiments in der Bevölkerung. Anstelle einer vernünftigen Integrationspolitik setzt er auf massenhafte Ausweisungen und schärfere Grenzkontrollen und schafft gerade dadurch die Bedingungen für eine weitere Kriminalisierung der Zuwanderung.

Ein besonders pikantes Detail des Sicherheitspakets ist übrigens die Ergänzung eines Strafgesetzes, wonach sämtliche Prozesse zu Delikten ausgesetzt werden, die vor Mitte 2002 verübt wurden und bei denen es sich nicht um Gewaltverbrechen, organisierte Kriminalität und Straftaten handelt, auf die mehr als zehn Jahre Gefängnis stehen. Vordergründig rechtfertigt die Mitte-Rechts-Allianz die Maßnahme damit, die Gerichte entlasten zu wollen und ihnen mehr Spielraum für die Verfolgung schwerer Verbrechen, wie Mafia-Vergehen, zu lassen. Angenehmer Nebeneffekt: Ein laufendes Verfahren gegen Premier Berlusconi, der wegen Bestechung des britischen Anwalts David Mills angeklagt ist, wird für ein Jahr ausgesetzt. Es fragt sich, ob der eigentliche Notstand nicht an der Mittelmeerküste, sondern im italienischen Parlament selbst vorherrscht.

Foto: Bootsflüchtlinge: Afrikaner versuchen über das Mittelmeer Italien illegal zu erreichen.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren